Branche, Top-Story: 18.03.2008

Berlinale im Wandel

Vergleicht man die Berlinale von 2008 mit der vor zehn und zwanzig Jahren, dann ist in nahezu allen Aspekten ein massiver Wandel zu verzeichnen. So wie sich die Medienlandschaft insgesamt verändert hat, haben auch die Filmfestspiele in Berlin eine Entwicklung vollzogen: Das Festival ist vor und hinter den Kulissen ein anderes als früher und auch die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit hat sich verändert — das freut bei weitem nicht alle Besucher und Teilnehmer.

Dass sich die Berlinale im Lauf der Jahre gewandelt hat und dieser Prozess auch ständig weitergeht, das liegt in der Natur der Sache. Bei der Berlinale wurden und werden Filme gezeigt, aber sonst ist so gut wie alles einem beständigen, manchmal raschen, manchmal schleichenden Wandel unterworfen. Vier Aspekte, auf die das zutrifft, sollen in diesem Rückblick herausgegriffen werden.

Außenwirkung und Inhalte

Schon in der Person des Festivalleiters kommt das überdeutlich zum Ausdruck: Vergleicht man die Amtsführung von Dieter Kosslick, seit Mai 2001 als Festspielchef berufen, mit der seines Vorgängers Moritz de Hadeln (von 1980 bis 2001 im Amt), ist der Unterschied unverkennbar. Fast scheint es so, als sei die Berlinale insgesamt jovialer und fröhlicher geworden — und auch boulevardesker: Das Beiwerk spielt eine so große Rolle, dass es so manchem durchaus ein bisschen zu viel wird — zumindest phasenweise.

Die Basics des Festivals sind die Filme — so möchte man denken. Aber das sehen offenbar leider immer weniger Besucher und Teilnehmer so. Von den in diesem Jahr gezeigten Filmen werden es — wie in jedem Jahr — viele außerhalb des Festivalbetriebs schwer haben, es bis vors breitere Publikum zu schaffen. Bei manchen ist das sehr schade, bei manchen ganz gut so. Welcher Film in welche Kategorie gehört, darüber gehen die Meinungen weit auseinander — und auch das ist absolut richtig so. Vielleicht war es tatsächlich insgesamt ein bisschen zu viel Sozialdrama, was die Berlinale-Filme in diesem Jahr inhaltlich zu bieten hatten, aber es war immer noch sehr viel auch anders geartete Filmware zu sehen. Die Breite der verschiedenen Sektionen ist Segen und Fluch zugleich: Das Profil bleibt oft unklar, aber es gibt im Gegenzug in (fast) jeder Sektion des Festivals auch Perlen zu entdecken.

Die Vielfalt des Kinos — und dadurch auch ein Stückchen von der Welt insgesamt — zu entdecken und zu erleben, das geht nirgendwo besser, als im Rahmen eines großen Festivals wie der Berlinale. Sich darauf einzulassen, das wollen oder können aber offenbar immer weniger der Besucher.

Fernsehfestival

40 Koproduktionen im offiziellen Programm, davon zwei im »Wettbewerb«: So lautet das stolze Fazit der ARD bei der Berlinale. Zwar sind da auch die Filme eingerechnet, die im Rahmen der Koproduktions- und Rechtemesse European Film Market (EFM) nur Fachbesuchern zugänglich waren. Zieht man diese Filme ab, bleibt immer noch mehr als die Hälfte übrig: So oder so eine wirklich stattliche Zahl.

Das ZDF war an 13 Produktionen beteiligt, die in den offiziellen Sektionen der Berlinale liefen (ohne EFM), außerdem noch am Film über die russische Journalistin Anna Politkowskaja der beim »Cinema for Peace« im Umfeld der Berlinale gezeigt wurde.

Dass deutsches Fernseh- und speziell deutsches Gebührengeld in deutsche und internationale Produktionen fließt, das ist den meisten Menschen in der Filmwirtschaft immer noch lieber, als wenn es an Günther Jauch ausbezahlt oder für Volksmusik- und Schlager-Galas verwendet würde. Dennoch ist die immer engere Verflechtung von TV und Kino eine zweischneidige Sache. So zweischneidig, dass es Volker Schlöndorff den Rauswurf aus dem Projekt »Die Päpstin« einbrachte, als er sich dazu kritisch äußerte (siehe Meldung), dass zunehmend parallel zur Kinofassung eines Themas auch noch eine längere, mehrteilige TV-Version produziert wird.

