Branche, Top-Story: 30.07.2009

HDTV in Deutschland: Jetzt geht’s los?

Die Zeit ist reif für HDTV. Aber wissen die Zuschauer das auch? Peter Dehn hat Zweifel und fasst den aktuellen Stand von HDTV in Deutschland zusammen.

Jüngst entdeckte die Promotion-Organisation Digital UK den ältesten Fernseher Englands, der noch genutzt wird: Ein Marconiphone 702, das schon den Beginn des BBC-Regelbetriebs am 2. November 1936 erlebte. Die 405 Sendezeilen galten damals als »hochauflösend«. Der stolze Besitzer speist den Technikveteranen heute über einen DVB-T-Receiver und einen Zeilenkonverter. Er schaut sich damit gerne Schwarzweiß-Cartoons aus den 30ern an…

Die Bemühungen um ein besseres Fernsehbild haben seit dem Start des Mediums nicht aufgehört: 1953 folgte in den USA das NTSC-Farbfernsehen, 1967 spaltete sich Farb-Europa zwischen PAL und SECAM. Auch bei den Geräten hat sich viel getan: 12 Zoll Bilddiagonale, wie sie das Marconiphone bietet, findet man heute bei portablen Geräten. Im Wohnzimmer sind indessen andere Dimensionen gefragt: Endeten die Möglichkeiten der Bildröhre in der Größenordnung um die 32 Zoll, überschreiten LCD- und Plasmaschirme die Grenze von 50 Zoll und sind dabei nur ein paar Zentimeter tief. Deshalb müssen nun dringend mehr Pixel auf den Schirm.

Daran wird seit mehr als 20 Jahren unter dem Stichwort HDTV gearbeitet. Die erste Norm HD-Mac erwies sich in den 90ern als analoge Sackgasse. Dann eröffnete die Digitaltechnik neue Möglichkeiten und nun kann HDTV endlich kommen: Der 12. Februar 2010 soll dabei TV-Geschichte markieren, denn an diesem Tag soll anlässlich des Beginns der Olympischen Winterspiele in Vancouver der HDTV-Regelbetrieb bei ARD und ZDF beginnen — 74 Jahre nachdem das Fernsehens in Deutschland in öffentlichen Fernsehstuben seinen Anfang nahm und 43 Jahre nach dem symbolischen Einschalten der Farbe,

In Wahrheit gingen aber schon im Jahr 2005 deutsche Programme in HDTV on air und wurden teilweise auch wieder abgeschaltet, weil das Interesse zu gering war. Seit 2007 bewerben ARD und ZDF das neue, »fünfmal schärfere« Fernsehen (Astra-Kampagne) mit »Showcases«. Aktuell nutzen ARD und ZDF ihre Funktion als Host-Broadcaster der Leichtathletik-WM in Berlin vom 15. bis 23. August (Meldung). Das Weltsignal muss ohnehin in HD produziert werden und das verwerten die Sender parallel zum »normalen« down-konvertierten Programm auf den Sonderkanälen ARD HD und ZDF HD.

Sport-Events als Stichtage und als Materialschlachten

Die Übertragung der Leichtathletik-WM in Berlin wird, mehr noch als Fußball-Produktionen, in einer wahren Materialschlacht umgesetzt. 80 Kameras produzieren Bilder der parallel stattfindenden Wettbewerbe, die jeweils in Subregien vorsortiert werden. Dazu kommen bei ARD und ZDF weitere neun »nationale« Kameras. Hochleistungssignalverbindungen stellt ein Glasfasernetz von Media Broadcast bereit: Über das NGN können mehrere HD-Signale parallel in Echtzeit mit einer Datenrate 1,5 Gigabit pro Sekunde übertragen werden (Meldung).

Noch sind die großen Übertragungsfahrzeuge, ausgelegt in »Fußball-Dimensionen« mit bis zu 30 Kameras, eine Domäne von Dienstleistern wie Topvision oder Studio Adlershof. Das ZDF aber will zur WM in Berlin auch seinen ersten eigenen HD-Truck in Dienst stellen. Vorreiter bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten in Deutschland war bei der ARD ausgerechnet der kleine Saarländische Rundfunk, der schon 2007 einen 5-Kamera-Ü-Wagen in HD-Technik in Dienst stellte.

Die Winterspiele in Vancouver stellen das HD-Stichdatum für den MDR dar, der für die ARD die Olympia-Federführung übernimmt: Studio Hamburg MCI baut in Leipzig das Studio 1 für den Betrieb mit acht HD-Kameras um, 230 Sendestunden sind geplant (siehe Meldung).

Als »echte Herausforderung« bezeichnet Jörg-Peter Jost, Bereichsleiter Zentraltechnik des Hessischen Rundfunks, die Integration einer HDTV-Sendeabwicklung, geliefert von Grass Valley, während des laufenden Betriebs im Frankfurter ARD-Stern.

