Kamera: 23.12.2020

Die Kameraaugen des Fritz Lang

Hans Albrecht Lusznat bespricht das Buch »Der Einfluss der Kameramänner auf den Film der Weimarer Republik« von Axel Block.

480 Seiten Spezialwissen.

Bücher über Kameraleute, Bildgestalter oder DoPs gibt es wenige im reichhaltigen Angebot der Verlage. Nimmt man Biografien über einzelne Personen und Monografien über einzelne Filmwerke aus, dann bleibt nicht viel übrig. Jetzt hat Kameramann und BVK-Mitglied Axel Block ein 480 Seiten starkes Buch über »Die Kameraaugen des Fritz Lang« vorgelegt — mit der Frage, was ist »der Einfluss der Kameramänner auf den Film der Weimarer Republik«.

Axel Block, © Axel Block
Kameramann, Filmhochschullehrer und Autor Axel Block.

Es geht auch um das Urheberrecht, das in den Anfangsjahren des Films der Regisseur unangefochten für sich beanspruchte, denn in der Person hinter der Kamera sah er bestenfalls einen technisch begabten Operateur. Fritz Lang (Video am Artikelende), der sich selbst aber stets als Künstler positionierte, hat jedoch auch immer die Wichtigkeit der Teamarbeit betont und mit sehr verschiedenen Bildgestaltern gearbeitet. Auf die Zusammenarbeit Langs mit fünf Kameramännern fokussiert sich das Buch, die in der Zeitspanne zwischen 1922 bis 1934 mit Lang gearbeitet haben:

  • Carl Hoffmann              Dr. Mabuse der Spieler, 1922
  • Karl Freund                   Metropolis, 1926
  • Günter Rittau                Metropolis, 1926 (Trickszenen)
  • Fritz Arno Wagner       M – Eine Stadt sucht einen Mörder, 1931
  • Rudolph Maté               Liliom, 1934

Diese fünf Kameramänner aus dem deutschen Sprachraum waren später international sehr erfolgreich, und ihr Erfolg dürfte nicht nur an der Zusammenarbeit mit guten Regisseuren oder einer besonderen technischen Ausstattung während der Weimarer Zeit liegen.

Autor Axel Block bedient sich im Hauptteil des Buches der Filmanalyse einzelner Szenen und Sequenzen, um das Besondere in der Arbeit dieser fünf Kameramänner aufzuspüren. Für jeden Kameramann nimmt er einen weiteren Film mit einem anderen Regisseur in der gleichen Zeitspanne hinzu. Er konzentriert sich somit nicht nur auf die Arbeit für Fritz Lang, man kann dadurch auch Veränderungen und Weiterentwicklungen feststellen.

Ein Beispiel aus dem Buch, das zeigt, wie Axel Block analysiert.

Weil die Arbeit der Kameramänner auch im Zusammenhang mit der Zeit zu sehen ist, stellt Block auf über 50 Seiten eine Bestandsaufnahme der technischen Möglichkeiten in den 20er Jahren voran. Das fängt bei den Möglichkeiten des Geräts an, erzählt von Suchern, die mehr schlecht als recht die Kadrierung zeigten, diskutiert die Geschwindigkeit des Handkurbelns und die Geschwindigkeit der Vorführung (läuft der Film schneller, kann man mehr Vorführungen machen).

Er erklärt die Kopierwerksarbeit, Handentwicklung, Gradation und Belichtung, fehlende Belichtungsmesser und Rohfilmherstellung mit großer Empfindlichkeitsschwankung.

Zum Schluss stellt sich die Frage: Sind die oft aufwändig digital restaurierten Filme in der Vorführung heute vergleichbar mit dem, was die Zuschauer in den 20er Jahren im Kino sahen? Und was haben die Kameramänner in Kenntnis ihres Materials intendiert?