Dass es dabei um erkleckliche Summen geht, zeigt ein Blick auf offizielle ARD-Zahlen für das Jahr 2006: Rund 30 Millionen Euro zahlen die Sendeanstalten der ARD jährlich an die Länderfilmförderung, rund 190 Millionen Euro wenden die Sender insgesamt für Filmneuproduktionen auf. Weitere rund 250 Millionen Euro investiert die ARD Degeto in Auftragsproduktionen von Fernsehfilmen und Serien.

Die folgende Liste zeigt die mit deutschem Fernsehgeld koproduzierten Filme der offiziellen Sektionen der Berlinale 2008:

Wettbewerb: Kirschblüten – Hanami (BR/ARD Degeto/Arte), Feuerherz (BR/Arte), Restless (ZDF)
Berlinale Special: Gegenschuss – Aufbruch der Filmemacher (BR/WDR/Arte), Auge in Auge (WDR/SWR), Plus tard tu comprendras (NDR)
Panorama: Sharon (BR/SWR), Liebe und andere Verbrechen (WDR), Chiko (NDR), Sag mir, wo die Schönen sind… (MDR/WDR/Arte), A Jihad for Love (ZDF), Lemon Tree (ZDF), Tote Schwule – Lebende Lesben (ZDF)
Internationales Forum des jungen Films: Loos ornamental (WDR/3sat), RR (WDR), Die Kinder von Golzow. Das Ende der unendlichen Geschichte… dann leben Sie noch heute, Teil 3 und 4 (RBB), Nacht vor Augen (SWR), Shahida — Brides of Allah (ZDF), Flipping Out (ZDF)
Perspektive Deutsches Kino: Berlin – 1. Mai (HR/Arte), Football under cover – Anstoß in Teheran (RBB/Arte), Jesus liebt Dich – Die Liga Gottes (RBB/Arte), Die Besucherin (WDR), Selbstgespräche (ZDF)
German Cinema: Das Gelübde (WDR/Arte), Beautiful Bitch (WDR/NDR), Das Herz ist ein dunkler Wald (NDR), Leroy (ZDF), Am Ende kommen Touristen (ZDF), Früher oder später (ZDF)
Berlinale Special: Trip to Asia (ZDF)
Retrospektive: El último guión – Buñuel en la memoria (BR/SWR/ZDF)

Die Sender agieren aber nicht nur hinter den Kulissen, sondern positionieren sich zudem auch gern im Glanz der Berlinale: Die ARD-Anstalt RBB präsentierte sich als »offizieller Partner« der Berlinale und entsprechend war das Filmfestival auch relativ stark im ARD-Programm vertreten — im Programm des RBB, in anderen dritten Programmen, wie auch im Gemeinschaftsprogramm der ARD. Ein temporäres Studio im Berlinale-Palast und ein Branchentreff in einem Café in der Nähe der Hauptorte des Festivals gehörten ebenso zu den Aktivitäten des Senderverbunds.

Noch deutlich prominenter präsentierte sich das ZDF bei der Berlinale — aus Sicht der Beteiligten mit großem Erfolg, denn das ZDF verlängerte sein Sponsoring des Festivals gleich bis zum Jahr 2011. Das ZDF ist damit weiterhin Hauptmedienpartner der Berlinale und will zusammen mit seinem Partnersender 3sat und den digitalen Kanälen umfassend berichten. Ein Gläsernes Studio direkt vor dem Berlinale-Palast war das am deutlichsten sichtbare Zeichen der Kooperation von ZDF und Berlinale.

