Postproduction, Tech-Talk, Top-Story: 06.12.2018

Postproduction: Under Pressure

Im Herbst lud Adobe Experten der deutschen Postproduktionsindustrie von Arri, Constantin, Fox und D-Facto zum Gespräch ins Hauptquartier nach München. Die Teilnehmer diskutierten aktuelle technische Entwicklungen sowie Chancen und Herausforderungen der Postproduktion.



In der offenen Gesprächsrunde kamen die Vorteile der Digitalisierung ebenso zur Sprache wie die Schwierigkeiten, die daraus resultieren und die Branche aktuell betreffen.

Die Gedanken sind frei: Adobe-Gesprächsrunde zur Situation der Postproduktion.
Mehr Tools und mehr Leistung, aber weniger Zeit
Alexander Berner, Filmeditor und Vorstand im Bundesverband Filmschnitt Editor (BFS).

Alexander Berner ist ein erfahrener und bekannter Filmeditor, der schon viele große Produktionen wie etwa »Cloud Atlas« oder jüngst »Babylon Berlin« geschnitten hat. Er engagiert sich als Vorstand im Bundesverband Filmschnitt Editor (BFS). In den Anfängen seiner Karriere schnitt Berner noch analoge Filme – er hat also schon so manche Veränderung in seinem Arbeitsbereich hautnah miterlebt. Vieles, so Berner, sei dank des Digitalschnitts einfacher geworden, und spricht dabei die vielfältigen Funktionen von Softwares und Plugins an. Manches habe sich aber auch in die falsche Richtung entwickelt. So bescheinigt er heutigen Produktionen einen deutlich höheren Zeitdruck: Für viele Jobs habe man weniger Zeit als früher, weil die Kunden erwarteten, dass dank neuer Tools auch schneller und effizienter gearbeitet werden könne. Das ist aus seiner Sicht einer der Gründe dafür, dass die Qualität mancher Produktionen sinkt.

Nicholas Goodwin, Head of Post Production bei Constantin Film.

Nicholas Goodwin, Head of Post Production bei Constantin Film, stimmt ihm zu und glaubt, dass einer der Gründe hierfür zu hohe Erwartungen an den Wechsel von Analog zu Digital waren. Wenngleich für Constantin und für seine Abteilung vieles in der Postproduktion einfacher und schneller geworden sei, mühe man sich heute an anderer Stelle mit komplexeren Workflows. Das, so Goodwin, sei letztlich zu einem Dauerzustand geworden, weil sich Softwares permanent weiterentwickelten und somit auch die Anforderungen an die Postproduktion einem stetigen Wandel unterworfen seien, der teilweise der Produktivität im Wege stehe.

Michael Welzel, Head of Imaging bei Arri Media.

Michael Welzel, Head of Imaging bei Arri Media, teilt diese Einschätzung und verdeutlicht am Beispiel Color Grading eines Spielfilms, wie sich die Arbeit in der Postproduktion in den vergangenen Jahren verändert hat. Plante man noch vor einigen Jahren fürs Grading etwa drei Wochen Zeit ein, müsse das heute in maximal zwei Wochen erledigt sein. Zudem seien auch die kreativen Anforderungen bei diesen Projekten gestiegen: Retouching und auch zusätzliche digitale Verschönerungen müssten im Grading quasi »mit« erledigt werden, was angesichts der kürzeren Zeit, die dafür zur Verfügung stehe, schwierig zu bewältigen sei – und teilweise eben auf Kosten der Qualität gehe.

Alexander Berner differenziert: Im Spielfilmbereich, den in Deutschland laut BFS rund 40 Editoren abdecken, verfüge man eher noch über die nötigen Ressourcen, im TV-Bereich sei der Druck aber deutlich stärker geworden. Hinzu komme, dass vom Editor im Offline-Editing-Prozess mittlerweile auch zusätzliche Jobs gefordert würden. Im Tonschnitt sei eine ähnliche Entwicklung zu beobachten, auch hier gehe es längst nicht mehr nur ums reine Sound Editing, sondern es müssten zusätzliche Tonjobs erledigt werden. Diese Anhäufung von Jobs führt aus seiner Sicht dazu, dass Editoren vielfach zu sehr damit beschäftigt sind, alle möglichen technischen Fragen zu klären und zusätzliche Aufgaben zu erledigen, so dass für die eigentliche Arbeit aber immer weniger Zeit bleibe.

Letztlich böten die neuen Softwares immer mehr und vielfach tolle neue Funktionen, aber in den Produktionen fehle es am Personal und an der Zeit, diese neuen Werkzeuge sinnvoll einzusetzen, resümiert Alexander Berner.

