Innere Werte
Es gibt Software-Oberflächen, bei denen man heute noch den kalten Hauch der Windows-Anfänge spürt und meinen könnte, Bill Gates höchstpersönlich habe dafür gesorgt, dass sich zahllose, hinter kryptischen Icons versteckte Funktionen auf engstem Raum tummeln, einzig mit dem Ziel, den Anwender wahlweise zu überfordern oder zu verwirren. Wahrscheinlich aber tut man einem der wohlhabendsten Menschen der Welt mit dieser Einschätzung Unrecht, denn die Zeiten haben sich geändert: Auch Microsoft-Software hat in dieser Hinsicht längst ihre Schrecken verloren — und Bill Gates ist längst als Philanthrop in der Welt unterwegs.
An Softwares, die es nicht schaffen, ihre Anwender mitzunehmen und mit einer verständlichen Oberfläche zu leiten, mangelt es dennoch nicht. Viel zu oft überfordern komplexe Programme ihre Anwender und schaffen es nicht, ihre Leistungsfähigkeit so zu verpacken, dass derjenige, der davor sitzt, auch tatsächlich etwas damit anfangen kann. Gleichzeitig sind es die Anwender aber immer mehr gewohnt, mit einfachen Smartphone-Oberflächen zu arbeiten und die Bereitschaft, andere Oberflächen zu akzeptieren sinkt: »Bei meinem Telefon funktioniert das ganz einfach, wieso ist das bei der Software auf dem Firmenrechner so kompliziert und umständlich?«
Daraus erwachsen auch im Medienbereich neue, wichtige Anforderungen: Unternehmen wie Google oder Facebook geben mit ihren Apps und Programmen den Takt vor. Gleichgültig, ob man deren Benutzerführung für sinnvoll halten mag oder nicht, ob man sich vielleicht sogar bevormundet fühlt: Sie sind etabliert, haben die Massen auf ihrer Seite, sie funktionieren und verbergen unter einer einfachen Oberfläche leistungsfähigste Algorithmen.
Das geht an Software-Unternehmen aus dem Medienbereich nicht spurlos vorbei: Was auf der Oberfläche zu sehen ist, soll möglichst einfach zu begreifen und zu bedienen sein, mögliche Fehlerquellen sollen von vornherein ausgeschlossen werden. Unter der Haube aber sind leistungsfähigste Konzepte gefragt, die dem Anwender das Leben so leicht wie möglich machen, alles beschleunigen und effizienter gestalten sollen. Man könnte das Paradigma vielleicht auch so zusammenfassen: Volle Funktionalität, aber bitte idiotensicher verpackt — und mit allen Freiheiten zur individuellen Gestaltung versehen.
Software, die technische Abläufe steuert, soll etwa nur Sendeabläufe zulassen, die auch tatsächlich realisierbar sind und gestalterisch zusammenpassen. Die Software soll quasi mitdenken und dem zuständigen Mitarbeiter schon im Vorfeld viele Aufgaben abnehmen. Dabei soll sie aber nicht einschränken, sondern im Gegenteil zu immer kurzfristigeren Änderungen in der Lage sein: Wenn etwa ein Promi stirbt, muss die News sofort raus, der Nachruf, die Würdigung, die Hommage möglichst rasch hinterher gesendet werden — eine Woche später ist das Thema längst durch.
Schwierig, aber machbar: Wenn man sein Archiv und seine Assets im Zugriff hat, kann man schnell reagieren. So gewinnen Management- und Steuerungs-Systeme verschiedener Art in Medienunternehmen eine immer größere Bedeutung, und Verwaltungswerkzeuge beeinflussen letztlich die Programmgestaltung.