Branche, Top-Story: 22.02.2007

JPEG2000 von der Kamera bis auf die Leinwand?

Schon vor den USA begann Europa die Debatte um Standards für das digitale Kino. Nach Hollywoods Digital Cinema Initiative (DCI) steht nun das EU-Projekt »World Screen« kurz vor dem offiziellen Abschluss. Am Rande der Berlinale präsentierten die Beteiligten die Ergebnisse des Projekts.

Federführend beim Projekt »World Screen« war das Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen (IIS), das im Bereich digitaler Produktion und Projektion schon etliche Technologien entwickelt hat. Die Mitwirkung von Partnern wie Kodak und Arri am World Screen-Projekt deutet auf einen breiteren Ansatz hin, den die Europäer im Vergleich zu den amerikanischen DCI-Kollegen haben: Bei World Screen geht es nicht nur um die digitale Projektion, Europa betrachtet stattdessen den gesamten Workflow vom Dreh bis ins Kino. Dabei spielt, so Projektleiter Siegfried Fößel (Fraunhofer IIS), das Kompressionsverfahren JPEG2000 (kurz: J2K) eine wichtige Rolle: Es soll durchgehend hohe Qualität in 2K oder 4K-Auflösung sichern und günstigere Kosten bringen. Die Kompression mit 4:1 oder 6:1 schon direkt hinter der Kamera sei »fast verlustfrei«.

Als Teil des gesamten Workflows zeigte Fraunhofer IIS die gemeinsam mit Arri entwickelte digitale Kinokamera D20. Mit ihr kann in der Produktion dank eines Sensors von der Größe des 35-mm-Bildfensters, filmähnlich gearbeitet werden. Das zweite Glied in der Kette könnte der von Fraunhofer IIS entwickelte, portable Field Recorder Megacine sein. Das Gerät soll die in der Kamera erzeugten Daten speichern. Im Postproduktionsbereich hat Fraunhofer IIS keine eigene Entwicklung vorzuweisen, man setzt hier vielmehr darauf, dass Import- und Exportfilter für diverse Postprodcution-Systeme entwickelt werden, auch wenn derzeit noch die wenigsten Systeme JPEG2000-Material bearbeiten können. Eher unzufrieden zeigte sich Siegfried Fößel mit Test-Filmen, die etwa zehn Posthäuser zum World-Screen-Projekt beigesteuert haben. Alle nutzen demnach eigene Lookup-Tables (LUT), machten allerdings keine Referenzierungs-Angaben, so dass die Vergleichbarkeit in Frage gestellt sei.

Metadaten-Strukturen sollen die Unmengen von Terabytes, die sich bis zum letzten Drehtag auf den Datenträgern versammeln, beherrschbar machen. Der Versuch, für die gesamte Kette eine Art »Lexikon der Metadaten« zusammenzustellen hat sich allerdings, so Flying-Eye-Berater Mike Christmann, geradezu als »Albtraum« erwiesen.

Ihre »Digital Cinema Factory« (siehe Meldung) sieht T-Systems laut Wolfgang Ruppel schon bei 100 angeschlossenen Leinwänden als wettbewerbsfähig an. Der Datentransfer der »Digital Cinema Packages« ins Kino sei noch ausbaufähig. Ruppel rechnet vor: Wird per Satellit mit DVB-S2 und 50 Mbps übertragen, dauert die Übertragung eines digitalen Films etwa drei bis fünf Mal solange wie die Laufzeit des Films. Das kann aber laut Ruppel durch Zusammenschaltung von Sat-Transpondern optimiert werden. Künftig könnte per ATM-Glasfaserleitung und bei 150 Mbps der Transfer nahezu in Echtzeit erfolgen.

Nicht nur für den Zuschauer ist das Kino der Prüfstein für die hochqualitative Produktion. Dort ist offenbar ebenfalls noch einiger Entwicklungsbedarf vorhanden. So sorgen die unterschiedlichen Quellen der Pre-Show-Inhalte (sprich: Werbung und Trailer) für Qualitätsunterschiede, die gegen eine gute 2K- oder künftig gar 4K-Projektion des Hauptfilms erheblich abfallen. Was aber ist eine gute Projektion? Aufgrund unterschiedlicher Einstellungen an Servern und Projektoren könnte ein und derselbe Film auf der Leinwand unterschiedlich aussehen.

JPEG2000 ist zugleich der Berührungspunkt zu DCI. Auch die Amerikaner setzen — zumindest im Kino — auf JPEG2000, das den bisher verwendeten MPEG-Varianten die Berechnung der Kompression auf Grundlage von Einzelbildern voraus hat. MPEG fasst hingegen aufeinander folgende Einzelbilder zu einer Group of Pictures (MPEG) zusammen und komprimiert bewegungsadaptiv. Zudem, eines der Hauptargumente für JPEG2000, lassen sich in jeder Produktionsphase skalierbare Datenstrukturen bei hoher Bildqualität schaffen. Dies ist naturgemäß einer der Ausgangspunkte für die immer wichtiger werdende Multiplattform-Verwertung von der großen Leinwand über HDTV bis zum ins Handy oder den PDA integrierte mobile Mini-TV.

Schließlich, resumiert Siegfried Fößel, will man beiderseits des Ozeans einen weltweiten Standard für das digitale Kino voranbringen. Nicht zuletzt darum hat sich die EU das im April auslaufende World-Screen-Projekt drei Millionen Euro kosten lassen, die beteiligten Unternehmen haben die Summe verdoppelt. Dabei will es die EU nicht bewenden lassen. Ein Gutteil der neun Milliarden Euro (die um Unternehmensleistungen verdoppelt werden), die zwischen 2007 und 2013 für den ICT-Bereich geplant sind, soll in Forschungen für Medientechnik investiert werden.

Digitales Kino stellt sich in Deutschland indessen nicht nur als R&D-Aufgabe dar. Die Filmförderungsanstalt hat zwei Studien beauftragt, die im April 2007 vorliegen sollen: Im Hause Fraunhofer wird ein technisches Pflichtenheft erarbeitet und Price Waterhouse Coopers soll sich zu Finanzierungsmodellen äußern – damit das digitale Kino in allen seinen Facetten von der 3D-Projektion über Mainstream und Arthouse bis zu den für attraktiv gehaltetenen »Public Viewings« Realität wird.