Editorial, Kommentar, Top-Story: 26.03.2009

Schneller klicken: Arbeiten Sie endlich effektiver!

Sie müssen eigentlich nur die richtige Software auf Ihrem Rechner installieren und schon eröffnet sich dank einer revolutionären Technologie eine Welt der optimierten Workflows, der immens gesteigerten Produktivität und der ungeahnten kreativen Freiräume. Sie werden sich vor Aufträgen und vor Gewinnen kaum retten können. Das belegen aufwändige Benchmark-Tests und Studien eines unabhängigen Beratungsunternehmens.

Kaum zu glauben, aber was Sie eben gelesen haben, gibt nur leicht übertrieben und gekürzt den Inhalt einer aktuellen Pressemitteilung wieder, die heute in Rekordzeit in den Papierkorb des Computers wanderte, auf dem auch dieser Text entstand. Wer kann so etwas Ernst nehmen?

Jeder, der schon einmal in seinem Leben einen Technologiewechsel oder auch nur den Wechsel einer wichtigen Software-Komponente innerhalb eines größeren Systems mitgemacht hat, kann darüber nur schrill lachen. Vollkommen albern wird es dann, wenn Beispielrechnungen des folgenden Typs aufgemacht werden: Sie sparen künftig pro Arbeitsgang mindestens zwei Mausklicks und über das Jahr gerechnet kommen dadurch mehrere Arbeitstage zusammen, die Sie nutzen können, um weitere gewinnträchtige Jobs für Ihre begeisterten neuen Kunden abzuwickeln. Außerdem können Sie ja in der gewonnenen Zeit weitere Tools und Produkte finden, mit denen Sie noch effektiver werden.

Aber was ist mit der Zeit, die Sie brauchen, um das Ganze ans Laufen zu bekommen? Was ist mit den gefühlten Stunden, die man mit der Lösung von Problemen zubringt, die man vorher noch nie hatte? Wie viele Mausklicks kommen zusammen, weil man Funktionen sucht, die in der Vorgänger-Software an anderer Stelle zu finden waren? Was ist, wenn Sie erkennen müssen, dass Sie ohne Schulung oder Online-Tutorial nicht weiter kommen?

Irgendwann — und wenn Sie Glück haben, sogar im entscheidenden Moment — sind Sie mit der neuen Hard- oder Software tatsächlich ein Quäntchen schneller und effektiver. Aber hat sich der Aufwand, den man dafür getrieben hat, wirklich gelohnt? Das bleibt in vielen Fällen offen.

Die Gründe, weshalb man trotzdem nicht umhin kommt, manchmal durch die Hölle zu gehen und das Rad neu zu erfinden, sind viel banaler: Wenn sich das Umfeld ändert, wenn neue Marktbedingungen herrschen, dann muss man als Marktteilnehmer eben mitmachen, agieren und reagieren, sonst hat man keine Zukunft mehr. Wenn man als Einziger im Bekanntenkreis keinen schnellen Online-Zugang hat, muss man eben das Fegefeuer aus Inkompetenz im Schnittfeld zwischen PC und Telekommunikation durchschreiten. Und wenn die Fernsehproduktion plötzlich viel billiger sein muss, dann muss man als TV-Dienstleister die Basis dafür schaffen, sonst ist man einfach weg vom Fenster.

So sieht — sicher nicht immer, aber in vielen Fällen — der Unterschied zwischen Powerpoint und Wirklichkeit, zwischen PR und Wahrheit aus.

Und weil es meistens doch irgendwann gelingt, die versprochene Effektivität zumindest in Teilbereichen zu erreichen, geht man schließlich auch das nächste Projekt wieder an, obwohl man am Anfang oft nicht weiß, worauf man sich einlässt. Aber vielleicht ist das ja manchmal auch ganz gut so.

Sie werden sehen.