Editorial, Kommentar, Top-Story: 23.09.2010

Elvis has left the building

Bei der IBC vor zwei Jahren war Apple in aller Munde: »Wenn man über die IBC2008 läuft, kann man phasenweise den Eindruck gewinnen, dass Final Cut Pro mittlerweile fast schon so etwas wie ein Standard-NLE-System darstellt«, hieß es damals in einer IBC-Meldung bei film-tv-video.de.

Und heute? Der Zustand hat sich verfestigt. Dass mit RTL vor kurzem Deutschlands größte private TV-Senderfamilie komplett auf Final Cut Pro umgestellt hat, ist ein weiterer, klarer Indikator. Ein symbolträchtiges Beispiel auf der Herstellerseite rundet das Bild ab: Arris digitale Erfolgskamera Alexa nutzt Apples für Final Cut erfundenen ProRes-Codec.

Und was macht Apple? Herzlich wenig: Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Apple die Lust am professionellen Videobereich verloren hat und alle Ressourcen auf lukrativere, wachstumsstärkere Bereiche lenkt. Aus dem aktiven Messe- und Roadshow-Geschehen im Broadcast-Bereich hat sich Apple ohnehin komplett verabschiedet und für den Profibereich schon viel zu lange keine großen Produktneuheiten mehr vorgestellt. Droht nun auch den Apple-Softwares Color und vielleicht sogar FCP, das Schicksal von Shake?

Ob diese Sorge berechtigt ist, könnte nur Apple selbst beantworten, aber der erfolgreiche Konzern hat es eben nicht nötig, zu kommunizieren, wenn er gerade keine Lust dazu hat. Und so herrscht Schweigen im Wald.

Mit einer gewissen Bissigkeit könnte man sagen: Apple hat den Profi-Videomarkt ordentlich aufgemischt, die NLE-Preise ruiniert, damit einige Konkurrenten ausgeschaltet und viele Post- und Broadcast-Häuser überzeugt, mit Apple-Produkten zu arbeiten — nur um dann die Lust an diesem Markt wieder zu verlieren, den Bereich zu verlassen und sich neuen Märkten zuzuwenden, die vielversprechender wirken. Rächt sich nun die phasenweise Apple-Euphorie der Branche?

Noch immer ist Apple indirekt bei den großen Broadcast-Messen omnipräsent: mit seiner Schnitt-Software, mit zahllosen iPhones und iPads in den Taschen von Medienmenschen, und mit Apps, in denen viele die Zukunft der Medienbranche sehen. Außerdem haben sich Systemintegratoren daran gemacht, die Videofunktionalität von Apple-Computern vielfältig zu nutzen und diese in Mediensysteme zu integrieren. Apple selbst hat aber eben schon viel zu lange keine Impulse mehr in der Videobearbeitung gesetzt, als dass man nicht stutzig werden könnte.

Ebenso rätselhaft wie die Sphinx namens Apple, bleibt das Verhalten der NLE-Konkurrenz: Keiner nutzt es im Profi-Markt bisher wirklich aus, dass von Seiten des Marktaufrollers derzeit nur ein laues Lüftchen weht.

Vielleicht wird ja bei Apple am nächsten großen Wurf für den Videomarkt gearbeitet — vielleicht aber auch nicht. Innovationsfelder gäbe es hier jedenfalls noch genug. Und so bleibt die Frage, ob die Branche nun letztlich wieder unter sich ist und nur zu einem größeren Teil mit anderen Computern arbeitet.

Sie werden sehen.