Top-Story, Trend, Zubehör: 01.03.2006

Keine unendliche Geschichte

Um an digitalen Camcordern Filmobjektive einsetzen und kreativ mit der Schärfentiefe umgehen zu können, gibt es nun eine Alternative zum schon bekannten P+S-Adapter: Movietube von Kinomatik. (Download der druckfreundlichen PDF-Version am Textende des Online-Artikels.)

Frank Wurster, Dietmar Ratsch und Jürgen Killenberger ging es darum, die Vorzüge von Filmoptiken auch mit kostengünstigen Camcordern nutzbar zu machen. So könnte ein kinonaher Look auf MiniDV und HDV gedreht werden — also mit Camcordern, die eigentlich nicht für Wechseloptiken geeignet sind. Damit stünden dem Video-Kameramann das umfangreiche Angebot an Filmobjektiven und deren ausgezeichnete optischen Eigenschaften — einschließlich der präzisen Einstellung des Schärfentiefebereichs — zur Verfügung. Ein filmähnlicher Look wäre auch bei Produktionen zu erzielen, deren Budgets für Filmdrehs oder eine aufwändige Postproduktion zu schmal ist.

Das alles setzt Movietube um, indem ein Zwischenbild in der Größe des Bildfensters einer 35-mm-Filmkamera erzeugt wird. Wird es ins Unendliche verlagert, kann es vom Camcorder abgefilmt werden.

Klingt vertraut? Ja, es gibt schon ein ähnliches System von P+S Technik in München, den Mini35-Adapter. Das Grundprinzip ist bei beiden Systeme ähnlich, dennoch gibt es auch klare Unterschiede. Schließlich ist auch das Grundprinzip der meisten Autos gleich, aber es gibt trotzdem ganz unterschiedliche davon — und auch Gründe, sich für das eine oder das andere zu entscheiden.

Movietube wurde bei Kinomatik entwickelt und wird gemeinsam mit der Firma Befort hergestellt. Das Wetzlarer Unternehmen zeichnet dabei vor allem für die Qualitätssicherung der mit einem Prisma verbundenen »Glas-Streuschicht- Linsen-Kombination« verantwortlich. Das optische Kernstück ist in einem Aluminium-Gehäuse untergebracht. An der einen Seite erlaubt ein PL-Mount das Ansetzen von Objektiven, am Kompendium (14 oder 17 Zoll) kann das gebräuchliche Zubehör für Schärfe, Zoom und weiteres angebracht werden.

Mit wenigen Handgriffen wird der Camcorder am abgewinkelten Schlitten auf der anderen Seite des Adapters angedockt. Ein Gummiwulst verhindert das Zusammenstoßen von Aluminium-Gehäuse und Frontlinse. Das Andocken ist für Kameras mit einem Objektivdurchmesser von bis zu 62 mm möglich, also etwa für den als Referenzkamera genutzten HDR-FX-1 von Sony oder einen Panasonic AG-DVX100. Der Camcorder wird mit drei Stellschrauben auf das interne Bildfenster zentriert und justiert. Da die Schärfe durch einen Achromaten ins Unendliche verlagert wird, wird das Camcorderobjektiv auf unendlich eingestellt. In das kreisförmige Bild des Adapters kann nun so weit hineingezoomt werden, bis es den gewünschten Bildausschnitt des Camcorders ausfüllt.

»Die Aufnahmen nähern sich so in Ihrer Stimmung und Qualität dem großen Film an«, begründeten die Juroren des BKM ihre Preisvergabe. Wie eine »Interaktion zwischen Kamera und Motiv auch mit Weitwinkel oder Normalbrennweiten« — und damit eine für Videoformate unübliche Erzählweise — möglich wird, zeigt eine von Dietmar Ratsch für seinen langen Dokumentarfilm »Die Rechthaber« (für SWR/ARD) gedrehte Szene: Aus Untersicht und mit geringem Schärfebereich ist das Gesicht eines Gitarristen zu sehen. Ratsch verlagert die Schärfe am auf F2 geblendeten 28er Zeiss-Objektiv vom Gesicht zum Instrument und zurück. Gedreht wurde das Ganze mit dem HDV-Camcorder HVR-Z1.

Mit den erweiterten Möglichkeiten sei beim Drehen auch mehr Denkarbeit nötig, erläutert Ratsch, »denn die szenische Auflösung einer Situation ändert sich im Vergleich zu Video.« Und weiter: »Mal eben auf den Zoom drücken reicht da nicht.«.

Zu Vorteilen von Movietube zählt Ratsch die warmen Farben, nachteilig kann es sein, dass bis zu zwei Blenden zugegeben werden müssen. Schließlich sei das Einzoomen mit der Kameraoptik in einen Bildausschnitt bis zum Faktor 2 möglich.

Es gehe darum, eine Produktion »aussehen zu lassen wie Film, auch wenn das Geld dafür nicht da ist«, meint Kameramann Christopher Häring. Movietube ist für ihn sinnvoll, »wenn der Umgang mit der Schärfentiefe gewollt ist.«

Häring hat unter Regie von Katja Kuhl mit dem Adapter und dem HDV-Camcorder HVR-Z1 mehrere Musikvideos für die Berliner Big Fish Produktion gedreht, unter anderem die Songs »Du« von Glashaus, »Jeder Tag ein Comeback« für die Band Culcha Candela und »Bedingungslos« von Jess.

Movietube schlucke zwar mehr Licht als der Mini35-Adapter, resümiert Häring, er beurteilt den Adapter aber von der mechanischen Seite besser und findet die Unschärfe natürlicher als beim Konkurrenzprodukt. Auch im Handling, besonders beim Einsatz als Handkamera, sieht Häring Pluspunkte für Movietube.

Auch Kamerakollege Marcus Stotz nutzte Movietube im Zusammenspiel mit HDV (HDR-FX-1) und MiniDV (PD150) für diverse Musikvideos, doch sind die Clips für ihn bei weitem nicht das einzige Einsatzfeld. Kinomatik meldet neben Verkäufen in Deutschland auch erste Auslandskunden: In Ekuador wird mit Movietube für eine Daily Soap gearbeitet, drei Geräte wurden nach England geliefert.

Movietube LT, vorwiegend für das Drehen mit Stativ gedacht, kann durch Zubehörteile wie Schulterauflagen, Walter-Grips, Adapter für einen Profisucher samt Akkumount und ähnliches schrittweise für den Einsatz als Hand- oder Schulterkamera ausgebaut werden. Als Movietube ST wird der Adapter nun auch von Beginn an in der Maximalausstattung angeboten.

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T_0206_Movietube.pdf