Für die Analyse hat sich Axel Block aus jedem der zehn besprochenen Filme eine Szene ausgewählt. Bei Metropolis ist es die Stelle im Film, in der der junge Hauptprotagonist Freder zum ersten Mal die Fabrikhalle betritt und Zeuge eines Unfalls wird. Durch die futuristische Stadt fährt er zum Büro seines Vaters, der verantwortlich für die Fabrik ist. Schritt für Schritt wird die Bildabfolge analysiert in Hinblick auf Kamerastandpunkt, Dekoration, Kamerabewegung, Licht und Bewegungs-Choreografie der Darsteller.

Karl Freund hatte zuvor mit Murnau den Film »Der letze Mann« gedreht, der immer auch mit der entfesselten Kamera in Verbindung gebracht wird. Sicher hat Freund mit seiner Bildauffassung Lang von den bevorzugten Tableaus zu einer eher raumorientierten Sicht mit spärlichen Bewegungen gebracht. Für Lang war Metropolis der letzte Monumentalfilm.

Auf 40 Seiten beschäftigt sich das Buch mit der Analyse einer Szene des Films »M«.

1931 drehte er  mit »M« einen der ersten deutschen Tonfilme. Diesmal zeichnete Fritz Arno Wagner (ein Jahr älter als Freund) für die Kamera verantwortlich, den Lang schon von »Der müde Tod« und »Spione« kannte. Auf 40 Seiten beschäftigt sich das Buch mit der Analyse einer Szene des Films, als dem Polizeikommissar ein Detail zum Nachdenken und später zu einer Lösung bringt. Parallel wird der Mörder von der aus Ganoven und Bettlern bestehenden Unterweltgesellschaft aufgespürt und mit dem M auf dem Mantel markiert. Tonfilmgerecht ist es natürlich eine Melodie, die Peter Lorre (Video) in der Rolle des Mörders pfeift und die einem blinden Luftballonverkäufer auffällt und die Mitglieder der Unterwelt zu ihm führt. Diese Szenenabfolge wird wieder in Aspekten der Lichtführung und Kameraperspektiven und Bewegungen ausgiebig erörtert. Sicher hat die Kameraarbeit diesem Film einen dokumentarischen anmutenden Blick gegeben, der vorher nicht in den Filmen des Fritz lang zu sehen war.

Auf die Ausgangsfrage, welchen  Einfluss die Kameramänner hatten, gibt es natürlich keine einfache Antwort, das zeigt schon die Dicke des Buches, das an vielen Beispielen die Einflüsse und Arbeitsweise diskutiert. Natürlich möchte man gleich in die Filme hineinschauen und das Beschriebene nachvollziehen, aber es reicht auch die umfangreiche Bebilderung mit Standbildern aus den Filmen, um einen genauen Eindruck des Beschriebenen zu bekommen. Teilweise hat Axel Block sogar die Auflösung der Szenen in einer Dekoration auf Plänen rekonstruiert, um die verschiedenen Kamerastandpunkte nachvollziehbar zu machen.

©Hans Albrecht Lusznat
Der Rezensent Hans Albrecht Lusznat ist selbst Kameramann.

In diesem Buch steckt eine enorme Arbeit. Das spürt man, und deshalb macht es Spaß, darin zu lesen. Egal wo man aufschlägt, relativ schnell ist man gefangen und blättert vor und zurück und erfährt so viel Wissenswertes, egal ob man die Filme kennt oder sich erst einen Überblick verschaffen muss. 694 Fußnoten – allein das ist schon eine enorme Arbeitsleistung – verweisen auf Literatur und Publikationen, denn Fritz Lang ist schon länger Forschungsfeld in der Filmwissenschaft. Der Anhang bietet noch eine umfangreiche Literaturliste, für die Nichtfachleute ein Glossar und natürlich die Biografien und Filmografien der erwähnten Kameramänner, die man dann nicht bei Wikipedia nachschlagen muss.

2020 Edition Text und Kritik München
ISBN 978-3-96707-421-5
Broschiert 15 x 23 cm
480 Seiten
462 Abbildungen
38,99 Euro

 

Autor
Hans Albrecht Lusznat

Bildrechte
Hans Albrecht Lusznat (1), Buch Axel Block, Axel Block

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