Branche, Film, Top-Story: 29.11.2010

Vom Produktions-, zum Transfer-, zum Archivmedium: Wo steht der chemische Film?

Film ist tot. Es lebe der Film. Ja was denn nun? Um darauf eine Antwort zu finden, die mehr ist als nur ein Bauchgefühl, kann man sich in Zahlenkolonnen stürzen. Die sind aber leider oft von zweifelhafter Provenienz, weil die Urheber dieser Zahlen mit der Veröffentlichung häufig einen bestimmten Zweck verfolgen. Oder man kann einfach auf den Markt blicken und sich aus den Indizien und Tatsachen, die man dort erkennen kann, ein eigenes Bild machen. Dieser Artikel versucht einen Zwischenweg und nimmt zudem auch den Archivbereich ins Visier.

Dem chemischen Film als Bildträger wird von zwei Seiten aus das Dasein erschwert: in der Akquisition, wie in der Distribution haben sich echte Alternativen eröffnet. Im Aufnahmebereich etwa bröckelt die Front mittlerweile auch in Bereichen, die bisher fest in Filmhand lagen, weil die digitalen Kameras immer besser werden. Am anderen Ende der Kette nimmt die Kinodigitalisierung zu. Der Bereich dazwischen ist ohnehin schon fast vollständig digitalisiert. Bleibt noch der Archivbereich: Hier stellt sich nicht nur die Frage, wie man Film heute idealerweise archiviert, sondern auch die Frage, wie man archivierte Filme heute wieder zugänglich machen kann.

Jedem Tierchen sein Plaisierchen

Viele Anwender verspüren eine emotionale Bindung zum Film als Bildträger — vielleicht gerade deshalb, weil man hier die Bilder noch anfassen kann, während der Trend in den meisten anderen Lebensbereichen der westlichen Welt zur Virtualisierung geht.

Man kann es drollig finden, wenn Menschen, die einerseits mit SmartPhones bewaffnet ihren Facebook-Account füttern, sich andererseits für den Film als Bildträger stark machen. Aber darum geht es in diesem Artikel nicht: Niemand soll überzeugt oder überredet werden, dem chemischen Film den Rücken zu kehren.

Wer will und es sich leisten kann, soll mit 35 mm drehen, was das Zeug hält. Wem das leise Schnurren einer Filmkamera Musik in den Ohren ist, der soll sich weiterhin daran berauschen. Wer es liebt, Filmstreifen durch die Finger gleiten zu lassen und im Gegenlicht Einzelbilder betrachten zu können, dem sei dieser Genuss gegönnt. Und vielleicht sollten besonders empfindsame Seelen mit einem Hang zum Haptischen, sogar an dieser Stelle aus diesem Artikel aussteigen — aus reinem Selbstschutz.

Film in der Akquisition

Die Entwicklung im Kamerabereich lässt sich am besten an Arri ablesen: Seit das Unternehmen mit der Alexa-Baureihe seine zweite Generation digitaler Kameras im Rahmen der NAB2009 offiziell angekündigt hatte (Meldung), wurden seitens Arri die Bemühungen, den Film als weit überlegenes Medium mit einer großartigen Zukunft darzustellen, immer weiter reduziert. Mittlerweile sind sie so gut wie eingestellt. Noch zum Jahresende 2009 hatte Arri zwar einerseits seine jüngste 16-mm-Filmkamera mit bis zu 50 % Rabatt angeboten (Meldung), aber andererseits die Filmfahne weiterhin geschwenkt — etwa auch durch die Vertriebskooperation mit Cinnafilm bei der Relativity-Software für Korn- und Rauschmanagement. Darum ist es nun sehr ruhig geworden, was Cinnafilm wiederum dazu bewogen hat, auch mit anderen Partnern zu kooperieren — etwa mit Quantel.

So ersterben bei Arri schrittweise die Versuche, das Filmfeuer in der Akquisition zumindest am Glimmen zu halten. Zur IBC2010 etwa gab das Unternehmen an, schon mehr als 200 Alexas ausgeliefert zu haben und ergänzte, dass die hohe Bildqualität den wichtigsten Erfolgsfaktor für die Kamera darstelle (Meldung). Tatsächlich sind auch viele der bisherigen Hardcore-Filmverfechter und –Digitalhasser voll des Lobes für die Alexa.

