Editorial, Kommentar: 21.09.2016

IBC2016: Yoga für die Branche?

Herausragende, bahnbrechende und richtungsweisende Technologiesprünge fehlten bei der IBC2016. Stattdessen waren Rückbesinnung und Reality-Check angesagt.

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Yoga für die Branche?

Es gibt Messen, bei denen fast alle Hersteller auf den gleichen, neuen Trend aufspringen und mit aller Macht versuchen, sich dazu zu positionieren oder sich damit zu profilieren. Dann sind innerhalb kürzester Zeit überall die gleichen Buzz-Words zu hören, das jeweilige Thema ist auf der ganzen Messe omnipräsent und in manchen Fällen beginnt ein einziges Thema die ganze Messe zu dominieren.

Es kann sogar passieren, dass das Thema sozusagen ein Eigenleben entwickelt, überall herumgeistert und sich so immer tiefer in den Köpfen der Besucher und Aussteller einnistet — und so viel größer erscheint, als es in Wahrheit ist. So war es etwa mit Stereo-3D: Selbst Firmen, die eigentlich gar keinen Bezug dazu hatten, stellten in der Hochphase des Stereo-3D-Hypes irgendwo ein 3D-Display an ihren Stand, um dabei zu sein.

Während der NAB in diesem Jahr konnte man den Eindruck gewinnen, dass nun nach dem kurzen Zwischenspiel von Drohnen und Stabilizer-Rigs, das Thema VR360 diese Rolle übernimmt. Bei ganz unterschiedlichen Herstellern war es präsent und spielte eine größere Rolle.

Nun aber muss man konstatieren: Auf die IBC2016 hat der VR360-Hype nicht mit voller Macht durchgeschlagen. Vielleicht einfach noch nicht, vielleicht sind aber auch die Erinnerungen an die enttäuschten Hoffnungen noch zu frisch, die viele in Stereo-3D gesetzt hatten. Um klar zu sein: VR360 war durchaus ein Thema während der  IBC2016, aber es hat bei weitem keine vergleichbare Wucht entfaltet, wie etwa Stereo-3D zu seiner Hochzeit — und es war ganz sicher nicht das dominierende Messethema.

Aber was war denn dann das übergreifende, omnipräsente Messethema? Nun: Es gab keines — zumindest ist das die Sicht von film-tv-video.de. Ein echter Hype war bei der IBC in diesem Jahr nicht zu spüren. Natürlich kann man sich das Gegenteil immer einreden, Hypochondern tut schließlich auch immer irgendetwas weh und wenn man lange genug in sich hineinhorcht, wird man schon irgendeinen Phantomschmerz entdecken.

Lässt man diese Faktoren aber beiseite, konnte man bei so manchen Herstellern bei der diesjährigen IBC sogar eher den Eindruck gewinnen, als hätten sie sich eine Art Sabbatical, eine Auszeit vom Hype auferlegt: Keine heiße Luft hecheln, sondern stattdessen ruhig ein- und ausatmen. Im Marketing-Sprech heißt das »Fokussierung auf die Kernkompetenzen« – wo auch immer diese liegen. Statt etwa den IP-Wandel weiter zu projizieren und aufzublasen, wurde an der Interoperabilität in diesem Bereich gearbeitet und gezeigt, was schon erreicht ist.

Herausragende, bahnbrechende und richtungsweisende Technologiesprünge fehlten also in diesem Jahr in Amsterdam. Stattdessen waren Rückbesinnung und Reality-Check angesagt: Nicht nur beim Thema IP-Technik sondern auch im Kamerabereich, wo die ganz großen Sensationen (noch) ausblieben. Es waren durchaus alle neuen Technologien präsent und wurden diskutiert, aber längst nicht so marktschreierisch angepriesen und aufgepumpt, wie man das von früheren Messen her kennt.

Mag sein, dass diese Form der Entschleunigung den einen oder anderen sogar nervös macht und zu einem Mangel an Messespannung führt. Könnte aber auch durchaus sein, dass diese Form und Stimmung letztlich besser zur Branche passen und auf lange Sicht das erfolgreichere Modell darstellen. In jedem Fall ist sie aber für manche Firmen definitiv angezeigt und notwendig, denn technologische Ausflüge ins Märchenland der neuen Möglichkeiten versprechen und kosten eben oft sehr viel mehr, als sie später halten. Das musste manches Unternehmen in den vergangenen Jahren schmerzlich erfahren. Also vielleicht doch lieber mal einen Yoga-Kurs einflechten und ganz ruhig durchatmen.

 

 

 

 

 

 

Autor
Christine Gebhard, Gerd Voigt-Müller

Bildrechte
Pixabay

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