Top-Story: 06.05.2009

Digitales Kino und Stereo-3D: Themen beim InsightOut-Workshop

Seit 2005 lädt die Babelsberger Filmhochschule alljährlich junge Film- und TV-Profis aus Europa zum Digital-Workshop »InsightOut«. Großes Interesse der 50 Teilnehmer fanden in diesem Jahr nicht nur die Vorträge – vor allem zum Thema Stereoskopie. Einen Tag lang legten sie selbst Hand an und nutzten eines von fünf aktuellen Aufnahmesysteme und einen abgestimmten nachgeordneten Workflow.

Stereoskopie zum Anfassen

Besonders großes Interesse fand der umfangreiche Programmteil zum Thema Stereo-3D. Auch dieser war mit einem Praxisteil gekoppelt. Dort konnten die Teilnehmer — einige von ihnen planen selbst konkrete stereoskopische Produktionen — Probeaufnahmen mit zwei Panasonic-Camcordern des Typs AJ-HPX3700 drehen, die auf ein 3D-Stereo-Rig von P+S montiert waren. Gespeichert wurden die gewonnenen Aufnahmen mit einem Megacine-Recorder in 1080/25p, 4:2:2, die Bearbeitung erfolgte am SpeedGrade von Iridas.

Eine passende Ergänzung zum Tagesprogramm boten die abendlichen Firmenbesuche: Bei Cinepostproduction Geyer wurde unter anderem die Bearbeitung stereoskopischer Bilder am Lustre gezeigt.

Der Praxisteil erwies sich als willkommene Ergänzung zu den Vorträgen von Referenten aus den USA und Deutschland, die den aktuellen Stand der Stereoskopie von der Aufnahme bis zum Abspiel abdeckten. Stereoscopic Supervisor Robert Neuman vermittelte Hintergrund-Infos zum Disney-Animationsfilm »Bolt«. Er beschäftigte sich unter anderem mit den spezifischen Werkzeugen einer Stereo-3D-Produktion – ob animiert oder mit Live-Action.

Stereoskopische Filme stellen hohe Anforderungen an die »Signalverarbeitung« im Gehirn, wo der räumliche Gesamteindruck aus den Einzelbildern für das linke und das rechte Auge entsteht. Es geht in der Produktion unter anderem darum, die Überforderung der Zuschauer mit dem ungewohnten Raumbild — was buchstäblich Kopfschmerzen verursachen würde — schon frühzeitig zu vermeiden: Dafür wird schon vor dem Dreh gesorgt. Ausgehend vom Storyboard wird demnach bei Hollywoodproduktionen ein »Tiefenskript« oder eine »Tiefenkarte« erstellt. Mit diesen Tools können Sprünge des Raumeindrucks beim Szenenwechsel frühzeitig erkannt werden. Solche Verfahren helfen auch bei der Herstellung von Stereo-3D-Versionen älterer 2D-Animationsfilme. Im Fall von »Die Schöne und das Biest« nutzt man bei Disney den glücklichen Umstand, dass Original-Charaktere und Hintergründe getrennt archiviert wurden. Szenerien und Figuren können daher gesondert und optimal auf ihr spezifisches »Raummaß« gebracht werden.

Neue Werkzeuge und Techniken sollen dazu beitragen, »Geschichten mit den neuen Möglichkeiten und Mitteln zu erzählen«. Neuman sieht hierbei die räumliche Tiefe in Verbindung mit der emotionalen Tiefe und der Dramaturgie – daraus entwickele sich die »Grammatik des 3D-Films«.

Realfilmer Steve Schklair, beteiligt unter anderem an den Stereo-Konzertaufzeichnungen »U23D« und »Jonas Brothers« , sowie als Produzent von Sport-Aufzeichnungen aktiv, legt zusätzlichen Wert auf den Schnittrhythmus: Der soll aus seiner Sicht für Stereo-Filme langsamer sein, damit der Zuschauer sich auf einen Perspektiv- und Tiefenwechsel — etwa zwischen Close-Ups und Totalen — besser einstellen kann. Wichtig ist laut Schklair ein kompetenter Stereo-Assistent am Set.

