Kommentar, Top-Story: 23.05.2007

Was für ein unglaublicher Schock?

Treiben Sie Sport? Wenn ja, erfüllen Sie damit eine der jüngsten Forderungen der Bundesregierung — die ja bekanntermaßen aus einer Gruppe schlanker, sportlich aktiver und gesund lebender Menschen besteht. Aber ganz unabhängig davon, wie austrainiert Sie sind, können Sie ja mal an folgendem Gedankenexperiment teilnehmen: Stellen Sie sich vor, Sie rennen mit hoher Geschwindigkeit, nahe am Rand ihrer Leistungsfähigkeit, zum Jahrmarkt. Dabei tragen Sie einen Rucksack auf dem Rücken. Unmittelbar vor der Schießbude kommen sie abrupt zum Stand, legen mit dem Gewehr an und schießen mit absolut ruhiger Hand einen Treffer nach dem anderen. Dann rennen Sie weiter, geben wieder alles, was ihre Fitness erlaubt und räumen dann beim Schießen wieder ab. Das Ganze wiederholt sich noch ein paar Mal.

Unmöglich, das in die Realität umzusetzen? Schon durch die erhöhte Atemtätigkeit kann das nicht funktionieren? Na ja: Unter leicht veränderten Vorzeichen heißt das Biathlon und dort läuft es genau so.

Die nordischen Skisportarten gelten nicht ohne Grund als absolut dopingverseucht und somit sind wir auch schon beim Thema: Wer hat vor »Beckmann« am Montag wirklich geglaubt, dass deutsche Radsportler nicht gedopt haben? Trotzdem wird nun so getan, als habe man erst jetzt wirklich stichhaltige Aussagen dafür: Man gibt sich auf breiter Basis einigermaßen überrascht, dass nun zwei frühere Telekom-Fahrer zugeben, mit Epo, Cortison und Wachstumshormonen illegal ihre Leistung gesteigert zu haben. Schon der frühere Sportjournalist Beckmann gab phasenweise mit betroffenem Blick den Unbedarften, als er versuchte, sich für die kürzlich abgespulte PR-Nummer mit Jan Ullrich nun mit einem Bekenner in seiner Show zu rehabilitieren.

Das Fernsehen braucht Helden. Solche, die mit Titanenleistungen die horrenden Sportrechte- und Lizenzkosten rechtfertigen, die in Deutschland vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen in den Profisport gepumpt werden. Und solche, die sich mutig in Talkshows outen.

Dass sich die Medien gleichermaßen am Aufstieg und Fall von Helden weiden und nähren, ist kein neues Phänomen. Nun so zu tun, als sei man überrascht von den Doping-Sündenfällen, ist aber Zeichen einer ganz besonderen Falschheit: Erst verlangt man herausragende Höchstleistungen von seinen nationalen Helden, die im internationalen Umfeld ohne Doping gar nicht mehr erreichbar sind, ist also indirekter Teil des Systems. Dann sieht man in den gefallenen Helden, die man selbst mit aufgebaut und getrieben hat, nur noch die Beschmutzer des Edlen, Schönen und Guten, an das man selbst angeblich stets geglaubt hat. Das ist perfide.

Um den Frust loszuwerden, der sich aus solcherlei Beobachtungen und Überlegungen ergeben kann, empfiehlt sich Freizeitsport — aber bitte ohne Hilfsmittel wie Asthmaspray, Cortison und Aspirin. Sportmuffel können alternativ auch auf Stimmungsaufheller setzen, von denen die pharmazeutische Industrie ganze Arsenale bereithält. Doping hat eben viele Ursachen.

Sie werden sehen.