Broadcast, Top-Story: 07.06.2006

Handy-Fernsehen via DMB im Praxisbetrieb

Am 31. Mai 2006 startete Debitel sein »Watcha« genanntes Handy-Fernsehen mit DMB-Technik. Gesendet wird seitdem in Berlin, München, Stuttgart, Frankfurt/Main und Köln. Peter Dehn hat sich ein Fußballspiel auf dem Handy angesehen und die aktuellen Infos zum Thema zusammengefasst.

»Der Begriff Blockbuster verliert seine Bedeutung. Kein Medienereignis wird die Straßen leer fegen, wenn die Menschen es im Park verfolgen können.« Das meinte Paul A. Stodden, CEO des Mobilfunkvermarkters Debitel beim Start des »Watcha«-Handy-TV.

Wie, in welcher Richtung und in welcher Geschwindigkeit sich der Bereich Mobile-TV tatsächlich entwickeln wird, das muss sich noch weisen. Auch ist noch offen, welche Technik sich letztlich durchsetzen wird. Aber mit »Watcha« gibt es nun immerhin ein kommerzielles Angebot in Deutschland, das über einen Pilotversuch hinaus geht.

Praxistest: Fußballspiel Deutschland gegen Kolumbien

Allen Unkenrufen zum Trotz: Den Ball kann man, auch bei vielen Totalen, wirklich sehen. Jedoch wurden beim Testspiel die 16:9-Sendungen des ZDF verzerrt dargestellt. Das Display des derzeit einzigen verfügbaren TV-Handys SGH-P900 von Samsung löst 320 mal 240 Pixel auf, es stellt die Bilder also im Seitenverhältnis 4:3 dar und ist etwa 4,5 mal 3,4 cm klein. Schwerer als die »langen Gesichter« wogen aber Kompressionsprobleme, wie sie aus den Frühzeiten von DVB-T bekannt sind. Bei Schwenks der Führungskamera zeigten sich massive Artefakte: Aus der Streifenstruktur des Gladbacher Spielfeldrasens wurde auf dem Handy grüner Matsch.

Wie bei DVB-T ist bei DMB die Datenrate der einzelnen Programme skalierbar. Ganz offensichtlich sind in diesem Bereich, also bei der Kompression und der Formatierung noch »Justage-Arbeiten« dringlich nötig. »Ein Spiel, das richtig Appetit macht auf die Weltmeisterschaft«, hieß es im TV-Kommentar von Bela Rethy mit Bezug auf den Spielverlauf — für die ersten Handy-Zuschauer galt das mit Blick auf die Technik und die Bildqualität aber eher nicht.

Ausbau mit dem Zugpferd Fußball?

Laut Debitel werden bereits 2007 »die Gebiete mit DMB-Versorgung rund 75% der deutschen im Bevölkerung abdecken«. Binnen Jahresfrist will Debitel Kunden »im sechsstelligen Bereich« gewinnen, so Debitels Vorstand Kundenbeziehungen Dr. Christian Friege. Doch ausgerechnet das Werbeargument Fußball könnte sich dabei als kontraproduktiv erweisen. Wer sofort seinen neuenMobiltelefon-Account samt Zweijahresvertrag für das Handy-TV (Freischaltung 7,50 Euro, monatlich ab 9,95 Euro, Endgerät 199 Euro) bereichert glaubte, dürfte mit den Eindrücken des ersten übertragenen Fußballspiels unglücklich gewesen sein.

Wenn schnelle Bewegungen die Bildgestaltung dominieren, sind die Probleme massiv, ansonsten ist der Eindruck dagegen zumeist überzeugend. Das Bild war im Praxistest gut, ob an der Straßenecke, in der Berliner S-Bahn oder der Stuttgarter Straßenbahn. Allerdings gab es immer wieder kleine Empfangslöcher. Starke Sonneneinstrahlung aber ist der größte Feind des Outdoor-TV — ganz unabhängig von Display-Größe und –Typ.

Mit Limitationen muss man auch innerhalb von Gebäuden rechnen: Die Sendeleistung ist entsprechend der DAB-Vorgaben auf maximal 1 kW pro Standort limitiert. Für den großen Bruder DVB-T stehen dagegen beispielsweise in Berlin zwischen 10 und 120 kW zur Verfügung.

Programmangebot

Zum Glück wird bei »Watcha« nicht nur Live-Fußball fürs Geld geboten. Neben dem Vollprogramm des ZDF hat der Plattformbetreiber Mobiles Fernsehen Deutschland GmbH (MFD) für das erste nationale DMB-Angebot ein Paket geschnürt, das auch andere Inhalte umfasst. Enthalten sind ein Comedy-Kanal von ProSiebenSat.1, Videoclips von MTV und N24. Dazu gibt es BigFM2see, einen Radiosender, der sein Programm mit Grafiktafeln unterlegt.

ZDF und BigFM2see werden unverschlüsselt gesendet. Beide sind also auch mit nicht vertragsgebundenen Geräten empfangbar, die zum Beispiel der Distributor Albrecht angekündigt hat. Da im L-Band (1,5 Gigahertz) gesendet wird, können mit allen mobilen Empfangsgeräten, die im DMB-Standard funktionieren, auch regionale DAB-Radios gehört werden.

DMB vs. DVB-H: Technik, Markt, Politik«

DMB basiert schließlich auf dem in Deutschland mitentwickelten DAB-Standard. Die Impulse für DMB kommen aber aus Korea, wo seit Ende 2005 terrestrische (T-DMB) wie auch satellitenbasierte (S-DMB) Pay-Dienste angeboten werden. Mehr als eine Million Geräte, heißt es bei Samsung, seien bislang verkauft worden.

