Broadcast, Top-Story: 15.05.2007

Bandloser Nachrichtensender France 24: Allez Les Bleus

France 24 ist der erste französische Nachrichtensender, der internationale News in französisch, englisch und arabisch ausstrahlt. www.film-tv-video.de hat den Sender in Paris besucht und einen Blick in die schöne neue Nachrichtenwelt von France 24 geworfen. (Druckfreundliche PDF-Version am Textende.)

Wenn von internationalen Nachrichtensendern die Rede ist, denken wohl die meisten in Deutschland zuerst an CNN, BBC und Sky News. Das ist die Liga, in der mit France 24 nun auch ein französischer Sender mitspielen will. Der Anspruch des französischen News-Senders ist hoch: Man will mit einer mehrsprachigen, »differenzierten europäischen Berichterstattung« der angelsächsischen Dominanz begegnen. Natürlich soll dabei in den News auch der französische Blick auf die Welt berücksichtigt werden, aber es geht bei France 24 nicht darum, Nachrichten aus Frankreich in den Rest der Welt zu verbreiten, sondern das Weltgeschehen aus einer europäischen Perspektive zu betrachten und darzustellen. So soll etwa auch die wachsende arabisch sprechende Bevölkerung in Europa mit einem pluralistischen Blick auf die Nachrichtenwelt erreicht werden. Um es plakativ zu formulieren: France 24 will neben dem britischen und amerikanischen Bild der englischsprachigen Konkurrenten ein »europäisches« Nachrichtenbild aus aller Welt liefern.

Zentrale in Paris

Wie im Turm zu Babel kommt man sich vor, wenn man das Sendegebäude von France 24 im Südwesten von Paris betritt.

Englisch, französisch und arabisch werden die News-Beiträge von Nachrichtensprechern in modernen Aufnahmestudios mit Glaswänden kommentiert. Im Kontrollraum hört man simultan den Countdown für den nächsten Sendebeitrag in drei Sprachen. Arabische, englische und französische Regie sind nur durch eine dünne Wand voneinander getrennt.

Auch in den großflächig angelegten Newsrooms herrscht aufgrund der Mehrsprachigkeit aller Journalisten eine bunte Sprachenvielfalt.

Auffällig: Das Durchschnittsalter der Angestellten liegt bei niedrigen Anfang 30 und der Frauenanteil ist mit zwei Dritteln außergewöhnlich hoch.

Avid als Global Integrator

Gerade mal sechs Monate hatte der als »Global Integrator« beauftragte Hersteller Avid Zeit, um bei France 24 die IT- Systemtechnik und einen file-basierten, bandlosen Produktions-Workflow einzurichten. Im Mai 2006 wurde der Vertrag unterschrieben und im Oktober sollte die Technik schon für erste Testdurchläufe zur Verfügung stehen.

Keine leichte Aufgabe, bekräftigt Marc Ledain, Produkt- und System-Manager bei Avid. Zum ersten Mal in Avids Geschichte trat das Unternehmen bei France 24 als »Global Integrator« auf, war also gesamtverantwortlich für Design und Architektur der IT-Systeme und des gesamten Workflows vom Ingest bis zum Playout, sowie für das Management des gesamten Projektes inklusive der Zusammenarbeit mit Firmen wie Grass Valley, Omneon, Harris, Cisco, HP und IBM.

Da die News von France 24 nicht nur im Fernsehen, sondern auch im Web in drei Sprachen als Stream bereit gestellt werden sollten, musste auch hier eine passende Lösung bei der Workflow-Planung gefunden werden.

Aus Sicht von Avid weisen Projekte wie bei France 24 auch den Weg in die Zukunft des eigenen Unternehmens: Mit Schnitt-Software alleine sei kaum mehr Geld zu verdienen, so Avid-Mann Ledain. Großes Potenzial für die eigene Entwicklung sieht das Unternehmen aber dort, wo es darum geht, IT- und Medienwelt zu integrieren — auch im Zusammenspiel mit der Systemtechnik anderer Hersteller.

Herzstück der Sendeabwicklung ist ein Unity-Isis-Speichersystem von Avid mit 96 TB Speicherplatz. Das Asset Management übernimmt das Avid-Produkt Interplay. Via Interplay hat jeder Redakteur Zugang zu maximal 3.000 Stunden Material in voller Auflösung.

Über eine Internet-Anbindung kann weiteres Material auf den Server gespielt werden.

Der bandlose Workflow beschränkt sich aber nicht nur auf die interne Asset-Verarbeitung: Schon bei der Akquisition des Materials verzichtet France 24 auf bandbasierte Aufzeichnung und arbeitet mit Panasonic-P2-Geräten. Der Ingest des Materials wird mit Airspeed und dem Capture Manager von Avid durchgeführt.

Für die Live-Berichterstattung kann Videomaterial aus aller Welt über das Inmarsat-Satelliten-Netzwerk in den Sendebetrieb eingespeist werden.

Als Software für die Sendeautomation wird Production Client von Harris verwendet und zwei Omneon-Server mit 260 Stunden Kapazität in IMX30-Qualität stehen als Broadcast-Server zur Verfügung.