Die Bildbeispiele, die während der »InsightOut«-Veranstaltung gezeigt wurden, zeigten durchaus unterschiedliche Herangehensweisen beim Umgang mit dem Raum. So belasteten einige Szenen aus »Bolt« die Gehirnkapazitäten weiter, als die der anderen Beispiele. Die Konzertauschnitte, ebenso wie Aufnahmen von Autorennen und vom Baseball setzen hingegen mit ruhig konzipierten Bildern eher auf die Wirkung der Rasanz des Ereignisses.

Eine erste Anerkennung hat das neue Genre bereits erreicht: Cannes folgt dem Trend und terminierte als erstes A-Festival einen Stereo-3D-Film zur Eröffnung – die Pixar/Disney-Produktion »Up«.

Wettbewerb der Kino-Projektionsverfahren

Etwa zehn in Stereo-3D verfügbare Titel finden sich in der Startliste für 2009 (siehe Startliste am Ende des Artikels). Das ergibt natürlich nur dann Sinn, wenn eine bereite Abspielbasis verfügbar ist. Dort konkurrieren derzeit sechs Projektionssysteme, die Kemal Görgülü von der Beratungsfirma Flying Eye vorstellte (siehe Liste im weiteren Verlauf des Artikels). Die in hiesigen Breiten zumeist genutzten Verfahren von RealD, XpanD und Imax weisen erhebliche Unterschiede auf — auch bei den Daten fürs Kino. Hier setzt das Digitalkinokonsortium DCI an: Für 3D-Filme sollen künftig einheitliche Datensätze an die Kinos geliefert werden. Die Steuerinformationen für die Brillen und/oder die in den Lichtgang eingebrachten Farb- und Polarisationsräder, die für die Trennung der beiden Bildanteile sorgen, soll künftig in den Kino-Server oder den Projektor verlagert werden. Auch bezüglich der Gestaltung und Platzierung von Untertitelungen sind Nacharbeiten im DCI-Standard erforderlich.

Stereo-3D im Fernseheinsatz

Beim Fernsehen gibt es überhaupt keine Stereo-3D-Standardisierung. HD ist von den meisten Programmanbietern noch nicht wirklich eingeführt. Da ist an neue Infrastrukturen für die Produktion und das Aufbohren der Sendewege für zwei Bilder in HD-Qualität nicht zu denken. Gleichwohl versuchen einige Hersteller wie Philips vorzupreschen und aus den empfangenen 2D-Bildern mittels Tiefenanalyse und Intelligenz im Endgerät Stereo-3D-Bilder in Echtzeit zu generieren. Der stereoskopische Bildeindruck soll dabei von vielen möglichen Zuschauerpositionen aus sichtbar sein. Dafür wird derzeit mit bis zu neun »Views« statt nur zweier Bilder für das rechte und das linke Auge gearbeitet. Optimal funktioniert das Fernsehen in Stereo-3D damit aber noch nicht: Die Forschung orientiert sich daher an bis zu 40 »Views«.

Kino mit großen Vorsprung vor dem Fernsehen — aber immer noch mit Entwicklungsbedarf

Den Vorsprung der Kinos bei der Eroberung der dritten Dimension nutzen die Großverleiher in den USA nach Kräften. Sie schieben im Verein mit den Studios die Kinodigitalisierung samt ergänzender Stereoausstattung kräftig an. Von den 2.000 Digital-Sälen sind dort nach Expertenangaben rund 950 schon für Stereo-3D ausgestattet. In Deutschland gibt es gegenwärtig nur etwa 40 geeignete Spielstätten. Der Hintergrund für die langsamere Entwicklung ist in der offenen Finanzierung der Digitalisierung insgesamt zu sehen. Dem von der Förderverbund FFA entwickelten »Hunderter-Modell«, das die Investitionen der Kinos auf die Schultern von Verleihern, FFA, Kinos und Politik verteilen will, fehlen nach wie vor die Zusagen von Bund und Ländern.