Technik

Eine technische Sektion gibt es bei der Berlinale (leider) nicht. Zwar poppt hie und da parallel zu der Berlinale ein Workshop auf und es gibt den Talent Campus, wo während des Festivals gelernt und produziert wird, aber die Technik spielt während der Festspiele eine Randrolle. Dennoch lassen sich neben gestalterischen und inhaltlichen Trends auch technische Trends ablesen. Dabei lässt sich zusammenfassend sagen: So viel Video war nie. Von der hochwertigen HD-Produktion wie sie »Kirschblüten — Hanami« von Doris Dörrie darstellt (mit Sony-Camcordern in HDCAM gedreht), bis zur technisch wirklich grausamen DV-Produktion war auf den Leinwänden des Festivals wieder alles zu sehen, was die Videotechnik hergibt und — Kodak und Fujifilm werden es nicht gerne hören — mit weiter zunehmender Tendenz. Auch ein Film dessen Look von manch einem als besonders filmisch und hochwertig gepriesen wurde, wurde auf Video gedreht: »The Other Boleyn Girl« mit Scarlett Johansson und Natalie Portmann in den Hauptrollen ist ein Historienfilm über Heinrich den VIII. und seine Beziehung zu Ann Boleyn und ihrer Schwester. Der Film trägt in Deutschland den Titel »Die Schwester der Königin« und wurde mit einer Genesis-Kamera von Panavision auf HDCAM SR produziert. Obwohl nicht so angekündigt, war zumindest die Pressevorführung offenbar eine digitale Projektion: Der Blick in die Projektionskabine ließ das ebenso mit hoher Wahrscheinlichkeit vermuten, wie die Tatsache, dass die Untertitel ganz und gar nicht nach Laser-Untertitelung aussahen. Ob viele von denen das bemerkt haben, die gern nostalgisch von Filmrollen schwärmen? Hier sind Zweifel angebracht.

Fast unabhängig vom Produktionsformat muss man heute aber insgesamt das Vorführformat sehen: Da wurden auf Film ausbelichtete, reine Videoproduktionen gezeigt, aber auch auf Film gedrehte und als Digitalkopie vorgeführte Werke gab es zu bewundern — sowie zahlreiche HD- und auch SD-Projektionen. Im Programmheft unterschied der Veranstalter fein säuberlich in »D-Cinema« was für DCI-konforme 2K-Projektion steht, sowie in »HD« und »SD« für die verschiedenen Videoauflösungen — ob die Bezeichnung im Einzelfall immer zutraf, daran ließ zumindest die Pressevorführung des Boleyn-Schwestern-Films zweifeln.

Ungefähr jede fünfte der 1.256 öffentlichen Vorführungen während der Berlinale wurde nach offiziellen Angaben nicht als Filmkopie gezeigt. Im Wettbewerb etwa betraf das neben dem schon erwähnten »Kirschblüten – Hanami« von Doris Dörrie auch »Feuerherz« von Luigi Falorni, die beide als Digitalkopien vorgeführt wurden. Der Rest der Projektionen in dieser Königsklasse der Berlinale blieb aber — zumindest laut Programmheft — der klassischen Filmbelichtung vorbehalten.

Anders sah es da in den weiteren Sektionen der Berlinale aus: »Panorama Dokumente« bezog ihre Leinwandbilder fast ausschließlich von filmlosen Projektionen. Dass das »Internationale Forum des Jungen Films« und die Reihe »Perspektive Deutsches Kino« sehr viele Videoproduktionen und –vorführungen enthielten, ist wenig verwunderlich. Erstaunlicher ist da schon, dass selbst für die Luis-Bunuel-Retrospektive einige Filme nur als Videobänder vorlagen.

In einigen der Festivalkinos konnten die dort installierten, digitalen 2K-Projektoren genutzt werden, um digitale Filme im DCI-Format vorzuführen, etwa im Zoo-Palast, im Kino International und im Zeughaus. Weitere Kinos stattete der Sponsor Barco für die Dauer der Berlinale mit 2K-Kinoprojektoren aus: den Berlinale-Palast, das Cubix 9 und die Urania.

Die genannten Wettbewerbsbeiträge wurden im JPEG2000-Format nach DCI-Vorgabe vorgeführt und zwar in Form von DCP-Paketen, also inklusive Wasserzeichen und Freigabeschlüssel. Die passenden Server stellt Dolby zur Verfügung. Interessant: Die Server wurden während der Berlinale wie Filmkopien von Kino zu Kino transportiert — aus Kostengründen.

Außerdem im Einsatz: ein ausgeliehener 2K-Projektor von Christie mit Doremi-Server im Delphi.

Die verschiedenen Berlinale-Trailer, die am Anfang jeder öffentlichen Berlinale-Vorführung laufen, produzierte Pictorion Das Werk in rund 150 Varianten: Es gibt inhaltlich unterschiedliche Trailer für die verschiedenen Festivalsektionen und davon jeweils Varianten für die diversen Seitenverhältnisse und Vorführformate. Alle Trailer, die auf Film vorliegen mussten, belichtetet die Arri-Tochter Schwarzfilm in Berlin.

