Finanzprobleme bei Thomson kulminieren
Weil Thomson, der Mutterkonzern von Grass Valley, tief in den roten Zahlen steckt, lässt sich der ursprüngliche Plan, die Broadcast-Abteilung bis zum Jahresende 2009 zu verkaufen, offenbar nicht verwirklichen — zumindest scheint der geplante Zeitrahmen nicht haltbar zu sein.
Der Handel mit Thomson-Aktien an der Pariser Börse wurde ausgesetzt: Ganz sicher kein gutes Zeichen. Das Unternehmen ächzt unter einer enormen Schuldenlast (siehe frühere Meldung) und es laufen schon länger Anstrengungen, den Konzern zu retten. Unter anderem soll der Verkauf einzelner Unternehmensteile Geld in die Kasse bringen: So soll auch Grass Valley verkauft werden, wie das Unternehmen erstmals vor fast einem Jahr ankündigte (siehe Meldung). Schon zur NAB2009 gab es dafür angeblich klare Pläne und Prozesse (siehe Videoreport), die später konkretisiert wurden (siehe Meldung). Einen Abschluss konnte das Unternehmen allerdings bisher nicht melden.
Nun ist beim Mutterkonzern eine besonders kritische Phase erreicht: Wenn nicht die Mehrheit der Gläubiger und Anteilseigner einem Teilerlass der Schulden, einer Kapitalerhöhung und einem Restrukturierungsplan mit umfassenden, einschneidenden Schritten zustimmt, soll das Unternehmen gemäß einer juristischen Maßnahme, die das französischen Wirtschaftsrecht eröffnet, vor seinen Gläubigern geschützt, weitergeführt und anschließend im Rahmen eines zehnjähriger Restrukturierungsplans saniert werden.
Im Strudel der aktuellen Ereignisse ist offenbar auch der Verkauf der Broadcast-Tochter Grass Valley gestoppt, der ursprünglich noch vor Jahresende abgeschlossen werden sollte. Was das konkret bedeutet, ist nicht ganz klar, man kann aber ganz sicher ohne Übertreibung sagen, dass es für das gesamte Unternehmen derzeit gar nicht gut aussieht.
Rettung durch »Sauvegarde«?
Mitte des Jahres 2009 hatte sich Thomson mit der Mehrheit seiner Gläubiger auf ein Maßnahmenpaket geeinigt, auf dessen Basis nun ein umfassender Restrukturierungsplan entwickelt wurde. Thomson hat parallel dazu für die oberste Instanz in der Firmenpyramide des Unternehmens, die Holding, bei den zuständigen französischen Behörden den »Sauvegarde«-Prozess beantragt. Das ist eine Art vorläufiges Insolvenz-Verfahren, vergleichbar mit dem Chapter 11 im US-Wirtschaftsrecht. Die einzelnen Töchter und Teilbereiche können und sollen laut Thomson weiterhin ganz normal weiterarbeiten und hierfür sei auch ausreichende Liquidität vorhanden. Allem Anschein nach geht es nun — vereinfacht gesagt — darum zu vermeiden, dass die Holding das gesamte Unternehmen und damit auch die profitablen Unternehmensteile mit in den Abgrund reißt.
»Sauvegarde« dient zunächst einmal dazu, Zeit zu gewinnen, um die finanzielle Sanierung des Unternehmens mit den Gläubigern und Anteilseignern zu sichern und die Details datür zu vereinbaren. Damit soll eine Komplettpleite abgewendet werden — was zumindest in den USA auch schon öfter geklappt hat, etwa auch bei Fluglinien.
Das »Sauvegarde«-Verfahren läuft in verschiedenen Schritten bis Februar 2010 und bis dahin soll entweder eine Einigung mit den Gläubigern und Anteilseignern erzielt werden, die das Überleben der Thomson-Holding sichert, oder es wird ein behördlich angeordnetes Verfahren mit dem gleichen Ziel eingeleitet. Am 21. und 22. Dezember 2009 werden die Gläubiger und Anteilseigner nun darüber abstimmen, ob sie den vorgeschlagenen Restrukturierungsplan akzeptieren.
Ziel ist es, damit die Schulden auf einen Schlag um 45 Prozent auf rund 1,55 Milliarden Euro zu reduzieren. Gläubiger sollen auf Forderungen verzichten und gleichzeitig sollen 527 Millionen neue Aktien ausgegeben werden. Die neuen Aktien sollen allen bestehenden Anteilseignern zum Kauf angeboten werden und insgesamt eine Kapitalerhöhung von 348 Millionen Euro bringen. Dieses grundlegende Verfahren ist durch zahlreiche weitere Vereinbarungen über Fristen, Fälligkeiten, Garantien und Optionen detailliert geregelt.
Falls für dieses Konstrukt am 23. Dezember 2009 keine Einigung mit mindestens 2/3-Mehrheit verabschiedet wird, tritt aller Voraussicht nach ein vom Gericht erlassener »Plan de Sauvegarde« in Kraft, bei dem die Schulden zwar komplett bestehen bleiben, die Rückzahlung aber über zehn Jahre gestreckt wird: Mit einer jährlichen Tilgung von jeweils 5 % der Schulden während der ersten neun Jahre. Auch dieser Plan klingt zunächst mal machbar und so, als ob das für die Gläubiger schlechter sei, als für das Unternehmen. In der Praxis würde es aber bedeuten, dass in den kommenden neun Jahren jeweils rund 150 Millionen Euro als Tilgungszahlungen aus dem Unternehmen abfließen müssten, zuzüglich der Zinsen für die Restschulden. In der momentanen Wirtschaftslage wird es eine große Herausforderung sein, diesen Überschuss nicht nur zu erwirtschaften, sondern ihn auch noch aus dem Unternehmen zu verlieren und nicht für die Entwicklung neuer Produkte und die Restrukturierung investieren zu können. Außerdem bleiben im zehnten Jahr noch 55 % der Schulden übrig, im Fall von Thomson immer noch rund 1,5 Milliarden Euro.
Was passiert mit Grass Valley?
Offizielle Aussagen zum Procedere bei Grass Valley sind momentan nicht zu bekommen, laut informierten Kreisen soll es aber so sein, dass alle Aktivitäten zum geplanten Verkauf von Grass Valley derzeit gestoppt sind — aber nicht im Sinne von abgebrochen, sondern von »on hold«. Wenn Thomson eine Einigung mit den Gläubigern und Anteilseignern erzielt, oder alternativ dazu der behördliche »Plan de Sauvegarde« in Kraft tritt, könnte Grass Valley anschließend prinzipiell verkauft werden — so sich zu diesem Zeitpunkt ein Käufer findet.
Insider gehen davon aus, dass Grass Valley zu den gesünderen Teilen von Thomson gehört und mit einigen Restrukturierungen durchaus überlebensfähig sei und profitabel weitergeführt werden könne.
Für die Branche bleibt zu hoffen, dass es zu einer vernünftigen Lösung kommt, sonst stünden viele Anwender von Grass-Valley-Produkten vor großen Problemen. Am besten für die Mitarbeiter, Vertriebspartner und Kunden des Unternehmens wäre es natürlich, wenn Grass Valley nicht in die Hände einer Heuschrecke fiele, die das Unternehmen kauft, ihm den Kaufpreis dann als Schulden aufbürdet und es anschließend filetiert.
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