Nicholas Economides, Creative Manager bei Fox Networks Group Germany (links) und Andreas Kohl, Brand Manager und Postproduction Supervisor bei D-Facto Motion

Nicholas Economides, Creative Manager bei Fox Networks Group Germany, stimmt Berner hier zu. In der Tat sei die Situation in der Postproduktion so, dass weniger Personal mehr Tools beherrschen und nutzen müsse – und dafür weniger Zeit zur Verfügung stehe.

Andreas Kohl, Brand Manager und Postproduction Supervisor bei D-Facto Motion, ergänzt, dass die Postproduktion in dieser Situation immer mehr eine Beraterrolle für den Kunden einnehme, gleichzeitig aber selber damit kämpfe, die eigenen Workflows straff und effizient zu gestalten.

Bessere Technologie, besseres Storytelling oder beides?
Patrick Palmer, Principal Product Manager Editing bei Adobe.

Patrick Palmer, Principal Product Manager Editing bei Adobe, findet, aus seiner Sicht sei die Qualität von Spielfilmen in den vergangenen Jahren besser geworden; als Beispiel nennt er die Einreichungen beim Sundance Film Festival. Das führt er darauf zurück, dass auch die Produktionstools besser geworden seien – und auch im Low End nun professionell produziert werden könne, was etwa bei vielen Youtube-Produktionen zu sehen sei. Allerdings resümiert auch Palmer, dass der Kostendruck in manchen Bereichen so stark geworden sei, dass es schwer sei, zu diesen Bedingungen noch die gewünschte Qualität zu liefern.

Auf die Frage, ob die besseren technischen Möglichkeiten auch zu besseren Geschichten führen, antwortet Nicolas Economides von Fox, dass sich für ihn die grundlegenden Prinzipien des Storytellings auch mit neuen technischen Möglichkeiten nicht verändert haben. Technologie beinflusse zwar, wie man eine Geschichte erzähle, nicht aber die Frage, wann sie funktioniere und ob wir uns als Zuschauer auf sie einließen. Seiner Meinung nach stehen technische Aspekte zu oft im Vordergrund, wo es doch eigentlich um den Kern des Erzählens einer Geschichten gehen müsste. Er prognostiziert, dass es wieder eine Phase geben werde, in der es weniger um technische Aspekte, sondern mehr ums Filmemachen in seiner ursprünglichen Form gehen werde.

Die Digitalisierung brachte viele Vorteile.

Dass die Digitalisierung der Filmwelt viele Vorteile brachte, steht für die Beteiligten der Gesprächsrunde außer Frage. Aber es gebe eben auch Entwicklungen, die weniger erfreulich seien. Alexander Berner etwa erläutert, dass heutzutage am Set häufig sehr undiszipliniert gearbeitet werde und der Ausspruch »We’ll fix it in the post« oft eine unerfreuliche Dimension erreiche.

Herausforderungen Managementtools und Archivierung

Nicholas Goodwin bringt einen weiteren Aspekt auf, wenn er sagt, dass für ein großes Unternehmen wie Constantin Management- und Planungsaufgaben in der Postproduktion mittlerweile eine extrem wichtige Rolle spielten. Mit dem Abschluss der Tonmischung sei die Postproduktion noch längst nicht zu Ende, im Gegenteil: dann beginne sie erst richtig.

Thilo Henn, Head of Transfer & Digital Service bei D-Facto Nxt.

Thilo Henn, Head of Transfer & Digital Service bei D-Facto Nxt, bestätigt, dass in dieser Gemengelage Workflow- und Planungstools immer wichtiger würden. Gerade bei Produktionen, die international ausgewertet würden, gebe es unterschiedlichste Anforderungen an Format, Titel und Inhalt eines Films. Ohne effiziente Planungstools sei das nur schwer zu bewältigen.

Nicholas Goodwin von Constantin wünscht sich hier ein standardisiertes, universelles Masterformat, weshalb er mit der Entwicklung des IMF-Formats große Hoffnungen verknüpft – auch was die Archivierung betrifft. Denn letztlich, so Goodwin, seien alle Beteiligten der digitalen Postproduktionswelt mit der Frage konfrontiert, welches Format auch für zukünftige Auswertungen die besten Voraussetzungen mitbringt.

Patrick Palmer von Adobe stellt fest, dass in der digitalen Welt das Äquivalent zum analogen Film noch fehle. Dieser sei unerreicht – sowohl was die Qualität der Archivierung als auch das Handling betreffe. Als Beispiel führt er an, dass es noch heute möglich sei, altes Filmmaterial zu digitalisieren und daraus etwa in bester Qualität ein HDR-Master nach heutigen Standards zu generieren.

Nicholas Goodwin hat dafür ein passendes Beispiel: Constantin Film habe aus den noch vorhandenen Orignalen des Spielfilms »Das Parfum« gemeinsam mit dem Coloristen Florian Utsi Martin von Arri erst kürzlich eine neue HDR/UHD-Version generiert, deren hohe Qualität sehr überzeugend gewesen sei.

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