Editorial, Kommentar, Top-Story: 01.06.2010

Wanted: Good News

Schlechtes Wetter, Hochwasser, Wirtschaftsprobleme, Leistungsträger der Nationalelf fallen aus: Kein Wunder, dass sich ganz Deutschland in dieser Lage nach guten Nachrichten sehnt. So groß ist offenbar diese Sehnsucht, dass die ARD schon Jubelsondersendungen ins Programm nimmt, wenn ein deutscher Teenager in Oslo einen Singwettbewerb gewonnen hat …

Es ist schön, dass zum ersten Mal seit ewigen Zeiten wieder ein deutscher Beitrag den Eurovision Song Contest gewonnen hat — nur wenige haben noch blasse, eigene Erinnerungen an ein Mädchen mit einer riesigen weißen Gitarre, dem das einst ebenfalls gelang. Aber erfordert dieses Fräuleinwunder tatsächlich das volle Prozedere, inklusive des Klassikers der Live-Schaltung zu einem Ort, an dem noch nichts passiert: »Ich stehe hier am Flughafen in Hannover, wo wir in wenigen Stunden die Ankunft von Lena erwarten. Noch ist nichts zu sehen und es haben sich bisher nur wenige Fans hier eingefunden …«?

Lässt man persönliche Vorlieben beiseite und versucht, objektiv auf dieses Thema zu blicken, dann wird deutlich: Ja, es ist vielleicht nicht wirklich notwendig, aber offenbar sinnvoll, das so zu verarbeiten — die Quoten geben nämlich in diesem Fall den Entscheidern der ARD eindeutig Recht.

14,7 Millionen Zuschauer zog der Singwettbewerb am Samstag vor die TV-Geräte, was der ARD einen Gesamtmarktanteil von unfassbaren 49 Prozent bescherte. Bei den 14- bis 49-Jährigen waren es sogar 62 Prozent. Am (regnerischen) Sonntag kam dann die ARD-Übertragung von Lenas Rückkehr nach Hannover ab 17:00 Uhr auf 3,8 Millionen Zuschauer, was 20 Prozent Marktanteil bedeutete. Zeitgleich sahen sich 1,9 Millionen Menschen und somit 10 % der TV-Zuschauer zu dieser Tageszeit, den gleichen Inhalt bei ProSieben an.

Zum Vergleich: Den ARD-Brennpunkt am Montagabend zum Rücktritt des Bundespräsidenten Horst Köhler wollten 3,3 Millionen Zuschauer sehen — was einem Marktanteil von 10 Prozent entspricht.

Gleichgültig, ob man solche Quotenunterschiede gut findet oder nicht: Das Fernsehen ist nun mal ein Massenmedium, in dem sich die jeweilige Gesellschaft widerspiegelt. Und so stellt sich die Frage, wann die ARD Stefan Raab einkauft — oder ob der doch beim ZDF »Wetten dass« übernimmt…

Sie werden sehen.