Digitale 2D-Produktion als zweites Thema

Auf Basis der Zusammenarbeit mit dem Berliner Rental-Haus Camelot standen den Teilnehmern mit einer F35 und einem Camcorder des Typs PDW-700 von Sony auch Arris D21 und eine Red One als aktuelles Aufnahme-Equipment zur Wahl. Gedreht wurde nach einer Einführung und unter fachkundiger Anleitung in Studiosets oder kleinen Szenenaufbauten in Seminarräumen. Für die kameraspezifischen Workflows wurden der neue Nucoda FilmMaster mit 2k-Projektion der Filmuni für die mit der D-21 erstellten Aufnahmen eingesetzt. Weitere Suiten mit Lustre, Final Cut und Avid-Systemen illustrierten beispielhafte Workflows für die anderen Kameras. Ausgiebig wurde die Gelegenheit genutzt, Arbeitsschritte, Möglichkeiten und Besonderheiten einer der vier Kombinationen in Akquise und Postproduction gemeinsam mit erfahrenen Fachleuten am selbstgemachten Bild zu diskutieren

Die mit großem Aufwand für den Praxisteil auf die Beine gestellten Workflow-Modelle stellte »InsightOut« am folgenden Tag auch Branchenprofis aus der Hauptstadtregion zum Ausprobieren zur Verfügung. 75 Besucher, hauptsächlich aus den Bereichen Kamera, Produktion und Postprodcution nutzten die Gelegenheit der praxisbezogenen Einweisung in die Aufnahme- und Bearbeitungstechnik.

Dem digitalen 2D-Alltag in der Kino- und TV-Produktion trug »InsightOut« unter anderem auch mit mehreren Produktionsberichten Rechnung. Teilnehmer aus Polen präsentierten den 4K-Intermediate-Prozess des Spielfilms »Popieluszko«, zu dem sie während ihrer Teilnahme an »InsightOut« vor zwei Jahren angeregt wurden. Das Fernsehen war durch Berichte über die aufwändige und mit Extremaufnahmen gespickte Naturserie »Earth – The Power of the Planet« vertreten, eine Produktion der BBC mit ZDF-Beteiligung. Was digitale Technik möglich machen kann, erläuterte Regisseur Amin Matalqa am Beispiel seines Spielfilmdebuts »Captain Abu Raed«: Der erste Kinospielfilm Jordaniens entstand für den Gegenwert von nur zwei Millionen US-Dollar. Auf 35 mm zu drehen war wegen der fehlenden filmtechnischen Infrastruktur in Jordanien undenkbar. Der Film wurde daher mit mehreren D-20-Kameras gedreht, gespeichert wurde auf Festplatten, postproduziert in den USA. Die schöne Story über einen Flughafenarbeiter, den die Kinder der Nachbarschaft für einen abenteuerlustigen Flugkapitän halten, wurde 2009 für den Auslands-Oscar nominiert.

Stereoskopische Projektionssysteme im Vergleich

(mit freundlicher Unterstützung von Kemal Görgülü, Flying Eye)

RealD

Die passiven Brillen des Marktführers arbeiten nach dem Prinzip der zirkularen Polarisation. Ein aktiver Polarisationsfilter (»Z-Screen«) im Lichtgang trennt das Bild in einen horizontal und einen vertikal polarisierten Anteil, die dann von den unterschiedlich polarisierten Gläsern aufgefasst werden. Geisterbilder können produktionsseitig herausgerechnet (»Ghost-Busting«) werden. Das Verfahren erfordert eine Silberleinwand. In den USA werden billige Einweg-Brillen verwendet.