Dass Sony, Red und andere Firmen ohne klassischen Filmhintergrund schon lange am Filmmarkt raspeln und nagen, ist die eine Sache, wenn nun aber auch Arri einen ganz klaren Schwenk vollzieht, spricht das Bände.

Es lässt sich klar sagen, dass der Filmkameramarkt so gut wie tot ist, was den Verkauf von Neugeräten betrifft. Diesen Markt, der früher den gesamten Bereich aus Spielfilm- und hochwertigen TV-Produktionen umfasste, deckten weltweit insgesamt rund 6.000 professionelle Filmkameras verschiedener Hersteller ab, wie Arri-Geschäftsführer Franz Kraus 2009 in einem Interview erläuterte. In diesem Markt befinden sich auch noch viele Filmkameras im Einsatz, denn es wird nach wie vor auf Film gedreht: Es soll hier keineswegs verschwiegen werden, dass es noch erhebliches Produktionsvolumen in 35 mm gibt,  überwiegend bei Kinofilmproduktionen mit großen Budgets. Neue Filmkameras braucht dieser gesättigte Markt aber nur noch in ganz geringem Umfang.

Die beste, wenn wahrscheinlich auch nicht ganz objektive Marktübersicht in puncto aktueller Produktionen auf chemischem Film, hat zweifellos Kodak. Außerdem lohnt sich ein Blick auf die Produktentwicklung dieses Herstellers: Jüngste Mitglieder der am weitesten entwickelten Cine-Filmmaterialien der Vision3-Produktlinie, sind ein mittelempfindlicher, auf Kunstlicht sensibilisierter Farbnegativfilm (Vision3 200T Color Negative Film 5213/7213), sowie ein Intermediate-Film (Intermediate 2254/5254), der für das Arbeiten in der digitalen Postproduction optimiert ist.

Laut Kai Langner, Geschäftsführer von Kodak Deutschland und General Manager Entertainment Imaging, bewegte sich der Absatz von Color-Print-Filmen — also dem Material aus dem Kinokopien bestehen — in den vergangenen Jahren auf gleichbleibend hohem Niveau. Allerdings rechne man damit, dass sich das Volumen im Jahr 2010 reduziere, so Langner. Während in den Jahren 2007 und 2008 in Deutschland rund 127 Millionen Meter Farb- und Schwarzweißfilme in 16 und 35 mm abgesetzt worden seien (alle Hersteller, verarbeitetes Volumen), liege dieser Wert für das Jahr 2009 sogar bei 135 Millionen Meter — das entspricht in etwa dem Volumen des Jahres 2006.

Vom laut Kodak immer noch recht starken Super-16-Markt profitiert Kodak vor allem in Deutschland: Hier werden demnach immer noch zahlreiche fiktionale TV-Programme in Super 16 gedreht.  In anderen europäischen Ländern, etwa in Frankreich oder Italien, hat sich dieses Bild auch nach Kodak-Angaben schon deutlich gewandelt — und man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass das auch in Deutschland so kommen wird.

Kodak sieht’s auf der Konzernebene gelassen: 70% seines Umsatzes im vergangenen Jahr erzielte der »Film«-Konzern nach eigenen Angaben über digitale Produkte und Dienstleistungen. Von den Branchenmessen jedenfalls hat sich Kodak schon länger zurückgezogen: NAB, IBC und Cinec fanden ohne Kodak-Stand statt.

Digitale Aufnahmetechniken wuchsen und gediehen bisher überwiegend weitab von den großen Hollywood-Produktionen: Die meisten Digitalprojekte hätten sich nämlich aus Budgetgründen mit 35-mm-Film ohnehin niemals realisieren lassen. Die Frage »35 mm oder digital?«, stellte sich so eigentlich nur höchst selten. So wurden bisher im Grunde nur wenige der prestigeträchtigen, großen Kinoproduktionen digital gedreht. Nun scheint aber auch hier der Markt  langsam zu kippen, auch beim 35-mm-Film muss man perspektivisch ganz klar mit schwindendem Marktvolumen rechnen. Gründe liegen darin, dass digitale Single-Sensor-Kameras nun einen filmischen Look mit geringer Schärfentiefe erlauben, die Bildqualität immer besser wurde und mittlerweile auch kostensparende, effektive Workflows für schnelles, durchgängig digitales Arbeiten zur Verfügung stehen. Im 16-mm-Bereich sind — weltweit gesehen — die Würfel schon gefallen, er schrumpft sehr viel rascher als der 35-mm-Bereich.