Der Zugang zu Internet, zum zentralen Media-Server wie auch zum internen Firmennetzwerk läuft über ein und dieselbe Netzwerk-Infrastruktur. Sicherheit vor unbefugtem Zugriff von außen — etwa durch Hackerattacken, Viren und Trojaner — soll hierbei eine Virtual-PC-Umgebung bieten, die auf jedem Redakteursrechner installiert ist. Damit kann der jeweilige Mitarbeiter Recherche-Arbeiten im Internet nach dem Sandkastenprinzip in einer abgeschotteten Windows-Desktop-Umgebung betreiben und anschließend für Schnitt und Interplay-Zugang wieder in die »normale« Windows-Welt wechseln. Firmen-Firewalls von Cisco sind als zusätzlicher Schutz vor Hackerangriffen installiert — schließlich könnte ein illegaler Zugriff in einem vollständig file-basierten Sendeumfeld fatale Folgen haben.

Workflow der News-Beiträge

85 Workstations sind in den Newsrooms mit iNews ausgestattet. Hier kann der Journalist die Datenbank nach News-Feeds abfragen, dazugehörige Thumbnails durchforsten, seinen News-Beitrag planen und betexten.

Mit dem Logger Client hat der Journalist außerdem die Möglichkeit, für zusätzlich produziertes Material Log-Listen zu erstellen. Weiter sind 32 dieser Arbeitsplätze mit Newscutter XP und dem Hardware-Beschleuniger und I/O-Modul Mojo ausgestattet.

Via Interplay lassen sich die gewünschten Assets per Drag and Drop in die Timeline des Schnittsystems ziehen. Außerdem ist es möglich, an diesen Workstations jederzeit eventuell sendenah eintreffendes P2-Material einzuspielen.

Bemerkenswert ist bei der Beitragserstellung, dass Voice-Over-Kommentare von den Journalisten selbst am Schnittplatz über ein Headset eingesprochen werden. Es gibt keine Sprecherkabine, die vor den unvermeidlichen Hintergrundgeräuschen schützen würde, die in einem Newsroom mit vielen anderen Angestellten herrschen.

Greg Summerville, Journalist bei France 24, erklärt dies mit dem Umstand, dass Aufnahmen in Sprecherkabinen zu teuer wären und zu viel Zeit in Anspruch nehmen würden — schon aufgrund der geforderten Aktualität der Nachrichten könne letzteres nicht in Kauf genommen werden. Außerdem werde bei der Aufnahme darauf geachtet, dass mögliche Störgeräusche einen bestimmten Pegel nicht überschreiten, so Summerville.

Auch Moderationen werden direkt im Newsroom aufgezeichnet, während der normale Redaktionsbetrieb weiterläuft.

Da der Sender dreisprachig ausstrahlt, wird jeder fertige Beitrag auf dem zentralen Isis-Server abgelegt und von Mitarbeitern der anderssprachigen News-Redaktionen mit neuen Bauchbinden und neuem Off-Kommentar versehen.

Schlussendlich wird der News-Beitrag auf den Omneon-Broadcast-Server gespielt und von Mitarbeitern des Kontrollraumes sendetechnisch in das TV-Programm eingespeist.

Für die Web-Veröffentlichung kann dann an fünf Workstations mit Avid ACM (Active ContentManager) der Beitrag für das Internet aufbereitet und das zugehörige Video-File mit zwei FlipFactory-Encodern von Telestream in das streaming-fähige WMV9-Format gewandelt werden.

Weiterhin schreiben die Redakteure eigene Blogs auf der Web-Seite und bieten mit Kommentarfunktionen und Votings für die Zuschauer einen gewissen Grad an Interaktivität.

Schweizer Taschenmesser — ein neues Journalistenbild

Betrachtet man den beschriebenen Workflow, so werden große Anforderungen an die technischen Fähigkeiten eines potenziellen France-24-Journalisten gestellt. Frederic Brochard, Technischer Leiter bei France 24, vergleicht das Berufsbild eines Redakteurs seines Senders mit einem Schweizer Taschenmesser – Multifunktionalität und Multitasking-Fähigkeit sind zwei der Kernqualifikationen, die ein Mitarbeiter bei France 24 demnach mitbringen muss, um den inhaltlichen und technischen Anforderungen Stand zu halten.

Bei der Mitarbeiterschulung hat Avid schon im Vorfeld des Sendestarts eine zentrale Rolle eingenommen. In speziellen Trainingscamps wurden die Journalisten auf den bandlosen Workflow mit Schnitt und Audio-Mixing sowie für die Aufbereitung der Beiträge für das Web geschult.

Insgesamt sei es gar nicht so einfach gewesen, Journalisten zu finden, die sich von der Aufgabenvielfalt die France 24 von ihnen verlangt, nicht hätten abschrecken lassen, gibt Frederic Brochard offen zu.

(Noch) kein HD und Video-on-Demand

Eine erste Erfolgsstudie sieht France 24 auf dem richtigen Kurs: Die Webseite france24.com liegt auf dem Ranking der meist besuchten News-Sites in Frankreich und Japan ganz vorne und belegt in Großbritannien und Deutschland Rang drei (nach Eurosport und CNN).

Auch der TV-Kanal liegt laut dieser Studie in der Gunst der »Opinion Leaders« weit vorne. Die Anfangshürden sind für den Sender also genommen, welche weiteren Pläne hat France 24 nun?

In drei bis vier Jahren will der Sender in HD-Technik investieren. Auch Video-on-Demand soll ein Thema werden, allerdings frühestens in etwa zwei Jahren, was Alain de Pouzilhac auf das derzeit knappe Budget zurückführt. Dennoch träumt er zusätzlich von der Ausstrahlung in einer weiteren Sprache: Auf chinesisch könnte er eine wichtige und vor allem große weitere Zuschauergruppe erreichen.

Downloads zum Artikel:

T_0407_France24.pdf

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