Top-Story: 17.11.2010

Stereo-3D: Erst im Kino, jetzt zuhause?

Als gäbe es kein anderes Thema mehr, befassen sich derzeit die meisten Branchenveranstaltungen mit dem Thema Stereo-3D. Die Produktionsseite hat aufgerüstet und mit zahlreichen Pilotprojekten schon bewiesen, dass sie prinzipiell auch in der Lage ist, die heimischen Wohnzimmer mit 3D-Bildern zu beschicken. Wie aber stellt sich das Thema auf der Distributions- und Empfängerseite dar? Wird Stereo-3D vom Fernsehbereich getrieben? Peter Dehn fasst seine Eindrücke vom jüngsten Symposium der Deutschen TV-Plattform und einer Veranstaltung des Unterhaltungselektronk-Verbands Bitkom zusammen.

Das diesjährige Symposium der Deutschen TV-Plattform stand unter dem Motto »Von HDTV zu 3DTV – Markterfolg oder Hype?« Beim Industrieverband Bitkom wurde eine Woche später das Thema nicht als Frage formuliert, sondern selbstbewusst getitelt: »3D – Next Generation Entertainment«.

Womit sich die Konsumenten derzeit elektronisch unterhalten, erhellte Jürgen Boyny (Gesellschaft für Konsumforschung, GfK). Vom Marktstart im März bis Ende September 2010 wurden demnach in Deutschland 53.380 3D-geeignete Fernseher verkauft. Das sind mehr, als 2004 im Rahmen der »HD-Ready«-Kampagne innerhalb eines vergleichbaren Zeitraums durch den Handel gingen. Deshalb sieht Hans-Joachim Kamp von Philips, die UE-Branche »am Anfang einer neuen Entwicklung«. Die Industrie habe die Basis für HDTV aufgebaut: »Wir schaffen auch für 3DTV frühzeitig eine Reichweite.«

Dies geht einher mit noch kürzeren Produkt- und Innovationszyklen: Kamen Röhrenfernseher im Durchschnitt erst nach zehn oder mehr Jahren zum Elektronikschrott, werden Flachdisplays heute nach fünf bis sechs Jahren ausgetauscht. Diese Taktzahl wollen die UE-Hersteller noch erhöhen, weil sie damit auf den Preisverfall bei Flachbildfernsehern reagieren und einem Absatzrückgang vorbeugen können. Vermittelt man den Konsumenten das Gefühl, ihr Gerät sei nicht mehr auf der Höhe der Zeit, kaufen sie früher ein neues. Der erste Schritt ist getan: Wurden 2006 in Deutschland knapp sechs Millionen Fernseher verkauft, sollen es 2010 mehr als 9 Millionen Geräte werden.

Die UE-Industrie ist also zuversichtlich, dass man die Gerätebasis mit 3D-Funktionalität bei den Endkunden relativ rasch verbreitern könne. Aber natürlich droht auch eine klassische Henne/Ei-Situation: Wieso sollten die Kunden Funktionalität kaufen, für die es noch keine oder nur in sehr beschränktem Maße Inhalte gibt?

Weltweites warten auf Content und Programme

Eines wird nämlich bei den Betrachtungen gern außen vor gelassen: Bei der Umstellung auf HDTV konnten die Sender – wie beim Start des Farbfernsehens und des 16:9-Formats — teilweise auf eigene, immer aber auf fremde Archivbestände zugreifen. Es gab bei diesen Technologiesprüngen jeweils schon passendes Material, das man in der neuen Darreichungsform auswerten konnte. Stereoskopischer Content dagegen, hat letztlich immer noch Seltenheitswert, denn seit den Kinofrühzeiten kam Stereo-3D bisher nie über einen Randplatz auf den Startlisten hinaus — selbst heute wird eben noch sehr viel mehr in 2D produziert, als in 3D.

31.581 Blu-ray-Player wurden laut GfK bisher in Deutschland verkauft: Es ist also ganz offenbar nicht viel dran, am wieder vorgetragenen Argument, dass die Konsumenten ja auch auf Konserven zurückgreifen könnten, um zuhause Stereo-3D zu genießen. Als Ergänzung zu den 53.380 3D-tauglichen Fernsehern gingen 52.200 Stereo-3D-Brillen über die Ladentheken — das ist im Schnitt weniger als eine pro 3D-Fernseher — und auch das zeigt die Zurückhaltung der Verbraucher gegenüber Stereo-3D-Content. Der deutsche Markt liegt laut DisplaySearch mit diesen Zahlen durchaus im globalen Trend.

»Die Kunden warten noch auf Content«, erklärt GfK-Experte Boyny. Einen Massenmarkt sieht auch Thomas Wrede von SES Astra vorläufig nicht. Bis 2012 rechnet er europaweit mit nur zehn 3D-»Event-Kanälen« in Form von Pay-TV-Angeboten.

