Na, auch alt geworden?
Vielleicht kennen Sie diese Situation: Plötzlich taucht ein Pulk Jugendlicher in Ihrer Nähe auf und Sie sehen, wie diese in gefühlter Lichtgeschwindigkeit SMS-Nachrichten in ihre Handys hacken. Und während Sie sich innerlich fragen, wie sich diese unkomfortable Behelfstechnologie jemals durchsetzen konnte, werden Sie vom polyphonen Klingelton des aktuellen Pussycat-Dolls-Hits in empfundener Düsentriebwerkslautstärke aus ihren Gedanken gerissen — was wiederum unmittelbar die Überlegung anstößt, wie es passieren konnte, dass mit dem Download von Klingeltönen sehr viel Geld verdient wird. Sie wenden sich schließlich wieder Ihrer Zeitung zu und lesen dort, dass es bei der Internet-Plattform »Second Life« mittlerweile die erste »Immobilien«-Millionärin gibt: Wie bitte? Es gibt Leute, die für »Immobilien« im virtuellen Raum Geld locker machen?
Solche Momente können bei Menschen, die zur Selbstbeobachtung und Selbstkritik fähig sind, in ein depressives Gefühl münden, in dem man resümiert, dass man nun wohl endgültig alt geworden ist. Machen Sie sich in solchen Momenten keine Sorgen: Meist ist es sehr viel angenehmer, Kontakt mit Leuten zu haben, bei denen dieses Gefühl vorherrscht, als mit solchen, die sich als einzige jünger wähnen, als sie sind.
Gleichzeitig ist es so, dass die hoch technisierte virtuelle Medienwelt nur ein ganz dünner Firniss ist, eine hauchdünne Kruste unter der die Urinstinkte aus der Steinzeit lauern. Wie anders könnte man erklären, dass sich heute im Fernsehen damit Geld verdienen lässt, dass es bei DSF eine Sendung gibt, in der eine Animierdame im Bikini vor einem Flipchart steht und die Zuschauer auffordert anzurufen, um absurde Begriffe zu erraten.
Die Geschäftsmodelle der modernen Medienwelt sind eben erschreckend vielfältig geworden, und vieles, womit heute Geld verdient wird, hätten die meisten wohl vor ein paar Jahren noch als Hirngespinst abgetan.
Mindestens ebenso vieles funktioniert allerdings auch nicht, und häufig stellt sich das für die Macher erst dann heraus, wenn sie schon recht viel Geld damit verbrannt haben. E-Plus etwa ist beim Handy-Fernsehen schon kurz nach dem das Unternehmen damit angefangen hatte, wieder ausgestiegen. Kürzlich wurde zudem bekannt, dass Debitel für sein Mobil-TV-Angebot Watcha seit dem Start vor sechs Monaten gerade mal 5.000 Kunden gewinnen konnte. Das ist nicht eben viel, gemessen an den Wachstumsraten, die einige Hersteller für diesen Markt prognostiziert hatten.
Sicher: E-Plus und Debitel sind nur zwei Beispiele und die Technologie steckt noch in ihren Anfängen. Außerdem gehört Mobil-TV wahrscheinlich auch zu jenen Dingen, mit denen Jugendliche mehr anfangen, als reifere Altersgruppen.
Aber ob diese Zielgruppe neben all den anderen materiellen Dingen die ihr wichtig sind, auch noch genügend Geld hat, um sich die teuren Mobil-TV-Tarife zu leisten, bleibt fraglich. Unklar ist auch, ab wann es genügend Endgeräte zu vernünftigen Preisen geben wird. All diese ungeklärten Fragen scheinen auch in der Industrie nicht ohne Folgen zu bleiben. Und so beginnt sich die erste Mobil-TV-Euphorie schon jetzt wieder zu legen und auf andere Bereiche zu verlagern – etwa auf IP-TV.
Doch wie auch immer der nächste Technologie-Hype heißen mag: Bis die neue Technik soweit ist, wird die Bikini-Dame ihrem Sender noch viele Anrufer bescheren. Die werden trotz intensiver Mobilisierung all ihrer intellektuellen Fähigkeiten das richtige Lösungswort nicht erraten und die gebührenpflichtige Telefon-Warteschleife des Senders wird fast platzen. Man kann heute eben auch noch mit relativ wenig Technologie Geld verdienen. Was tun? Sich mit Grausen ab- und billigem Trost in Form von Karnevals-, Koch- und Volksmusiksendungen zuwenden? Oder gleich in die virtuelle Welt abtauchen? Hilft nichts: Auch dort ist der Firniss nicht dicker und die Abgründe sind gleich tief.
Sie werden sehen.