Digitale Kameras haben den Produktionsmarkt aber auch erweitert, sie substituieren nur teilweise Filmkameras. Vielmehr verdrängen sie auch klassische Videokameras und werden zusätzlich in ganz neuen Bereichen eingesetzt, etwa in Produktionen, die zwar einen Filmlook haben sollen, aber weder fürs Kino, noch fürs Fernsehen, sondern fürs Web gedacht sind.

Das untermauern auch die Alexa-Zahlen von Arri: Ein halbes Jahr nach der Vorstellung erster Serienmodelle dieser Kamera, gab Arri schon einen Bestellstand von 600 Kameras bekannt (Meldung). Würden diese nur in den früheren Hauptmarkt von Arri gehen, würde das bedeuten, dass praktisch im Handumdrehen 10 % des gesamten Marktvolumens durch neue Digitalkameras von Arri ersetzt würden. Das ist im Filmmarkt sehr unrealistisch: Auch die Alexa substituiert also nur teilweise Filmkameras, sondern erweitert den Zielmarkt des Herstellers in andere Produktionsbereiche hinein. Darüber ist Arri ganz sicher gar nicht traurig, denn der Hersteller hat damit einen Ersatz für den sterbenden 35-mm- und den fast schon toten 16-mm-Filmkameramarkt gefunden — und zumindest ein bisschen ist es ganz sicher auch so, dass Arris Alexa selbst als Totengräber für die klassische Filmproduktion fungiert.

Dass 16 mm auch in Deutschland eine aussterbende Kunst ist, bestätigen hierzulande etwa auch die Equipment-Verleiher — praktisch quer durch die Bank. 16-mm-Ausrüstung ist zwar im Markt relativ umfangreich vorhanden und kann auch günstig angeboten werden, weil sie in der Regel schon längst abgeschrieben ist. Sie wird aber trotzdem immer weniger nachgefragt. Mehr oder weniger deutlich, aber insgesamt unverkennbar, verabschieden sich deshalb die Verleiher in Europa — und auch anderswo — vom Filmmarkt. Besonders plakativ bringt das die Aussage eines deutschen Verleihers auf den Punkt, der leider seinen Namen nicht hier lesen will: »Unsere 16-mm-Kameras liegen wie Blei in den Regalen, die stark nachgefragte Red One hat uns bisher im Kamerabereich den Arsch gerettet — und das Interesse an der Alexa ist so groß, dass wir davon auch welche anschaffen werden.«

Totgesagte leben länger, heißt es im Sprichwort. Mag sein, dass das auch auf den chemischen Film in der Akquisition zutrifft. Die meisten Unternehmen werden aber nicht aus Nostalgie und Liebe betrieben, sondern um Profite zu erwirtschaften — und die Perspektive dafür ist im Filmmarkt zumindest auf der Akquisitionsseite nicht gut. Wo es aber keine Wirtschaftsinteressen mehr gibt, findet auch kaum noch Innovation und Entwicklung statt: Das rasche Austrocknen des chemischen Filmmarkts in der Akquisition scheint daher vorprogrammiert. Das betrifft neben den Herstellern von Filmmaterial und Filmkameras auch die Anbieter im Telecine-Bereich: Wenn weniger auf Film gedreht wird, dann gibt es eben auch weniger zu scannen und abzutasten.

Kinodigitalisierung

Glaubt man den Zahlen verschiedener Verbände und Fördereinrichtungen, dann waren bis Ende 2009 in Deutschland etwa 10 % der deutschlandweit rund 4.800 Kinosäle auf digitale Vorführtechnik umgestellt. Die meisten davon wurden für Stereo-3D-Vorführungen genutzt.

Neuere Zahlen, aus dem Oktober 2010, gehen davon aus, dass 15 % der deutschen Kinoleinwände digital mit Bildern beschickt werden, die Mehrzahl davon in den Multiplexkinos mit vielen Sälen. Weniger als 10 % der Leinwände sind demnach 3D-fähig. International und national nimmt aber die Zahl digitaler Spielfilme stetig zu, weil sie bei den Filmverleihern Kosten spart und zudem die Flexibilität in den Kinos erhöht.

