Editorial, Kommentar, Top-Story: 05.11.2010

Andere Dimensionen

Obwohl die römische Variante des Zensus entscheidend an der Entstehung des Weihnachtsmythos beteiligt war, werden hierzulande Volkszählungen von der Bevölkerung oft skeptisch gesehen.

Das gilt wohl auch in China, wo man etwa befürchtet, dass Familien, die sich nicht an das offizielle Ein-Kind-Gebot gehalten haben, bei der nun angelaufenen, dortigen Volkszählung, einfach ihre aus staatlicher Sicht überzähligen Nachkommen verschweigen werden.

Außerdem könnten viele Wanderarbeiter versuchen, sich der Zählung zu entziehen, weil sie sich illegal an ihrem Arbeitsort aufhalten: In China gibt es nämlich — ähnlich wie in Deutschland — ein Meldewesen, das jeden Bürger zwingt, sich an seinem Wohnsitz registrieren zu lassen. Freizügigkeit innerhalb des Landes herrscht in China aber nicht. Zudem gilt dort — ganz anders als in Deutschland — dass jeder, der sich länger als drei Monate von seinem Wohnsitz entfernt aufhält, hierfür eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis benötigt — es herrscht sozusagen Visumspflicht innerhalb des eigenen Landes.

Die Aufenthaltserlaubnis kostet aber Gebühren, sie erfordert die Beibringung diverser Unterlagen und es sind zusätzlich — so berichteten chinesische Wanderarbeiter westlichen Journalisten — Schmiergeld und Beziehungen erforderlich, um sie zu erlangen. Deshalb dürfte ein großer Teil der von internationalen Organisationen auf rund 200 Millionen Menschen geschätzten Heerscharen von Wanderarbeitern in China, illegal unterwegs und beschäftigt sein — und entsprechend geringe Bereitschaft zeigen, sich der Volkszählung zu unterwerfen.

Die Volkszählung in China könnte also im Ergebnis größere Unschärfen enthalten. Laut Presseberichten wird auch von offizieller chinesischer Seite eine Fehlerquote von immerhin 1,8 Prozent eingeräumt: Allein das sind — basierend auf den aktuellen Zahlen — schon mehr als 20 Millionen Chinesen.

Zum Vergleich: Berlin hat etwa 3,4 Millionen Einwohner, Hamburg und Wien haben jeweils rund 1,7 Millionen, München 1,3 Millionen und Köln 1 Million. Um auf die offizielle Chinesen-Fehlerquote von 20 Millionen zu kommen, müsste man zu diesen größten Städten im deutschen Sprachraum auch noch die Bevölkerungszahlen von weiteren 28 deutschen Großstädten addieren, die in der deutschen Städterangliste hinter Köln folgen.

Die Vorstellung, dass in China schon die offizielle Fehlerquote der Volkszählung solche Dimensionen erreicht, kann durchaus beängstigend wirken. Das gilt aber — zumindest bei Teilen der mitteleuropäischen Bevölkerung — auch für die Tatsache, dass in sieben Wochen schon das eingangs erwähnte, mit dem römischen Zensus verknüpfte Fest ansteht — und bis dahin noch so viel zu tun ist.

Sie werden sehen.