Editorial, Kommentar, Top-Story: 04.04.2005

Agenda Setting und Show Time

Niemand kann während der NAB alle Stände besuchen und sich dort über alle Neuigkeiten informieren. Dafür ist dieses Monster einer Broadcast-Messe einfach zu groß. Also versuchen die Aussteller, sich schon im Vorfeld der Messe bei den Besuchern in Erinnerung zu bringen, selbst zum Messethema zu werden.

Das ist normal und wird schon seit Jahren von den meisten so praktiziert: Schon im Vorfeld ein paar Neuheiten ankündigen und den großen Knaller dann während der Messe selbst präsentieren.

Das klappt aber mangels Masse natürlich nicht in jedem Jahr und so gibt es eben bei allen Ausstellern auch mal ruhigere, weniger spektakuläre NABs. Das ist die Realität, aber in einer Marktwirtschaft kann man – zumal von der Medienwirtschaft – nicht erwarten, dass das einfach so akzeptiert würde.

Also hat sich der Wettkampf der PR- und Marketing-Abteilungen in den vergangenen Jahren immer weiter hochgeschaukelt. Mittlerweile ist ein Niveau erreicht, angesichts dessen sich die Vertreter anderer Branchen die Augen reiben – besonders wenn Sie aus der Perspektive wesentlich größerer Märkte und Umsatzvolumina auf die NAB blicken. Der Aufwand, der innerhalb des Broadcast-Bereichs im Vorfeld und während dieser Messe getrieben wird, ist im Grunde klar überdimensioniert und fehlproportioniert. Die Fixierung auf die NAB als wichtigstes Branchen-Ereignis hat über die Jahre immer weiter zugenommen.

In dieser Situation kann es nicht ausbleiben, dass der Wettkampf um Aufmerksamkeit immer absurdere Blüten treibt: Pre-NAB-Pressekonferenzen im Januar (!), wo die Unternehmen in Wahrheit noch nicht einmal intern sicher sein können, was sie denn tatsächlich während der Messe präsentieren können und wollen. Ab Mitte Februar dann in wachsender Zahl Pre-NAB-Pressemitteilungen von teilweise höchst zweifelhaftem oder äußerst geringem Nachrichtengehalt. Das Vorziehen von Meldungen, die man früher typischerweise im Rahmen der NAB selbst publik gemacht hätte. Pressekonferenzen nicht mehr bloß am Sonntag vor dem offiziellen Ausstellungsbeginn, sondern in wachsender Zahl auch schon am Samstag und vereinzelt gar am Freitag.

Es geht um das »Agenda Setting«. Darum, schon vor der Messe ins Bewusstsein der Messebesucher und möglichst der gesamten Branche zu gelangen, selbst zum »Must See« zu avancieren: Avid kauft Pinnacle und gibt das vier Wochen vor der NAB bekannt. Discreet platzt nach der »Namensänderung« in Autodesk Media and Entertainment und nach viel Heimlichtuerei nun schon vor der Messe mit Infos zur neuen Software Toxik heraus. Thomson fasst seine Broadcast-Aktivitäten nach endlosem Namens-Hickhack nun einfach unter dem Dachbegriff Grass Valley zusammen. JVC kündigt einen HDV-Camcorder für den Profimarkt mit umfassenden Infos schon zwei Wochen vor der Messe an.

Bleibt da überhaupt noch genug Neues übrig, das man von der eigentlichen Messe berichten kann?

Sie werden sehen.

Autor
Christine, Gebhard, Gerd Voigt-Müller
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