Editorial, Kommentar, Top-Story: 31.10.2012

Danke, für all die guten Gaben

Sony stellt neben der neuen F-Camcorder-Serie auch eine neue Codec-Familie vor. Na toll, da freut sich aber die ganze Branche, denn es gibt ja noch nicht genug Codecs, Formate und Wrapper, die uns das Leben in der Praxis auf der Anwenderseite schwer machen.

Was sollen wir denn sonst den ganzen lieben langen Tag tun, als uns um Software zu kümmern, mit der wir eins ins andere wandeln, das Ganze zum Laufen und zum Zusammenspielen bringen können. Gern laden wir uns immer neue Viewer und Software-Tools herunter, um überhaupt mal unser Material kopieren und sichten zu können. Transkodieren, umwandeln, organisieren, de-bayern und de-mosaicen: Das ist es doch, wonach das kreative Herz verlangt und weshalb wir uns einen Job in der Medienbranche gesucht haben.

Braucht es wirklich einen neuen Codec? Gibt es nicht schon genug Standards, Formate, Codecs und Wrapper? Das sind natürlich durchaus berechtigte Fragen, die sich ganz sicher viele Anwender stellen, denn sie sind es ja, die sich in der Praxis durch ein immer dichteres, undurchschaubares Gestrüpp aus Parametern und Eckdaten kämpfen müssen, um überhaupt noch durchzublicken und praktisch arbeiten zu können. Die Hersteller sehen das natürlich anders, sprechen von wachsenden Anforderungen in puncto Auflösung, Datenraten, Bildraten, die man erst mal bewältigen müsse — und sie führen auch gern das Argument an, man müsse die Möglichkeiten erweitern und den Endkunden Wahlmöglichkeiten bieten.

So oder so: Nun stehen die Anwender also der Situation gegenüber, dass nach den Formatkriegen der Vergangenheit, jetzt Sony sein — natürlich inkompatibles — Gegenstück zu AVC-Ultra von Panasonic in den Markt tragen wird. Zusätzlich zu all dem, was in den vergangenen Jahren schon einerseits auf der Akquisitionsseite und andererseits auf der Postproduction-Seite eingeführt wurde.

Allein bei Sony sprechen wir  — nur im HD-Bereich — über NXCAM, XDCAM EX, XDCAM HD, XDCAM HD 422, HDCAM und HDCAM SR, ergänzt und verkompliziert durch diverse Speichermedien und File-Systeme. Auch Panasonic war fleißig und hat mit AVCHD, DVCPROHD, AVC-Intra (mit verschiedenen Datenraten) und zuletzt mit der Codec-Familie AVC-Ultra seinen Teil zur Bereicherung der HD-Landschaft beigetragen. JVC und Canon haben ebenfalls noch ihre eigenen Geschmacksrichtungen file-basierter Formate hinzugefügt, ergänzt wird das Ganze noch durch die Raw-Formate von Arri, Red und einigen anderen. On Top zu diesem Chaos folgen dann nach der Originalaufnahme noch die jeweiligen Postproduction-Formate ProRes von Apple und DNxHD von Avid und andere, jeweils in verschiedenen Datenraten und Profilen.

Was soll das denn werden? Wäre es nicht endlich mal an der Zeit, dass sich wenigstens die Großen zusammenraufen, das Samurai-Schwert zur Seite legen und sich auf durchgängige, verbindliche, kompatible Standards einigen? Gibt es noch nicht genug Probleme in der Branche, so dass man noch zahllose Nebenkriegsschauplätze eröffnen und damit letztlich den Anwendern das Leben schwer machen muss?

Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber ohne massiven Druck von der Anwenderseite wird sich wohl gar nichts bewegen. Und hier scheinen wiederum alle so damit beschäftigt, für sich selbst gangbare Wege zu finden und vielleicht doch noch einen kleinen Vorteil irgendwo herauszukitzeln, dass sie erst recht keine Zeit haben, mal das große Ganze zu betrachten. So wird es wohl dabei bleiben, dass die Branche mehr oder weniger schluckt, was immer ihr vorgesetzt wird — oder regt sich da etwa irgendwo Widerstand?

Sie werden sehen.