Branche, Postproduction: 27.04.2016

NAB2016: Cloud-Arbeit auf dem Vormarsch

Avid hat mit »Avid Cloud Collaboration« eine Plattform etabliert, die es erlaubt, mit Kollegen weltweit an einem Musik- oder Sound-Projekt zu arbeiten – unabhängig davon, wo sich diese gerade aufhalten. Auch andere Anbieter haben ähnliche Konzepte für den AV-Bereich im Programm. Das eröffnet tolle neue Möglichkeiten, kreativ zu arbeiten. Aber es gibt auch Downsides dieser Entwicklung: die Globalisierung trifft nun auch die Kreativen.

 

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Avid-Chef Louis Hernandez beschwor in der NAB-Pressekonferenz seines Unternehmens die Wachstumsbereiche der Branche und schlug den Bogen zu neuen Möglichkeiten der Cloud-Produktion.
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Aus Sicht von Louis Hernandez kann die Cloud mithelfen, neue Jobs und Distributionsmöglichkeiten für die eigenen Werke zu finden. Am Beispiel des Musikmarkts machte Hernandez die grundsätzliche Lage deutlich.

Ist es nicht toll, mit talentierten Kreativen weltweit an einem Projekt zusammenarbeiten zu können? Wenn Menschen an einem Projekt zusammenarbeiten, die gestalterisch auf der gleichen Wellenlänge liegen und sich genial ergänzen, dann kann das zum Gelingen beitragen und das Ganze auf eine neue Ebene heben. Da kann man die Begeisterung von Avid-CEO Louis Hernandez verstehen, der während des Avid Connect Events bei der NAB in Las Vegas unter anderem Avids neue Cloud Collaboration Platform anmoderierte, die dann von zweien seiner Kollegen präsentiert wurde, die mal schnell ein Gitarrenriff bei einem berühmten Gitarristen anforderten, um ihren Clip damit zu veredeln.

Die Cloud als Kreativturbo

Avid zeigte also die Vorzüge einer Cloud-Plattform, die es beispielsweise Musikproduzenten ermöglicht, die Funktionalität von ProTools in der Cloud zu nutzen und mit Künstlern weltweit zusammenzuarbeiten. Dafür bietet die Plattform eine Suche nach Künstlern, die weltweit zur Verfügung stehen. Man kann Arbeitsproben von den Musikern höre, deren Verfügbarkeit sehen und mit ihnen in Kontakt treten.

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Am Beispiel von Pro Tools ließ Louis Hernandez dann seine positive Vision der »Cloud Collaboration« demonstrieren.

Im nächsten Schritt ist es möglich, mit den Künstler so zu arbeiten,  als ob alle im selben Studio wären – ohne Austauschen, Importieren und Verwalten von Dateien. Audio- und Midi-Spuren, Bearbeitungen, Mix-Änderungen und mehr lassen sich quasi direkt über eine gemeinsame Oberfläche Pro Tools bearbeiten. Aus kreativer Sicht bietet das viele Vorteile, denn mit einem Schlag erhält eine Produktion Zugang zu zahllosen Künstlern weltweit.

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Pro Tools ist als erste Lösung von Avid mit umfangreichen Möglichkeiten zur »Cloud Collaboration« ausgerüstet, aber diese Funktionalität soll tief im Kern der Avid-Plattform verankert werden und auch anderen Bereichen zur Verfügung stehen.

Das eröffnet viele Möglichkeiten, denn Kreative aus entlegenen Orten können sich besser vermarkten und an Produktionen mitwirken, die ihnen sonst wohl verschlossen blieben, von denen sie nichts erfahren würden, zu denen sie nicht anreisen könnten. Cloud-Plattformen bieten die Chance, sein Talent zu nutzen, Aufträge zu ergattern und seinen Lebensunterhalt mit kreativer Arbeit in der Cloud zu verdienen. Produzenten können hingegen frische unverbrauchte Talente finden und beschäftigen, von denen sie bis dato vielleicht gar nichts wussten oder sie können Kontakte aufrecht erhalten, auch wenn man sich räumlich auseinander entwickelt hat.

»Hire by talent, not by region«, ist einer der Slogans, die diesen positiven Aspekt beleuchten.

Die Cloud als Globalisierungsklatsche

Eine Cloud-Plattform dieser Art hat aber eben ganz andere, weniger positive Auswirkungen: Denn mit den technischen Möglichkeiten von Cloud-Produktionsplattformen sind nun auch die Kreativen in der Audio- und Videobranche im Zeitalter der Globalisierung angekommen. Produzenten können damit optimal regionale Preisunterschiede ausnutzen. Das haben viele internationale Posthäuser ohnehin schon getan, indem sie etwa Niederlassungen in Indien, Thailand oder auf den Philippinen gründeten und intern einzelne Jobs hin und her verlagerten. Nun kann das sozusagen jeder realisieren: In der Cloud findet sich fast immer einer, der es noch ein bisschen billiger macht — weil er an seinem Wohnort mit weniger Einkommen auskommt, weil er einen Weg sucht, sich in der Branche zu etablieren, weil er eben dringend einen Job sucht.

Wer bisher Teil der »Kreativ-Mittelklasse« war, muss sich bei seinen Preisen und Honoraren nun also plötzlich mit Wettbewerbern messen, deren Fixkosten deutlich niedriger sind. Plakativ gesagt: Wer in Santo Domingo, Karachi oder Spokane lebt, kann billiger anbieten, als der Künstler aus Paris oder London. Das gibt es auch in anderen Branchen, zum Teil auch schon sehr lange: Bei Übersetzungen etwa haben internationale Plattformen unterschiedlicher Qualität das Brot-und Buttergeschäft in Westeuropa absterben lassen und das Business nachhaltig verändert, außerdem wird hier immer öfter mit Maschinen gearbeitet. Programmierarbeiten oder Apps wiederum kann man heutzutage etwa auch in Rumänien, Moldawien oder Weißrussland erledigen lassen. Nun kommt dieses Muster eben auch in kreativeren Bereichen zum tragen.

Natürlich gibt es auch Grenzen, die etwa in kulturellen Unterschieden wurzeln und in Mode, Design, Kunst und Gestaltung auch durchschimmern und ihren Niederschlag finden. Nach dem Motto: Bollywood ist eben doch nicht Hollywood — beides hat seine Berechtigung, kann man toll finden oder auch nicht, aber es ist eben etwas Unterschiedliches.

Cloud-Arbeit auf dem Vormarsch

Ob man das Ganze nun gut oder schlecht findet, spielt letztlich keine Rolle, denn der Markt wird sich so oder so weiter in diese Richtung entwickeln — und es gibt kaum etwas, was man dem entgegensetzen könnte. Cloud-Produktionsplattformen werden mehr und mehr Teil der Branche werden — und wenn Produktionen Geld sparen können, werden sie das auch tun.

Cloud-Arbeit ist damit endgültig auch in der Kreativbranche angekommen – mit allen Konsequenzen, die der Globalisierung innewohnen.

Autor
Christine Gebhard, Gerd Voigt-Müller

Bildrechte
red

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