Einer davon wird der deutsche Ableger von Sky sein: Viel mehr als einzelne, herausgegriffene Sport-Events oder die Aufzeichnung des in 91 Kinos live übertragenen Halle-Konzerts der Fantastischen Vier, kann Stephan Heimbecher für Sky aber nicht aus dem 3D-Ärmel zaubern. Ab Januar soll es bei Sky wöchentlich ein Bundesliga-Spiel in Stereo-3D geben — die 90.000 Sky-HD-Kunden können den Event-Kanal vorerst ohne Zusatzkosten sehen, aber Heimbecher kündigte an, dass Stereo-3D später kostenpflichtig sein wird.

Wesentlich mehr TV-Content als Sky, kann deren Wettbewerber Telekom über seine Triple-Play-Plattform Entertain auch nicht ins Web stellen.

Kann man also die ganz offenbar gewaltige Programmlücke anderweitig stopfen? So wie SD-Konserven für HDTV-Ausstrahlungen hochgerechnet werden, sollen auch 2D-Inhalte in Stereo-3D konvertiert werden — dafür gibt es verschiedene Ansätze.

»Das machen unsere Fernseher in Echtzeit«, sagen einige Hersteller. Ob diese Art von »Fake-3D« den Zuschauern gefällt und als Anreiz ausreicht, ist ein anderes Thema. Auch die technisch aufwändigere Aufbereitung führt nicht sicher zum Erfolg: Im Kino jedenfalls fielen nachträglich auf Stereo-3D hochkonvertierte Spielfilme bisher durch. So wurde etwa der in 3D-nachgerechnete »Kampf der Titanen« als nicht qualitätsgerecht und eher marktschädlich für Stereo-3D bewertet. Disney stoppte dem Vernehmen nach drei geplante Konversions-Filme. George Lucas und James Cameron streben dem Vernehmen nach in der 2D/3D-Konversion eine höhere Qualität an, was aber dazu führt, dass die 3D-Neuvermarktung von »Star Wars – Episode 1« und »Titanic« zweistellige Millionenbeträge verschlingen wird — mit schwer kalkulierbarem Erfolg.

Wenige Blu-rays – und teilweise nur analglyphisch

Dass Blu-ray-Player in deutschen Wohnzimmern keineswegs flächendeckend vorhanden sind, wurde eingangs schon erwähnt. Aber wie sieht es mit Stereo-3D-Content auf diesem Träger aus? Schiebt die Videokonserve Stereo-3D im Heimmarkt an?

Bislang sieht es nicht danach aus: So legte etwa Panasonic seinen Geräten in einer Marketingaktion »Avatar« auf Blu-ray bei, Toshiba packte Disneys »Eine Weihnachtsgeschichte« drauf und es laufen noch viele weitere, ähnliche Aktionen. Wegen solcher Bundlings bleiben dem Handel derzeit gerade mal sechs von 25 prinzipiell verfügbaren Titeln für den freien Verkauf — wenn man mal von Pornos absieht. Laut GfK entfallen von den verkauften 134.230 3D-Blu-rays 60.355 (plus 9.296 in einer zweiten Boxvariante) auf »Final Destination 4« und 26.684 auf »Coraline«. Kaum zu glauben: Die Stereo-3D-Versionen dieser beiden Blu-rays wurden in der nostalgischen Anaglyphen-Technik produziert. »Shutterbrillen-pflichtig« gingen — deutlich abgeschlagen — »Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen« (7.894 Stück) und »Kampf der Titanen« (7.380 Stück) über den Ladentisch.

Von einem großen Schub für Stereo-3D in seiner neuesten Ausprägung kann da bisher keine Rede sein. Wenn sich die Content-Inhaber hier nicht besser mit den Geräteanbietern koordinieren, steht man sich bis auf weiteres wohl eher gegenseitig im Weg.

»Wenn die Frage kommt: »Welche Filme gibt es?«, wird es schwierig für die Händler«, räumt denn auch Alexander Awramow von der Fachhandelskette Electronic Partner ein.

Pay-TV gibt »Phase 1«-Standardisierung vor

Dann vielleicht doch lieber zurück zum Fernsehen: In Europa preschten bisher lediglich die Pay-Sender BSkyB, Canal+ und Sky Deutschland vor. Auch das unterscheidet Stereo-3D vom HDTV-Start: Bei HDTV hatten sich öffentlich-rechtliche und private Sender an der Sendestandardisierung beteiligt und einen gemeinsamen Nenner gefunden. Den geplanten 3D-Standard wird dagegen — zumindest vorerst — nur das Pay-TV-Trio sanktionieren, deren schon im Markt befindliche HDTV-Receiver für Stereo-3D in der »Side by Side«-Übertragungsvariante geeignet sind. »Side by Side« presst linkes und rechtes Teilbild nebeneinander in ein HDTV-Signal. Diese Teilbilder bestehen aus 960 x 1.080 Bildpunkten: das ist kein »echtes« HDTV.

»Phase 1« der Stereo-3D-Standardisierung innerhalb von DVB, fixiert mit »Side by Side« und »Top Bottom« zwei Übertragungsvarianten, die als »frame compatible« bezeichnet werden. Erst 2012 soll dann mit »Phase 2« stärker auf die Bedürfnisse der Free-TV-Anbieter eingegangen werden.

