Editorial, Kommentar, Top-Story: 09.09.2015

Der PI-Wahn

Page Impressions, also Seitenaufrufe im Internet, »Follower« oder »Freunde« gelten schon seit etlichen Jahren als Währung im Internet — als Aufmerksamkeitsmessinstrument und Kennzahl, auf deren Basis man blitzschnell den »Wert« einer Firma, einer Marke, einer Plattform oder eines Produkts einstufen kann.

Aber ist es sinnvoll, auf der Basis einer einzigen Kennzahl solche wichtigen Schlüsse zu ziehen? Sind es nicht vielmehr ganz unterschiedliche Aspekte, die eine Rolle spielen, wenn es darum geht, ein Produkt, eine Firma oder eine Technologie einzuordnen? Ein Beispiel: Wer kauft sich eine Kamera einfach nur nach der Zahl der Megapixel und ignoriert alle anderen Kriterien?

Dass es anders geht, zeigt etwa Arri: Im Kameramarkt dominiert schon seit Jahren das Thema Auflösung die Diskussion. Dennoch ist Arri mit seinen Kameralinien Alexa und Amira extrem erfolgreich — und das nicht, weil die Kameras mit 4K- oder 8K-Sensoren protzen könnten, sondern weil Alexa und Amira die Kunden mit anderen Merkmalen überzeugen.

Von solchen Einsichten ist der Online-Werbemarkt jedoch offenbar noch weit entfernt. Dort herrscht leider all zu oft der unreflektierte PI-, Like- und Follower-Wahn. Dessen Wurzel liegt unter anderem darin, dass das Internet zwar sehr tiefgehende Analysen von Besucherströmen ermöglicht und Berge von statistischem Material generiert, dass aber in einer eher kleinen Branche mit hochspezialisierten Produkten und Dienstleistungen, meist Manpower und Zeit fehlen, um diese Daten sauber zu gewichten und zu bewerten — oder überhaupt mal auch nur ein bisschen detaillierter anzuschauen.

Ihre Firmen-Facebook-Seite hat nur 500 Freunde? Dann vergessen Sie’s einfach – Ihre Social-Media-Kompetenz geht gegen null. Also schnell die effizienten Werbemöglichkeiten bei Facebook aktivieren, die Ihnen Likes aus aller Welt bescheren. Aber haben diese Likes auch einen Einfluss aufs Kaufverhalten Ihrer Kunden und somit auf Ihren Umsatz? Die Wahrheit ist: Oft hat das eine mit dem anderen so gut wie nichts zu tun.

Wichtiger als eine nackte Kennzahl ist eben in vielen Fällen das Umfeld, in dem diese Kennzahl erzielt wird. Hohe PI-, Like- und Follower-Zahlen kann man schließlich am einfachsten mit Fotos von Hundewelpen, mit Katzenvideos oder Nacktbildern von Promis generieren — oder auch mit komplett unlauteren Methoden. Lassen Sie sich nicht blenden, schauen Sie aufs Umfeld: Auch wenn sich Milliarden von Fliegen für Pferdeäpfel interessieren, heißt das schließlich nicht, dass man das auch tun müsste, wenn man keine Fliege ist.

Sie werden sehen.