Editorial, Kommentar, Top-Story: 27.11.2009

Mediale Parallelwelten

Es ist ein kleines bisschen aus der Mode gekommen, dass Firmen ihre Leitsätze und »Mission Statements« wie eine Monstranz vor sich her tragen — aber ganz verschwunden ist diese Praxis noch nicht: Große Unternehmen verbreiten in ihren Jahresberichten oft und gerne ihre hehren Vorsätze — ja: Vorsätze: denn mehr sind die Leitsätze in den meisten Fällen leider nicht.

Was in teuren Hochglanzbroschüren steht und in manchen Firmen auch plakativ ausgestellt wird, bleibt eben all zu oft bloße Theorie und wird nicht gelebt. Besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wird der in den Broschüren formulierte Anspruch von Fairness, Offenheit und Austausch innerhalb der Firmen selbst oft nach allen Regeln der Kunst umgangen und es wird statt dessen gerangelt, gegängelt und gemobbt.

Das ist an sich nichts Neues, aber wie sehr die nach außen vorgetragenen Kunstwelt und die reale Situation differieren, ist doch immer wieder recht verstörend für alle, die noch nicht gänzlich abgestumpft und deren menschliche Regungen noch nicht komplett erkaltet sind.

Was für die meisten Firmen gilt, das gilt leider auch für weite Teile unseres staatlichen Gemeinwesens und seine Körperschaften. Nehmen wir mal die Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der in Wahrheit längst zur Beute der Parteien geworden ist. Politische Gruppierungen und »Freundeskreise« mauscheln in Hinterzimmern aus, wer bei den öffentlich-rechtlichen Sendern an den Schalthebeln der Macht sitzen soll. Das passiert andauernd und manchmal wird es öffentlich, etwa als im Jahr 2002 der Intendant des ZDF bestimmt werden sollte und es zur Aufführung eines wahren »Intendantenstadels« kam.

Ein aktuelles Beispiel, wie es nicht laufen sollte, ist die Debatte um die Vertragsverlängerung des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender. Den kann man mögen oder nicht, wird aber kaum umhin können, ihm Mut, Ernsthaftigkeit und Professionalität in der Ausübung seines Amtes zuzubilligen. Weil aber Brender einigen Politikern unter der Führung des hessischen Ministerpräsidenten Koch nicht passt, nimmt die Politik wieder einmal Einfluss auf die Besetzung einer einflussreichen Position und versucht, einen missliebigen Journalisten wegzudrücken, weil der bisweilen auch unangenehme Wahrheiten aussprach. Man mag zum Journalisten Brender stehen wie man will, aber seinen Vertrag nicht zu verlängern, weil er das tut, was er als Journalist auch tun sollte, nämlich Kunstwelten aufzudecken und Unliebsames auszusprechen, das ist mehr als zweifelhaft und ein klarer Angriff auf die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

So zeigt sich ein weiteres Mal ein Geburtsfehler des öffentlich-rechtlichen Rundfunkwesens in Deutschland und der dringende Reformbedarf dieses Systems: Wenn Politiker ihre Position in den Aufsichtsgremien nutzen können, um massiv eigene Interessen und persönliche Vorlieben durchzudrücken, dann kann das nicht richtig sein. Wenn die Medien, die auch ein Auge auf die Politik werfen und eine öffentliche Kontrollfunktion ausüben sollen, von Politikern dominiert werden, die ihre Position direkt oder über Handlanger in den Kontrollgremien durchsetzen, dann muss diese Instrumentalisierung unterbunden werden — sonst drohen letztlich italienische Medienverhältnisse.

Klingt vielleicht pathetisch, aber unabhängige Berichterstattung ist ein hohes Gut, das es immer seltener gibt — und das deshalb umso schützenswerter ist.

Sie werden sehen.