Editorial, Kommentar, Top-Story: 27.03.2008

Stereo-Typen

Die meistgesehene Sendung während der Osterfeiertage 2008 war laut GfK der »Tatort« am Montagabend. Ein guter Anlass, sich mal mit dieser Vorzeigereihe der ARD zu befassen — auch wenn man damit ein Minenfeld betritt. Die »Tatort«-Reihe ist offenbar vielen Zuschauern eng ans Herz gewachsen, obwohl es mittlerweile sehr viel mehr — und nach Ansicht vieler Kritiker auch deutlich bessere — Krimiware im deutschen Fernsehen gibt. Als aber vor Jahren einmal in diesem Newsletter auch nur Kritik am Vorspann des »Tatorts« geübt wurde, hagelte es schon empörte Rückmeldungen von Fans, dass dieser Vorspann keineswegs ersetzt werden dürfe. Immerhin wurde der Vorspann mittlerweile technisch aufgemöbelt, die Gestaltung blieb aber zur Freude der Fans und des Titelmelodie-Komponisten Klaus Doldinger bislang unverändert.

Vielleicht liegt darin auch ein Aspekt des für Nicht-Fans oder Gelegenheitszuschauer nur schwer nachvollziehbaren Reizes dieser Reihe: In der Verlässlichkeit, ja sogar in der Vorhersehbarkeit, zum Ausklang des Wochenendes eine Variation der immer gleichen Stereotypen zu sehen. Ähnlich wie es die Fans verschiedener Strömungen in der Musik — von Teilen der Klassik über Jazz bis Techno — begeistert und fesselt, sich an kleinen Variationen und Veränderungen des gleichen musikalischen Themas zu erfreuen. Schließlich kann man ja auch aus den gleichen groben Bauklötzen immer wieder neue Dinge zusammenbauen.

Einen Baukasten gibt es ganz offensichtlich auch für die »Tatort«-Reihe: Die aktuellen weiblichen und männlichen Kommissare haben meist ein zerrüttetes Privatleben, das ihnen ständig im Beruf in die Quere kommt. Schwierige, schwer gestörte oder gar keine Partnerschaften gelten als normal, eventuell vorhandene (Scheidungs- oder Alleinerziehungs)-Kinder sind Stör- und Stressfaktoren. Zum Glück sind wenigstens die Wohn- und Finanzverhältnisse meist gut bis sehr gut: In der Realität wird zwar die Zahl der Kriminalbeamten, die ein Grundstück mit direktem Seezugang am Bodensee bewohnen, eher gering sein, aber solche Banalitäten sollten nun wirklich nicht von der Handlung ablenken.

Apropos Handlung: Deutet um 21:15 Uhr alles auf eine rasche Lösung des Falles hin, weiß der erfahrene Zuschauer längst: Das kann nicht sein — was die Spannung auf ein leicht erträgliches Maß reduziert. In jüngster Zeit hatten die Tatort-Macher auch mehrfach Pech mit Themen, in denen »ethnische Aspekte« und der berühmte »Migrationshintergrund« eine Rolle spielten: Einmal wurde ein »Tatort« aus aktuellem Anlass abgesetzt, und bei einem anderen hagelte es massenweise Proteste. Das dürfte für die Zukunft bedeuten, dass auch in dieser Beziehung wieder ausschließlich auf bekannte Schablonen gesetzt wird: türkische Gemüsehändler und Drogendealer, Türsteher und Kickboxer vom Balkan, Russen als Geldeintreiber und Waffenhändler.

Gern bedient man sich mittlerweile beim »Tatort« auch aus dem Kanon der Krimi- und Thriller-Schmieden: Psychopathen erkennt man generell daran, dass in ihren Zimmern die Wände über und über mit Zeitungsausschnitten und Fotos behängt sind …

Manchmal wird es den Machern aber doch zu viel mit der Konformität. Dann dient der »Tatort« als Plattform für gesellschaftspolitische Botschaften oder als Experimentierfeld für Leute, die eigentlich lieber Kinofilme drehen würden und deshalb Bilder abliefern, die letztlich gar nicht TV-kompatibel sind: Mal sollen einen ganzen »Tatort« lang stockdunkle Szenerien Düsternis verdeutlichen, mal überstrahlte, fast solarisierte Bilder im Übermaß oder ganze Folgen mit komplett entsättigten Farben Wirklichkeitsverlust — oder was auch immer — symbolisieren. Da wird gern mit viel zu dickem Pinsel aufgetragen und was am Ende der Sendestrecke im Wohnzimmer davon übrig bleibt, interessiert offenbar ohnehin keinen der Macher.

Egal: Laut GfK wollen die Zuschauer genau das. Zumindest die meisten derer, die Sonn- oder Feiertagabends vor der Glotze sitzen. Aber gutes Handwerk würde sie sicher nicht stören.

Sie werden sehen.