XpanD

Aktive Polarisations-Brillen, die zwischen den Bildern für das linke und rechte Auge im Wechsel umschalten. Die Synchronisierung von Gläsern und Bildtakt erfolgt durch Infrarot-Signale, die vom Server gesteuert werden. Die Brillen benötigen Batterien (Betriebszeit 300 Stunden laut Hersteller) und haben damit einen höheren Betreuungsaufwand. Die Haltbarkeit liegt laut Hersteller bei bis zu 2000 Vorführungen. Das Verfahren ist für weiße Leinwände bis 24 Meter geeignet.

Dolby 3D

Die Gläser der passiven Brillen sind für unterschiedliche Teile des Farbspektrums eines Bildes durchlässig. Ein Farbrad im Lichtgang des Projektors steuert die Umschaltung zwischen beiden Bildern. Eine spezielle Server-Ausstattung ist notwendig. Die Haltbarkeit der Brillen soll bei 300 Vorführungen liegen. Eine weiße Leinwand ist ausreichend. Das Verfahren nutzt Entwicklungen der deutschen Firma Infitec.

Imax

Die Großbild-Kinos nutzen passive Polarisations-Brillen und benötigen eine Silberleinwand für die digitale Doppelprojektion mit zwei 2K-Projektoren. Ein spezieller Server (von Doremi mit »Imax Image Enhancer«) ist notwendig. Auch 70-mm-Doppelprojektionen sind bei Imax im Einsatz.

Sony

Für Stereo-Aufführungen kann zu den 4k-Projektoren SRX-R220 ein Erweiterungsset mit einer Doppeloptik für Leinwände bis 17 Metern Breite geordert werden. Der integrierte Server (Media-Block LMT-200) liefert zeitgleich zwei Bilder, jedes in 2K aufgelöst, mit 60 Bildern pro Sekunde für Silberleinwände. Im März 2009 wurde eine Partnerschaft mit RealD vereinbart.

MasterImage

Auch dieses, vor allem in Japan und Asien vertretene, System verwendet zirkulare Polarisation. Die beiden Bilder werden über ein dem Projektor vorgeschaltetes, aktives Filterrad erzeugt und auf eine Silberleinwand projiziert.

Starttermine für stereoskopische Filme in Deutschland

Gestartet: »Fly me to the Moon« (Animation, Nwave, Fantasia), »Bolt – Ein Hund für alle Fälle« (CGI, Disney). »Reise zum Mittelpunkt der Erde« (Live-Action, Walden Media/New Line, Warner), »Monsters vs. Aliens« (CGI, DreamWorks, Paramount)
Mai: »My Bloody Valentine 3D« (Live-Action, Lionsgate, Kinowelt)
Juli: »Ice Age 3 – Die Dinosaurier sind los« (CGI, Blue Sky, Fox), »Coraline« (Stop-Motion, Laika/Pandemonium, UPI)
August: »G-Force – Agenten mit Biss”« (Live-Action/ CGI, Bruckheimer, Disney)
September: »Up« (CGI, Pixar, Disney)
Oktober: »Jonas Brothers: Das ultimative 3D Konzerterlebnis« (Konzertaufzeichnung, Disney)
November: »A Christmas Carol in Disney Digital 3D« (Live-Action/CGI, Disney)
Dezember: »Planet 51« (CGI, Ilion Animation, Sony, »James Cameron’s Avatar« (Lifeaction, Fox)
Januar 2010: »Toy Story in Disney Digital 3D« (CGI, Pixar, Disney)
Februar 2010: »Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen« (CGI, Sony)
März 2010: »How to Train Your Dragon« (CGI, DreamWorks, Paramount)
April 2010: »Toy Story 2 in Disney Digital 3D« (CGI, Pixar, Disney)
Juli 2010: »Shrek goes Fourth« (CGI, Dreamworks, Paramount)
September 2010: »Toy Story 3 in Disney Digital 3D« (CGI, Pixar, Disney)