Editorial, Kommentar, Top-Story: 21.11.2008

Den Cursor auf der Nase

Seit sich der PC immer stärker zur Abspielplattform für Videomaterial aller Art entwickelt hat, nimmt auch ein Phänomen zu, das man je nach Veranlagung und Situation als ärgerlich, lächerlich oder lustig empfinden kann: Irgendwo im Videobild ist ein Cursor zu sehen.

Man klickt auf das Videofenster, um die Wiedergabe zu starten und zieht den Mauszeiger dann nicht wieder weg — schon steckt dem todernsten Moderator ein kleiner weißer Pfeil in der Nase oder ein kleines Händchen scheint gar dort zu bohren. Gern hebt der unabsichtlich platzierte Cursor auch mal ein peinliches Detail eines Bildes hervor, betont die Speckröllchen eines Schauspielers oder piekst ins Dekollete einer Frau.

Auch in schnell gestrickte Präsentationen schleichen sich immer wieder Screenshots ein, bei denen der Cursor an ungeschickter Stelle im Bild steht. Selbst im Fernsehprogramm passiert es immer wieder, dass in einer eingeblendeten Grafik oder einem Standbild ein Cursor zu sehen ist — wo er natürlich dann ganz besonders auffällt, wenn sich bei sonst statischem Bildinhalt nur der Cursor bewegt.

Aber woran liegt es, dass manche Menschen den Cursor im Bild gar nicht oder zumindest nicht als störend wahrnehmen?

Wir sehen nur, was wir wollen: Das menschliche Sehen ist eben kein rein physikalischer Prozess, sondern hat sehr viel mehr damit zu tun, wie das Gehirn funktioniert. Und das ist in keiner Weise als rein rationale, logische Maschine konzipiert.

So kann es etwa vorkommen, dass große Teile des Publikums in einem Kino voller Filmschaffender und Produktionsexperten es einfach nicht sehen (wollen), dass die Bilder auf der Leinwand ziemlich unscharf und voller Artefakte sind, weil sie eben an die neue Wunderkamera glauben, mit der die Bilder aufgenommen wurden oder an den Superprojektor, der sie nun auf die Leinwand wirft. Das nennt man selektive Wahrnehmung.

Die nächste Stufe ist dann erreicht, wenn es heißt: Kann schon sein, dass die Bilder unscharf waren, aber es hat mich gar nicht gestört. Das nennt man dann Trugbild oder Illusion — und in manchen Fällen liegen sogar Halluzinationen vor.

Sie werden sehen. (Wenn Sie wollen.)