Editorial, Kommentar, Top-Story: 15.09.2015

Stimmungsbild: Luft nach oben

Am ersten Publikumstag der IBC2015 blieb es bis zum frühen Nachmittag sehr ruhig: Der Publikumsandrang hielt sich in Grenzen. Das bestätigten im Gespräch mit film-tv-video.de fast alle Firmenvertreter, die wir bis dahin zu diesem Thema befragt hatten. Einige Indizien kamen hinzu: Noch nie war es etwa in all den Jahren so einfach gewesen, um die Mittagszeit rasch etwas zu essen und dann einen Sitzplatz zu bekommen. In früheren Jahren waren elend lange Schlangen und vollgepackte Messerestaurants der Normalzustand.

Auch bei etlichen Pressekonferenzen war der Zuspruch eher verhalten: Offenbar sparen es sich viele Medien, mit großem Team anzureisen und aufwändig zu berichten. So kam es vor, dass bei einigen der Presse-Events, die sich früher großen Zulaufs erfreuten, in diesem Jahr letztlich nur ein paar wenige Interessierte vor Ort waren und dann ein bisschen verloren herumstanden. Offenbar haben etwa auch etliche asiatische und amerikanische Medien die Reiseetats gekürzt.

Alarmstimmung! Ist die IBC auf dem absteigenden Ast? Geht die ganze Branche darnieder?

Gegen Abend füllten sich die Hallen dann auf der Besucherseite etwas stärker und am Samstag und Sonntag herrschte weitgehend normaler Betrieb — so zumindest der Eindruck des film-tv-video.de-Teams und der Mehrzahl unserer Gesprächspartner. Entwarnung! Endlich wieder lange Schlangen in den Messerestaurants.

Aber vielleicht ist die latente Nervosität der Aussteller während der Messe auch nur eine der Facetten einer allgemein unsicheren Stimmung in der Branche: Befragt man etwa die Vertreter großer Firmen über die wichtigsten Einflussgrößen auf den Markt, dann wird natürlich sehr oft der Technologiewechsel hin zu IP und Cloud genannt, der Unsicherheit und Umbruch in sich trägt. Sehr häufig werden als wichtige Einflussgrößen aber auch Unternehmen genannt, die im Grunde gar nicht zum Kern der Broadcast-Branche gehören: Netflix, Youtube, Facebook und Amazon sind die dabei am meisten referenzierten. Produkte unserer Branche werden für diese Plattformen optimiert und daran angebunden, hier wird Wachstumspotenzial gesehen und von dort werden Impulse erwartet.

Will man aber genauer wissen, wie die Broadcast-Branche überleben will, wenn sie sich selbst zum Anhängsel einiger großer Plattformen der Digitalwirtschaft degradiert, dann werden die Antworten sehr schnell sehr weich und vage. Fast hat man manchmal das Gefühl, dass ein Großteil der Branche auf die aktuelle Situation schaut, wie das Kaninchen auf die Schlange: starr und wie hypnotisiert, statt einfach wegzuhoppeln und sein eigenes Ding zu machen. Es scheint in vielen Bereichen höchste Zeit zu werden, selbst die Initiative zu ergreifen, statt immer nur den goldenen Zeiten hinterher zu weinen — das legt die IBC2015 gnadenlos offen.

Autor
Christine Gebhard, Gerd Voigt-Müller
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