Branche, Top-Story: 16.03.2006

Bavaria: Kulturauftrag als Verpflichtung

Seit Januar 2006 steuert Dr. Matthias Esche – gemeinsam mit Dr. Dieter Frank – die Geschicke der Bavaria Film Gruppe. Im Interview sagt er: »Der Kulturauftrag ist eine permanente Verpflichtung.«

Der 54-jährige gebürtige Lübecker Dr. Esche war zuletzt Geschäftsführer der Hamburger Polyphon-Gruppe. Dort hat er unter anderem für die ARD den »Untergang der Pamir« produziert. In Geiselgasteig fand er den Zweiteiler »Störtebeker« vor. In ersten Interviews mit epd und der Süddeutschen Zeitung war vom »Traumschiff Bavaria« die Rede. Maritime Assoziationen liegen da nahe.

Dr. Esche, die Bavaria Film befand sich in stürmischer See. Wie wollen Sie dieses »Traumschiff« und seine Besatzung wieder in ruhigeres Fahrwasser steuern?

Dr. Esche: Wir werden nach der Aufarbeitung der Krise des vergangenen Jahres das Tor für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit unseren Gesellschaftern und Auftraggebern wieder aufstoßen und unsere Akquisitionsmöglichkeiten auf der Grundlage bewährter Programmfarben ausschöpfen. Die Bavaria hat in der schwierigsten Zeit den Programmerfolg »Sturm der Liebe« gestemmt. Das wird uns in der ARD hoch angerechnet. Wir sind in der Produktion wie in der Dienstleistung sehr gut mit dem ZDF verbunden. Und wir haben, wenn wir uns dem Wettbewerb der Ideen stellen, auch alle Chancen bei den privaten Sendern. So startet am 21. April bei RTL unsere Comedy »Alle lieben Jimmy«, die mir sehr gut gefällt. Wenn diese Serie das hält, was ich mir von ihr verspreche, dann wird uns das eine Vielzahl neuer Möglichkeiten bieten.

Warum ist die Bavaria ein »Traumschiff«?

Dr. Esche: Das »Traumschiff« ist ja ein Bild dafür, dass wir in der breitesten Palette bei der Bavaria Programme herstellen. Auf der einen Seite verwirklichen wir Träume, Illusionen, aber wir wissen ja auch – um auf den Kulturauftrag zu sprechen zu kommen – dass die Bandbreite unserer fiktionalen Produktionen auch Sperriges, Kritisches, nicht so leicht Verdauliches, im weitesten Sinne auch Filmkunst beinhaltet. Es sollte uns genauso beflügeln wie die Erfolge in den unterhaltsamen Programmfarben, dass wir – die Bavaria und ihre Töchter – für sechs Grimme-Preise nominiert sind und an zwei Filmen, die mit Silbernen Bären ausgezeichnet wurden, nicht unmaßgeblich beteiligt waren. Wir sind ja nicht nur ein Produktionsunternehmen, sondern die Dienstleistung ist ein elementarer Geschäftsbereich der Bavaria.

Unsere Kraft liegt in der innovativen Verschränkung beider Bereiche. Nur so sind wir in der Lage, dem ständigen Kostendruck zu begegnen und qualitativ hochwertige, aber dennoch bezahlbare Programme herstellen zu können.

Wollen Sie Produktionsschwerpunkte verändern?

Dr. Esche: Die Gewichtung stimmt: Wir machen die neue »Gardasee«-Serie und die »Lindström«-Reihe für das ZDF, es werden populäre 90-Minüter für die Degeto produziert, das können wir ausbauen, da können wir mehr machen. Unsere Lebensader ist der »Marienhof«, »Sturm der Liebe« und unsere Serien sind unsere Ernährungsstränge.

Auf der anderen Seite machen wir zwar nicht zu wenige kulturelle Programme, aber es gibt eine permanente Verpflichtung eines Unternehmens mit öffentlich-rechtlichen Eigentümern, dass wir aus einer wirtschaftlich gesicherten Position auch kulturelle Programmherausforderungen annehmen. Das kann in dem Maße mehr werden, wie wir unsere Ertragskraft halten oder steigern können. Dazu zähle ich auch Kinofilme, die wir auch vermehrt planen wollen.

Der Begriff »Kulturauftrag« scheint Ihnen sehr wichtig zu sein. Welche Bedeutung hat dieser Begriff für Ihre jetzige Aufgabe?

Dr. Esche: Das ist ein weitgespanntes Feld. Eben habe ich von den Serien-»Ernährungssträngen« gesprochen, die auch auf einem handwerklichen wie künstlerischem Niveau produziert werden, dessen wir uns nicht schämen müssen. Ich möchte nicht, dass ein Gegensatz entsteht: auf der einen Seite das Triviale, das wir nur machen, um Geld zu verdienen. Das muss ernst genommen und gut gemacht werden. Standards sind wichtig, damit das Publikum seine Anspruchsfähigkeit nicht verliert.

Auf der anderen Seite gibt es den – wenn man so will – klassischen Kulturauftrag.

Dazu gehören Dokumentationen und Event-Programme beispielsweise. Ich bin der Meinung, dass ein Unternehmen wie unseres den Auftrag hat, solche Programme zu stemmen. Andere, rein kommerzielle Unternehmen, sind immer geneigt, nur auf den Quotenerfolg zu achten. Die Kategorien für Erfolg bilden ein magisches Fünfeck: Die Kriterien sind die Quote – wir wollen mit allen Produktionen die maximale Zuschauerzahl erreichen –, die Wiederholungsfähigkeit, die Wirtschaftlichkeit und die veröffentlichte Kritik. Schließlich das letzte Kriterium, das wir sehr ernst nehmen und gleichzeitig die höchste Belohnung für jeden ist, der etwas produziert, für die Kreativen in der ganzen Gruppe: Wenn nämlich andere, vielleicht Mitbewerber nach einer Sendung anrufen und sagen: »Du, was ich gestern von Dir gesehen habe, das war richtig klasse.«

Das Interview führte Hansgert Eschweiler von Bavaria Film, es erschien zuerst in der Bavaria-Publikation »Streiflichter«.