Editorial, Kommentar, Top-Story: 14.04.2011

Dekonstruktion und Desintegration

Bei immer mehr Camcordern ist es so, dass die Geräte die maximale Bildqualität gar nicht aufzeichnen können, die von Sensor und Signalverarbeitung bereitgestellt wird. Es gibt zwar ein Onboard-Speichermedium, aber dessen Leistungsfähigkeit reicht nicht aus, um die Datenrate zu speichern, die das Gerät in der maximalen Qualität liefern könnte.

Also braucht man ein externes Speichermedium und einen passenden Recorder. Dadurch werden Aufnahme-Setups unhandlicher, man muss zwei separate Geräte anschaffen, bedienen und warten, man hat zusätzliche Kabelverbindungen. Da war die Camcorder-Entwicklung schon mal weiter. Warum also dieser Rückschritt?

Er bringt den Einstiegspreis für den Camcorder nach unten und er bringt ein paar Verkaufsargumente: Jetzt günstig einsteigen und später dann auf höhere Qualität upgraden, ohne die Kamera zu wechseln ― so lautet eines davon. Ein anderes Argument: Sofort einsteigen und im Bedarfsfall einen Recorder mieten, wenn höhere Qualität gefordert ist. Flexibilität ist ein anderes Stichwort: Der F3 von Sony lässt sich mit Optionen hochrüsten, die es erlauben, je nach geplantem Workflow die passenden Signale auszugeben.

Das klingt alles erstmal ganz vernünftig – und vielleicht ist es das teilweise auch. Aber wie realistisch ist es denn heute noch, dass man einen Camcorder kauft, den man dann viele, viele Jahre lang nutzt, während man beim externen Speichersystem nachrüstet? Ist es nicht vielmehr so, dass es auch im Kamerabereich Trendwechsel, Moden und rasche technische Weiterentwicklungen gibt? Meist ist es doch so, dass beim Kauf des Camcorders der nächste, bessere Sensor schon im Labor des Herstellers oder seines Zulieferers steht.

Da könnte man auf die Idee kommen, dass ein komplett modulares System, wie es Red bei der Epic verfolgt, die Ultima Ratio wäre. Auch bei Arri kann man sich ja vorstellen, bei den Kunden vorhandene Alexas mit neuen Sensoren nachzurüsten, wenn diese irgendwann zur Verfügung stehen und von den Kunden gefordert werden. Aber wie weit soll das gehen und wie weit ist es sinnvoll? Kann es sich wirklich lohnen, mal den Sensor und ein andermal vielleicht den Prozessor einer Kamera auszutauschen, später dann das Onboard-Speichersystem?

Schaut man mal in andere Bereiche, wo modulare Konzepte üblich sind, etwa bei PCs oder bei Autos, dann erkennt man, dass die Modularität von der weit überwiegenden Mehrzahl der Nutzer nur am Anfang, beim Konfigurieren der Neuanschaffung genutzt wird. Wer kauft schon in der Absicht, später nachzurüsten, ein Auto mit Sportsitzen und Sportfahrwerk, aber mit Rasenmähermotor? Ein System, bei dem von Anfang an alle Komponenten gut zusammenpassen und mit dem voraussichtlich ein paar Jahre zufrieden sein kann, hat eben auch etwas für sich — und mehr kann man vielleicht auch gar nicht verlangen.

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Autor
Christine Gebhard, Gerd Voigt-Müller
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