Zukunft oder Gegenwart?

Es wird also etlicher Aufwand getrieben, um den Start des HDTV-Regelbetriebs bei den Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland umzusetzen. Somit wird HDTV auch in Deutschland endlich Realität und Gegenwart. Trotzdem handelt es sich letztlich um Investitionen in die Zukunft, denn die aufwändige Produktion der Leichtathletik-Rekordjagd wird auf der Zuschauerseite noch an Grenzen stoßen. Zwar ist laut Marktforschung jeder dritte Erst-Fernseher in Deutschland »HD ready« – kann also prinzipiell HDTV-Bilder wiedergeben. Die werden aber üblicherweise per HDMI-Kabel von einer Settopbox aus ins TV-Gerät gespeist: Nur zwei Prozent der deutschen Haushalte betreiben jedoch eine STB, mit der sich auch tatsächlich HDTV-Programme empfangen lassen. Die Zahl der Fernsehgeräte mit integriertem HDTV-Empfänger ist derzeit so gering, dass man sie vernachlässigen kann.

HDTV gegen Aufpreis

Am meisten HD-Auswahl hat derjenige unter den Besitzern von HD-STBs, der per Satellit empfängt und zusätzliche Kosten in Kauf nimmt: Die meisten der momentan 86 über Astra verbreiteten europäischen HDTV-Programme sind nämlich kostenpflichtig. Eine Ausnahme machen ARD und ZDF, die eine Verschlüsselung generell ablehnen. Frei empfangbar sind außerdem Arte HD sowie das private Anixe HD. Unter den sieben kostenpflichtigen HDTV-Programmen des Pay-TV-Anbieters Sky findet sich neben den eigenen Spielfilm- und Sportkanälen auch Eurosport HD, das 60 Stunden von der Leichtathletik-WM senden will.

Die großen privaten Programmfamilien werden im Herbst 2009 und Frühjahr 2010 auf die Plattform »HD+« von Astra aufspringen (siehe Meldungen zu RTL und P7S1). RTL und Vox wollen im Spätherbst, ProSieben, Sat.1 und Kabel1 Anfang 2010 in HDTV senden. HD+ soll aber keineswegs kostenlos angeboten werden, sondern ist als Prepaid-Modell konzipiert. Über die Kosten soll, ebenso wie über die Kompatibilität mit schon verkauften HDTV-Receivern, während der Funkausstellung in Berlin informiert werden.

Auch Kabelkunden werden wohl bei HDTV zusätzlich zur Kasse gebeten, selbst dann, wenn sie nur die über Satellit gratis verfügbaren HD-Sender sehen wollen. An den Sendern liegt das nicht: Laut Produktionsdirektor Andreas von Bereczky bietet das ZDF »das Signal allen Kabelnetzbetreibern kostenlos« an. Insgesamt ziehen sich die Verhandlungen mit den Kabelnetzbetreibern in die Länge. Kabel BW geht nach eigenen Angaben davon aus, dass »alle Privatsender mit ihren HD-Angeboten auch die Mehrheit der Fernsehzuschauer« erreichen wollen. Man erwarte daher, dass die Anbieter »zeitnah auf uns zukommen werden«. HDTV in der Warteschlange?

Der dritte Verbreitungsweg für Programme in HD heißt DSL— auch wenn das den allermeisten Endkunden bisher völlig unklar und schleierhaft geblieben ist. T-Home bietet »ausgewählte Filme und Sendungen in gestochen scharfer High-Definition-Qualität« via DSL an und schafft mit der bewusst unscharfen Formulierung ganz sicher kein Vertrauen. Dass man dafür einen Aufpreis von mindestens 55 Euro auf seinen VDSL-Internetzugang bezahlen muss, macht die Hürde noch höher. Für das Fußballbundesliga-Paket »Liga total« kommen nochmal 20 Euro oben drauf.

Es wird also vom Endkunden nicht nur verlangt, dass er in Geräte investiert, sondern es wird auch für den laufenden Fernsehbetrieb an verschiedenen Stellen noch zusätzlich die Hand aufgehalten. Nicht dass man von der Netz/Satelliten-Betreiberseite für die Gebühren keine guten Gründe anführen könnte: Aber wenn man die Latte immer höher legt, sollte man sich auch nicht wundern, wenn nur wenige drüber springen. So löst man mit Sicherheit keinen HDTV-Boom aus.

Und wer die Endkunden aus dem Auge verliert, der sollte sich auch nicht wundern, wenn die lieber ihr Marconiphone 702 mit Schwarzweiß-Cartoons aus den 30ern beschicken…

Autor
Peter Dehn, Nonkonform

Bildrechte
Dehn, ARD, ZDF, Digital UK, Messe Berlin/Archiv Dehn, SR

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