Wo HD-Projektoren zum Einsatz kamen — und das war von Zeit zu Zeit in fast allen Festivalkinos der Fall — waren es in der Mehrzahl Panasonic-Projektoren des Typs PT-D7700, mit denen die Videokopien auf die Leinwand geworfen wurden.

Auf der parallel zur Berlinale stattfindenden Rechte- und Koproduktionsmesse European Film Market (EFM) wurde viel über Monitore und kleine Projektoren gezeigt. Aber in zweien der insgesamt 29 Vorführsäle, die dem EFM zur Verfügung standen, waren das Kino des Gropius-Baus und das Cinestar 5 mit HD-Projektoren bestückt. Hier zeichnete der Berlinale-Sponsor Gahrens+Battermann verantwortlich.

European Film Market

Erneut gewachsen und von den Teilnehmern positiv bewertet, ging der European Film Market in die Saison 2008 und man kann wohl damit rechnen, dass dieser rein ökonomische Teil der Berlinale im kommenden Jahr weiter wachsen wird.

So zog etwa Bavaria Film International eine überaus positive Bilanz nach dem diesjährigen European Film Market (EFM). Bereits zur Mitte der Veranstaltung hatte der Weltvertrieb der Bavaria demnach mehr Umsatz erzielt, als während des gesamten EFM im Vorjahr.

Großes Interesse von Seiten der internationalen Einkäufer gab es laut BFI vor allem an Doris Dörries Berlinale-Wettbewerbsbeitrag »Kirschblüten – Hanami«, der nach Frankreich (Jour 2 Fete), Spanien (WandaVision), Norwegen (Fidalgo), Argentinien (Alfa Films), Benelux (Cinemien), Südkorea (JinJin Pictures), Taiwan (Swallow Wings), Kolumbien (Cine Colombia), Mexiko (Cine Video y TV), Griechenland (PCV) und HBO in Lateinamerika verkauft wurde. Auch mit den USA, Italien und Japan laufen laut BFI intensive Vertragsverhandlungen.

Die beiden weiteren Wettbewerbs-Titel aus dem Portfolio von BFI setzten sich beim EFM ebenfalls gut in Szene. »Black Ice« von Petri Kotwica fand Abnehmer in Frankreich (Surreal Film), Bulgarien (Multivision), Taiwan (Swallow Wings), Südkorea (K Entertainment), Kolumbien (Cine Colombia), GUS und den Baltischen Staaten (Plan 2 Real) sowie in Lateinamerika (HBO). Amos Kolleks »Restless« gewann in Berlin den Preis der Gilde deutscher Filmkunsttheater. Das israelische Vater-Sohn-Drama wurde zudem nach Brasilien (Estacao) und Griechenland (Ama Films) verkauft.

Einen weiteren wichtigen Erfolg erzielte der Bavaria-Vertrieb mit Tomas Alfredsons »Let The Right One In«, für den Magnolia Pictures alle Rechte zur Auswertung in den USA erwarb. Das Vampir-Drama aus Schweden kam mit seiner Mischung aus klassischem Horrorfilm und poetischem Arthouse-Kino beim Markt in Berlin bestens an und steht vor zahlreichen weiteren Vertragsabschlüssen, unter anderem mit Deutschland, Großbritannien, Spanien, Südkorea und Lateinamerika.

Nicht zuletzt stand laut BFI deutsche Zeichentrick-Comedy beim europäischen Filmmarkt hoch im Kurs. Michael Herbigs »Lissi und der wilde Kaiser« fand Abnehmer für alle verfügbaren Rechte in China (HGC), Brasilien (Art Film), Türkei (Ozenfilm), Spanien (Key2 Media), GUS und den Baltischen Staaten (Luxor). PCV will den deutschen Boxoffice-Hit in Griechenland im Fernsehen und auf DVD herausbringen, HBO sicherte sich die Pay-TV-Rechte für Lateinamerika.

Neben seinem offiziellen Line-Up für den European Film Market hat Bavaria in Berlin auch mit einer ersten Präsentation von Ausschnitten aus »Buddenbrooks – ein Geschäft von einiger Größe« Aufsehen erregt. Mittlerweile sind für Heinrich Breloers Adaption des erfolgreichen Romans von Thomas Mann bereits Presales nach Ungarn, Benelux, Polen und Kolumbien vereinbart.