Editorial, Kommentar, Top-Story: 08.10.2008

Wundersame Welt der Zahlen

Nein, es soll hier nicht um die aktuelle Finanzkrise gehen — auch wenn aus verständlichen Gründen derzeit kaum noch etwas anderes zu sehen und zu hören ist. Dieses Thema bearbeiten andere — mehr oder weniger kompetent — schon zur Genüge, und der Bedarf an Schreckensvisionen dürfte bei den meisten Lesern mittlerweile gedeckt sein.

Im Nachrichtenstrudel kollabierender Investment-Banken und geplatzter Staatshilfen geht derzeit allerdings so manche andere Nachricht unter, über die bei »normaler« Nachrichtenlage durchaus umfangreicher berichtet würde. Dass etwa der Bezahlsender Premiere seine Zahlen massiv geschönt und fast eine Million Abonnenten hinzugedichtet hat, wirkt angesichts immer neuer Skandalmeldungen aus der Welt der Banken wie eine unbedeutende Randnotiz. Dabei entsprechen die mehr als 900.000 Abonnenten, um die Premiere seine Zahlen nun nach unten korrigierte, rund einem Drittel der gesamten Abonnentenzahl des Programmanbieters. Das ist eine Dimension, die selbst das Print-Business in den Schatten stellt, wo geschönte Auflagezahlen auch nicht gerade unbekannt sind.

Für den Bezahlsender, der die falschen Zahlen unter seinem neuen Chef Williams nun offen eingesteht und zudem gleich noch einen Verlust von 40 bis 70 Millionen Euro in diesem Jahr prognostiziert, ist das ein echter Schlag ins Genick — den die Börse entsprechend quittierte: Die Aktie stürzte um 50 % ab, nachdem Ende vergangener Woche die »neu klassifizierten« Zahlen und die neuen Prognosen bekannt geworden waren.

Ex-Chef Kofler wäscht derweil seine Hände in Unschuld, obwohl offenbar ein älterer Premiere-Vertriebsbericht im Umlauf ist, der andeutet, dass es der Sender auch schon vor seinem Börsengang im Jahr 2005 mit den Abo-Zahlen nicht so genau genommen habe. Damals war es Kofler gelungen, viele Aktionäre von gewinnversprechenden Plänen bei Premiere zu überzeugen, ihnen die Zukunft zu verkaufen, obwohl die harten Gegenwartszahlen schon damals eine andere Sprache gesprochen hatten.

Für Premiere und damit für das Modell des Bezahlfernsehens insgesamt, dürften in Deutschland nun noch härtere Zeiten anbrechen. Das liegt ganz sicher nicht nur daran, dass die Deutschen in der Masse offenbar nicht dazu bereit sind, für den Empfang von Premium-Sportangeboten oder für HDTV-Programme zu bezahlen. Mit 2,4 Millionen Abonnenten wird es in der augenblicklichen Situation für Premiere sehr schwer werden, die Aktionäre von Premiere bei der Stange zu halten. Noch schwerer dürften der Vertrauensverlust und der Image-Schaden wiegen. Schließlich ist die breite Zahl der Aktionäre nicht gerade dafür bekannt, sich dem Unternehmen, dessen Papiere sie erworben haben, wirklich verbunden zu fühlen — schon gar nicht, wenn ihnen falsche Zahlen präsentiert werden. Vielleicht könnte sogar Großaktionär Murdoch die Lust daran verlieren, nun Premiere zu sanieren. Das wäre dann wahrscheinlich das Ende des Bezahlfernsehens in Deutschland, wenn nicht in Zukunft — wie in anderen Ländern — begehrte Inhalte wie Bundesliga-Fußball eben auch nur exklusiv über Bezahlanbieter vermarktet werden.

Sie werden sehen.