Dazu gehört unter anderem folgender Fall: Um vereinzelt Stereo-3D-Events zu übertragen, ist ein eigener Sendekanal zu teuer. Folglich muss sichergestellt werden, dass bei Stereo-3D-Übertragungen auf normalen Kanälen auch ein 2D-Fernseher ein korrekt darstellbares Signal anzeigt. Das hat unter anderem auch den Hintergrund, dass der auf rund 10 % Prozent geschätzte Anteil der Zuschauer ebenfalls ordentlich bedient werden muss, der den Stereo-3D-Effekt aus individuellen Gründen nicht wahrnehmen kann.

Das MPEG-Verfahren »Multi Video Coding« könnte diesen Job übernehmen und das Signal damit »service compatible« machen: Das linke Stereoskopie-Teilbild geht dabei als konventionelles HDTV-Signal über den Sender und wird von 2D-Displays dargestellt. Vom rechten Teilbild werden nur die Unterschiedsinformationen zum linken Bild kodiert. 2D-Displays ignorieren dieses Differenzsignal, Stereo-3D-Fernseher generieren daraus das rechte Bild. So wird 2D-Kompatibilität erreicht und gleichzeitig weniger Übertragungsbandbreite beansprucht. Ähnlich effizient wäre eine Lösung, bei der das zweite Teilbild auf Basis einer separaten Tiefeninformation generiert wird.

Rainer Schäfer vom Institut für Rundfunktechnik (IRT) mahnt die volle HDTV-Auflösung beider Teilbilder an — und das möglichst in progressiver Bildfolge, statt mit dem von allen privaten Anbietern favorisierten Zeilensprung. »Phase 2« der Stereo-3D-Standardisierung erfordert allerdings eine komplett neue Gerätegeneration auf der Empfängerseite.

»So schnell wie möglich und mit unzureichender Technik«, will sich die ProSiebensat1-Gruppe (P7S1) dem Thema Stereo-3D auf keinen Fall nähern, so Klaus Steffens, Leiter Technik Distribution bei P7S1. Auch Bertram Bittel, von der ARD/ZDF-Technikkommission stellt sich dem Druck der UE-Hersteller entgegen: Für die geforderten Inhalte müssten sich die Sender auf nicht leistbare Milliarden-Investitionen einlassen. ZDF-Produktionsdirektor Andreas Bereczky sieht das ähnlich: »Wir haben keine Pläne. Wir sollten erst einmal die HDTV-Einführung organisieren« — statt mit 3D »unter HDTV zurückgehen.«

Mit breiter Unterstützung der deutschen TV-Sender für Stereo-3D ist demnach jenseits des Pay-TV-Bereichs derzeit wohl eher nicht zu rechnen.

Autostereoskopie statt Shutterbrillen

»3D ohne Brille« könnte laut aktueller Goldmedia-Befragung die Stereo-3D-Nutzung von 10,4 auf 34,1 Prozent steigern. Um autostereoskopische Displays, wie sie nun teilweise schon gezeigt werden, »wohnzimmertauglich« zu machen, müssten die Geräte aber, so Ralf Schäfer vom Heinrich-Hertz-Institut, 20 Views bieten, also Blickwinkel, aus denen man ein Stereo-3D-Bild sieht. Das ist aber heute nur möglich, wenn die Auflösung je View erheblich unter HDTV-Niveau liegt. Unter 4K-Gesamtauflösung ist Autostereoskopie damit nach Schäfers Einschätzung sinnlos. Marktfähig könnten solche Displays aber laut Schäfer nicht vor 2015 werden.

»Auf kleinen mobilen Displays wird 3D zur Erfolgsstory«, prophezeit Klaus Goldhammer von Goldmedia. Für mobile Stereo-3D-Minis, wie von Nintendo angekündigt, reicht wegen der Einnutzer-Situation ein einziger View aus. »Games sind die Content-Innovatoren«, folgert Goldhammer aus dieser Lage und auch daraus, dass es schon 400 3D-Videospiele gibt. 2015 könnten laut Goldmedia 22 % der deutschen TV-Haushalte 3D-taugliche Displays besitzen. Wie stark aber werden sie Stereo-3D tatsächlich nutzen?

Astra geht für 2015 von europaweit 25 Millionen Stereo-3D-Haushalten aus, von denen aber nur 7 Millionen die Möglichkeiten der Geräte auch ausnutzen.

Fazit

Vielleicht liegt die Zukunft von Stereo-3D auf der Konsumentenseite also in Wahrheit weniger im klassischen Fernsehbereich, als manche heute versuchen glauben zu machen. Digitalfernseh-Pionier Professor Ulrich Reimers jedenfalls beantwortete sich die gegen Ende des diesjährigen Symposiums der Deutschen TV-Plattform zu Stereo-3D aufgeworfene Frage »Was kann ich sehen?«, dann auch gleich selbst: »Alles außer Fernsehen.«

Empfehlungen der Redaktion:

15.11.2010 – Stereo-3D ohne Brille
28.10.2010 – Stereo-3D-Übertragung in Skandinavien
09.09.2010 – Schon totgeritten?
03.09.2010 – Stereo-3D in der Live-Produktion: Neuland erforscht