Samsung fokussiert auf China und Deutschland als Referenzmärkte. Seit Februar 2005 wird mit dem Bundesland Bayern kooperiert. Die dortige Landesmedienanstalt BLM initiierte das europäische Projekt »Mifriends« (Mobiles Interaktives Fernsehen, Radio, Information, Entertainment und Neue Digitale Services). Es soll mit je zwei Multiplexen in München, Regensburg, Südtirol und dem Bodenseeraum seit Anfang Juni 2006 Aufschlüsse über Technologie, Geschäftsmodelle und Nutzerbedürfnisse – auch für regionalen Content – liefern. Für DMB spricht die sofortige Verfügbarkeit einer nationalen Funk-Abdeckung. Daher haben alle Landesmedienanstalten erstmals die Lizensierungsverfahren für Plattformbetreiber und Programme auf eine nationale Basis gestellt.

Berlin-Brandenburg und die fünf norddeutschen Anstalten sehen dennoch eher Perspektiven im mit DMB konkurrierenden DVB-H (Digital Video Broadcasting – Handheld). Das wurde von DVB-T abgeleitet und scheint mit um die 4, in einem VHF- oder UHF-Kanal paketierbaren TV-Programmen kostengünstiger zu sein. In eine DMB-Bedeckung »passen« nur maximal 5 TV-Programme. Dem Engpass halten die DMB-Befürworter, darunter Bayerns Medienwächter Wolf-Dieter Ring, die kurzfristige Verfügbarkeit weiterer Ressourcen, künftig auch im Band III (VHF), entgegen. Ein weiterer Vorteil für DVB-H besteht darin, dass das System mit Internet-Protokollen arbeitet. Der Rückkanal über den Mobilfunk ermöglicht interaktive Anwendungen.

Für DVB-H werden bundesweite Kapazitäten erst auf der laufenden internationalen Frequenzkonferenz RRC06 freigeschaufelt. Mit einem Regelbetrieb ist daher nicht vor 2007 zu rechnen. Dabei wurde DVB-H in Berlin schon seit 2003 ausführlich erprobt. Nicht zuletzt setzen die Mobilfunkbetreiber T-Mobil, O2, Vodafone und E-plus eindeutig auf DVB-H. Eine gemeinsame bundesweite Betreiberplattform soll – angesichts der Frequenzknappheit – allen den Einstieg in den attraktiven Markt ermöglichen. Jeder aus dem Quartett könnte sein eigenes Angebot aus der Programm-Gesamtheit generieren und vermarkten. Die Zusammenarbeit soll — nach dem Vorbild der DMB-Plattform von MFD – das Auftreten gegenüber den Medienbehörden vereinfachen. Eine gemeinsame Technikplattform würde die Finanzierung erleichtern: von »mehreren Hundert Millionen Euro« ist dabei die Rede.

Trotz möglicher Bedenken des Bundeskartellamts zeigen die Mobilfunker Flagge: Gesendet, gestestet und öffentlich demonstriert wird zwischen Ende Mai und Ende August 2006 mit bis zu 16 TV- und weiteren Radioprogrammen, darunter mit regionalen Angeboten in den WM-Orten München, Berlin, Hamburg und Hannover. Der BR betreibt zudem in München ein DVB-H-Projekt.

Deutschland im Handy-TV-Abseits?

Trotz »Watcha« und der frühzeitigen DVB-H-Aktivitäten droht Deutschland beim Mobile-TV ins Hintertreffen zu geraten. In Italien, Finnland und den USA soll DVB-H noch 2006 in den Regelbetrieb gehen. In vielen weiteren Ländern ist die Einführung von DVB-H relativ weit fortgeschritten. Möglicherweise freut sich am Ende ein Dritter, wenn zwei sich streiten: Kürzlich gab Qualcom für seine »MediaFlo«-Technik eine Partnerschaft mit BSkyB bekannt.

Es gibt aber auch noch ganz andere Perspektiven: Digital Extended Broadcasting »DxB« soll DVB-H und DMB auf IP-Basis zusammenführen. Die Niedersächsische Landesmedienanstalt startete dazu am 29. Mai 2006 einen technischen Betriebsversuch, dessen Erkenntnisse im Frühjahr 2008 vorliegen sollen. Die israelische Firma Siano MS kündigte jüngst die Massenfertigung einer Lösung an, die einen Vierband-Tuner (VHF, UHF, L1, L2) und die Signalverarbeitung für DVB-T, DVB-H, DAB und DMB auf zwei Chips vereint — die zugehörige Software findet laut Anbieter Platz auf einer SD-Karte oder einem USB-Stick.

Nachtrag

Einige Tage nach dem Start des Watcha-Betriebs werden jetzt auch 16:9-Sendungen des ZDF im korrekten Seitenverhältnis dargestellt: Im Letterbox-Verfahren mit schwarzen Balken. Bei einem kleinen Display mit gerade mal 240 Bildpunkten in vertikaler Richtung ist es natürlich auch nicht optimal, wenn ein Teil der ohnehin geringen Pixelzahl nicht genutzt wird, aber immerhin gibt es jetzt keine »Eierköpfe« mehr. Auch an der Kompression wurde gearbeitet. Die Farbschlieren waren einige Tage nach dem ersten Test gegenüber den ersten Übertragungen deutlich gemildert.

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