Avid will Pinnacle übernehmen
Es klingt wie ein verfrühter Aprilscherz, aber die Quellen sind solide: Avid und Pinnacle gaben gemeinsam bekannt, dass Avid eine eindeutige Absichtserklärung abgegeben habe, Pinnacle durch eine Mischung aus Aktientausch und Kauf zu übernehmen.
Für insgesamt rund 462 Millionen US-Dollar will Avid demnach seinen Konkurrenten Pinnacle kaufen, das gaben die Unternehmen gemeinsam bekannt. 71,3 Millionen sollen tatsächlich als Geld fließen, der Rest mit 6,2 Millionen Avid-Anteilen zu einem Preis von je 62,95 Dollar (entsprechend dem Endstand am Freitag, 18. März 2005) ausgeglichen werden. Die ehemaligen Pinnacle-Aktionäre sollen nach Abschluss der Transaktion rund 15 Prozent an Avid halten. Sowohl bei Avid wie bei Pinnacle hat der Aufsichtsrat dieser Akquisitionserklärung zugestimmt. Avid will die zudem noch notwendige Zustimmung der Anteilseigner bei der Jahresversammlung einholen, Pinnacle eine außerordentliche Sitzung einberufen, um die Zustimmung zu erhalten.
Pinnacle, in früheren Jahren bekannt durch zahllose Akquisitionen, etwa auch durch den Kauf des deutschen NLE-Anbieters Fast, wird damit selbst geschluckt. Der NLE-Markt verliert einen weiteren Wettbewerber. Dass es im NLE-Markt noch weitere »Bereinigungen« geben würde, hatten viele Branchen-Insider erwartet, die wenigsten davon dürften aber in Richtung dieser Akquise spekuliert haben.
Die Chefs der beiden Unternehmen kommentieren den Branchenknaller, der so kurz vor der NAB natürlich besondere Signalwirkung hat, wie stets in solchen Situationen sehr diplomatisch und mit strammem Blick auf die Börse. David Krall, Präsident und CEO von Avid: »Wir sehen diese Akquisition als nächsten logischen Schritt in unserer Langzeit-Strategie. Genau wie uns die Akquisition von M-Audio in 2004 in das Consumer-Audio-Business brachte, können wir durch den Erwerb des Consumer-Video-Business von Pinnacle die nächste Generation von Video-Editoren direkt mit unseren Produkten bekanntmachen – noch während sie sich in der Ausbildung befinden. Avid erhält so ein enormes Potenzial an zukünftigen Kunden. Gleichzeitig erwarten wir, dass wir die professionellen Broadcast-Produkte von Pinnacle nahtlos in das Avid-Angebot integrieren und damit unsere End-to-End-Broadcast-Lösungen mit Servern und On-Air-Grafikprodukten erweitern können. Es ist schwierig, zwei sich besser ergänzende Geschäftsbereiche zu finden, als sie in dieser Kombination gegeben sind.«
Patti Hart, Chairman und CEO von Pinnacle: »Wir glauben, dass diese Transaktion einen signifikanten Mehrwert für unsere Aktionäre und eine exzellente Gelegenheit für ein fortgesetztes Wachstum für die beiden Gesellschaften darstellt. Avid hat einen wohlverdienten Ruf sowohl für effektives Business-Management als auch als technologisch-innovatives Unternehmen mit Tradition in der Video- und Audio-Branche. Mit unseren preisgekrönten Produkten wie Pinnacle Studio, Pinnacle Liquid Edition und unserem umfangreichen Portfolio an Broadcast-Produkten werden wir Avids Geschäftsbereiche ergänzen und diversifizieren. Unsere Kunden können ein noch reichhaltigeres Angebot von einer Firma erwarten, die noch zukunftsorientierter sein wird. Wir sehen diese Entwicklung als richtigen Schritt für Pinnacle und freuen uns, Mitglied der Avid-Familie zu werden.«
Das klingt ganz so, als seien Pinnacle und Avid wie für einander geschaffen und hätten bislang gar nicht miteinander konkurriert, sondern seien nur in eine Art von Balztanz verwickelt gewesen. Die Realität sieht natürlich etwas anders aus, schließlich zieht einer Übernahme dieser Größenordnung auch negative Folgen nach sich: Personalabbau dürfte wird wohl vor allem auf der Seite von Pinnacle die Folge der Akquisition sein. Zudem ist es eher unrealistisch, dass Avid im NLE-Bereich zu seinem bestehenden Portfolio auch noch alle Systeme addieren wird, die Pinnacle in diesem Segment anbietet. Ob Avid Pinnacles Vortex weiterführt, ist wohl auch eine offene Frage.
In der Tat gibt es aber neben den Überschneidungen auch Ergänzungen, die David Krall ja auch benennt: On-Air-Grafik und Server von Pinnacle werden den Newsroom- und Playout-Bereich von Avid stärken. Auch Pinnacles Consumer-NLE-Lösungen ergänzen Avids Portfolio an einer Stelle, wo in den vergangenen Jahren Apple massiv ansetzte. Auch zeigte sich Pinnacle bei Themen wie MXF-Integration, XDCAM-Anbindung und HDV-Kompatibilität in den vergangenen Jahren aktiver und war oft schneller als Avid.
Die Übernahme von Pinnacle durch Avid ist ein Coup, der Avid auch bei einigen Broadcastern die Türen (weiter) öffnen wird, die sich in den vergangenen Jahren für Pinnacle-Systeme entschieden hatten. Um es sich mit dieser wichtigen Klientel nicht zu verscherzen, wird Avid die dort eingesetzten Produkte mit Sicherheit noch einige Zeit weiterführen, oder adäquate Cross-Grade-Angebote unterbreiten. Die parallele Entwicklung der Produktlinien wird aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit schon aus wirtschaftlichen Erwägungen nicht über viele Jahre erfolgen, denn die Akquisition ergibt für Avid nur dann einen Sinn, wenn Pinnacle integriert und nicht als Paralleluniversum fortgeführt wird.
Das wird auch in weiteren Ausführungen von David Krall deutlich: »Als Resultat dieser Transaktion erwarten wir zudem Ausgabenersparnisse der unterschiedlichsten Art, zum Beispiel durch Nutzung gemeinsamer Infrastrukturen und durch den gemeinsamen, internationalen Vertrieb des erweiterten Portfolios.«
Wie bei jeder größeren Firmenübernahme wird es ganz sicher kräftig knirschen, bis dabei alles rund läuft und es werden ohne Zweifel einige Produkte und Projekte von Pinnacle und vielleicht auch ein paar wenige von Avid auf der Strecke bleiben. Die nahtlose Integration innerhalb der Produktpalette, die zumindest bei der Bedienoberfläche noch relativ groß ist, war immer ein Argument von Pinnacle, wie von Avid. Beide Ansätze nutzerfreundlich zu verschmelzen und vielleicht sogar Projektkompatibilität her zu stellen, ist zweifellos eine große Herausforderung.
Die Akquisition unterliegt noch einer Reihe zu erfüllender Vorbedingungen, einschließlich der Zustimmung der Anteilseigner sowie der Regulierungsbehörden. Der Abschluss wird für das zweite oder dritte Quartal 2005 erwartet.
Der Zeitpunkt der Einigung auf Geschäftsführerebene hat zwei Seiten: Maximale Aufmerksamkeit ist den beiden Unternehmen während der NAB2005 sicher, die vom 16. bis 21. April in Las Vegas stattfindet. Dort sollten die Verantwortlichen aber auch schon etwas konkretere Antworten auf die eine oder andere Frage haben, die diese Akquisition aufwirft.