Top-Story: 02.04.2007

InsightOut: Blick auf digitales Kino und Verwertungskette insgesamt

Die Verwertungskette und das digitale Kino spielten die Hauptrolle bei der diesjährigen Ausgabe von InsightOut, einer von der EU getragenen Vortrags- und Seminarreihe an der Babelsberger Filmhochschule.

Mehr als 50 Profis aus EU- und Mittelmeer-Anrainer-Staaten konnten sich Mitte März 2007 eine Woche lang auf den neuesten Stand der Entwicklung bringen lassen, was die digitalen Filmlandschaft betrifft. Ziel der Weiterbildungsveranstaltung ist es, die gesamte Digitalkette ab zu decken. Deutliche inhaltliche Akzente lagen in diesem Jahr aber auf der Verwertungskette und der digitalen Projektion.

Bei letzterem Thema konnte die HFF mit ihrem neuen 2K-Projektor punkten (siehe frühere Meldung). Gezeigt wurden Ausschnitte aus der ZDF-Produktion »Afrika, mon amour«, die mit Arris D20 gedreht wurde, sowie Tom Tykwers »Das Parfum«. Außerdem wurde die Stereoskopie-Funktionalität der digitalen Projektion gezeigt. Eine international besetzte branchenöffentliche Diskussion im Filmmuseum ging der Frage nach: »Ist das Kino ein Auslaufmodell?«.

Akademischer Blick auf die Verwertungskette

Unter anderem war eine neue Studie der Bauhaus-Universität Weimar über Verwertungsfenster für Deutschland, die USA und Japan Thema bei InsightOut. Dass es sich dabei um eine »rein akademische« Arbeit handle, meinte der Autor Prof. Thorsten Hennig-Thurau keineswegs negativ: Die Studie untersucht nach wissenschaftlichen Kriterien die maximal mögliche Umsatzentwicklung der Studios.

Und das sieht im Ergebnis so aus: Würden hochpreisige DVDs in Deutschland drei Monate nach dem Kinostart verkauft, Verleih und Video-on-Demand-Verwertung neun Monate später einsetzen, könnten die Studios ein Umsatzplus von 14,2 Prozent verbuchen. Die Kinos würden in diesem Szenario um 14,6 Prozent zulegen, der DVD-Verkauf gar um 28,3 Prozent. Verlierer wären dagegen die Videoverleiher, die fast 31 Prozent ihrer Umsätze einbüßen würden.

Dem stellte Hennig-Thurau ein »Win-Win«-Szenario gegenüber: Beginnt der DVD-Verleih ein halbes Jahr nach dem Kinostart, ändert sich nämlich laut der Studie das ganze Gefüge: 19,1 Prozent mehr springen dann für die DVD-Händler heraus, bei den Studios bleiben noch 7,6 Umsatzprozente mehr hängen. Die Kinos legen dagegen gerade um einen halben, die DVD-Verleiher immerhin um einen Prozentpunkt zu. Bleibt als Fazit: Studios und DVD-Verkauf schneiden in beiden Szenarien überdurchschnittlich ab.

In der Kinoszene hatte die Studie für Verunsicherung gesorgt, denn dort sind nicht alle über die Zwangsehe mit den Verleihern glücklich — und sehen der Digitalisierung mit gemischten Gefühlen entgegen. Das Fehlen dieses Reizworts in der Diskussion kritisierte InsightOut–Direktor Prof. Ulrich Weinberg. »2K zuhause, 4K im Kino« — darin sieht er die »europäische Hausaufgabe«. Dem aktuellen Stand der Entwicklung bescheinigt Andreas Kramer vom HdF Kino ein niedriges Niveau: »Wir haben keine Vorstellung, wie man die Kette für alle optimal gestalten kann. Wir haben einen Mangel an Kommunikation zwischen allen Beteiligten.« Auch fehle ein Konzept zum Umgang mit der sich ändernden Altersstruktur in Deutschland. Kramer beschrieb das Kino als einen Ort der Magie, in dem etwa 200 der im vergangenen Jahr gestarteten 485 Filme nichts zu suchen hätten.

Dieser Sicht schloss sich John Graham, Generalsekretär des European Digital Cinema Forum EDCF grundsätzlich an, unter der Zustimmung von Zuhörern, die mehr Independents und nationale Kultur einforderten.

Auch Hollywood-Autor Gary Goldman (»Minority Report«) glaubt an die Kinomagie — wenn die große Leinwand mehr als der heimische Plasmaschirm bietet. »Size matters« – aber nicht als einziges Kriterium. Moderatorin Georgia Tornow entnahm der Debatte einen Aufruf zum Handeln, wobei Fehler möglich und erlaubt seien.

Kinodigitalisierung schreitet voran

John Graham und Mike Christmann (Berater, Flying Eye) machten in ihren Seminaren die Dimensionen des Digitalumstiegs der Kinos deutlich: Die »kritische Masse« von zehn Prozent der Leinwände werde Ende 2008 erreicht, so Christmann. Die Kosten der Umrüstung setzte er in einer Größenordnung von 70.000 Euro pro 2K-Anlage an. John Graham sieht, wie die FFA, die kleinen Theater in Gefahr. 90 Prozent der europäischen Kinoumsätze werden demnach von nur 50 Prozent der Kinos erwirtschaftet. Jedes zweite Kino kann aus Sicht des EDCF-Generalsekretärs den Umstieg auf Digitaltechnik nicht finanzieren. Daher präferieren nicht nur Graham und Christmann das US-Modell des Virtual Print Fee (VPF): Die Verleiher bezuschussen dabei jede gespielte Digitalkopie. Dabei dürfte die Aufgabe, die 300 europäischen Verleiher einzubeziehen und hierfür zu gewinnen, ganz sicher nicht einfach sein.

Siegfried Fößel (Fraunhofer IIS) entdeckte, als einer der Autoren einer FFA-Auftragsstudie zur Digitaltechnik, eine Lücke im System: die »Key Delivery Messages« (KDM). Das sind Metadaten, die unter anderem die genau festlegbaren Spielberechtigungen für digitale Kinodateien enthalten und an Kassensysteme angebunden werden könnten. Kein Wunder, dass die Kinobetreiber Fremdbestimmung vermuten. Eine Clearing-Stelle soll, so Fößel, die Spannungen reduzieren.

Neue Projektionstechnik

Digitales Kino, so wird in der allgemeinen Diskussion immer wieder ausgeführt, kann auch neue Ertragsquellen für die Kinobetreiber eröffnen: Nach dem »Public-Viewing-Prinzip« könnten in Kinos Live-Übertragungen von Sport- oder Kulturereignissen gezeigt werden. John Graham sieht dafür aber in der Praxis aufgrund der Verleihverträge nur wenige Terminlücken. Größere Chancen räumt er dagegen der Stereoskopie ein, zumal Hollywood das 3D-Filmangebot forcieren wolle.

Bei InsightOut wurden zwei 3D-Verfahren präsentiert. Dolby und Infitec aus Ulm setzen auf ein vor den Projektor geschaltetes Farbrad und einfache Brillen. Die Berliner Firma MakroM zeigte dagegen ein Verfahren, bei dem der 3D-Effekt mit per Infrarot angesteuerten Shutter-Brillen erreicht wird. Demonstriert wurde diese Technik mit dem Kinoton-Projektor DCP70L der HFF und unter Einsatz eines DVC-Diskrecorders. Für beide Verfahren ist keine teure Silberleinwand notwendig, aber das »Brillen-Management« schlägt im Kino zu Buche.