Mit der genannten, bisherigen Digitalisierungsrate im Kinobereich blieb Deutschland im internationalen Vergleich mit anderen westlichen Ländern zurück. Deshalb kündigte der deutsche Kulturstaatsminister Bernd Neumann im Mai 2010 an, der Bund werde den kleineren Kinobetrieben mit bis zu sechs Sälen Mittel zur Verfügung stellen, die ausreichen sollten, um in den kommenden fünf Jahren die Mehrzahl der Kinos in Deutschland mit digitaler Technik auszustatten. Im Bundeshaushalt 2010 wurden dafür 4 Millionen Euro bereitgestellt. Bis zu 30 % der jeweiligen Kosten für die Kinodigitalisierung in kleineren Betrieben wolle der Bund tragen, 20 % die Kinos selbst. Den Rest sollten die Bundesländer und die Verleiher aufbringen.

Nach einigem Hin und Her wurden die Mittel im Oktober 2010 tatsächlich freigegeben und nun melden die Filmförderanstalten auch den Beginn des Vollzugs: Die FFA stellt nach eigenen Angaben 15 Millionen Euro für die Digitalisierung von Kinos zur Verfügung, die mindestens einen Umsatz von 40.000 Euro oder 8.000 Besucher pro Jahr erreichen. Das sind nach Angabe der Förderanstalt insgesamt 1.500 deutsche Kinos.

Auch von der Länderebene kommen entsprechende Meldungen: In Niedersachsen etwa stehen laut Nordmedia Fördermittel für eine »Anschubfinanzierung zur Umrüstung von Kinobetriebsstätten auf die erste Generation von digitaler Kinotechnik im Rahmen eines Sonderprogramms« zur Verfügung, das Nordmedia gemeinsam mit der niedersächsischen Staatskanzlei aufgelegt hat. In Bayern zog der FFF Bayern schon erste Bilanz: Nach zwei Einreichterminen wurden demnach für 93 bayerische Kinosäle in insgesamt 55 Spielstätten Zuschüsse in einer Höhe von 1,594 Millionen Euro bewilligt. Die Bayerische Staatsregierung stellt für diesen Zweck jährlich 1 Million Euro zur Verfügung. FFF-Geschäftsführer Prof. Dr. Klaus Schaefer: »Die Zuschüsse sind ein wichtiger Beitrag zum Erhalt der kleinen und mittleren Kinos, da aufgrund des Booms der 3D-Filme die Installation der neuen Kinotechnik für viele Betriebe existenziell geworden ist.«

Ein Blick zu den Nachbarn zeigt, dass dort noch mehr Druck von politischer Seite aufgebaut wird: 100 Millionen Euro werden in Frankreich vom Centre National du Cinéma et de l’image animée (CNC) für kleinere Kinos zur Verfügung gestellt. Die Departements und Stadtverwaltungen sollen weitere 25 Millionen Euro locker machen.

Wo von den Regierungen und ihren Anstalten so viel Geld bereitgestellt wird, dürfte der Weg zu einer raschen Digitalisierung der Kinolandschaft auch in Europa vorgezeichnet sein. In den USA haben große Kinoketten wie AMC Theatres oder Regal als Ziel formuliert, dass spätestens 2012 der größte Teil der Kinovorstellungen in den USA digital erfolgen soll.

Von Freunden des chemischen Films wird mit Blick auf die Distributionsseite gern auf die ärmeren Länder der Welt verwiesen, die noch lange nicht in der Lage seien, digitales Kino umzusetzen. Dabei wird verkannt, dass schon Anfang 2002 mit »The Missing Gun« der erste digitale Kinofilm aus China in die dortigen Kinos kam. In Indien folgte 2003 »The Hero: Love Story of a Spy«, in Singapur »After School«.

Weder von der Produktionsseite, noch von der Vorführseite sollte man sich also ein falsches Bild machen: In Indien sollen bis Ende 2007 durch eine einzige Firma schon über 800 digitale Kinos eingerichtet worden sein — zwar wahrscheinlich nicht nach DCI-Standard, aber digital.

In Nigeria, dem Filmmekka Afrikas, wird aufgrund der dortigen Rahmenbedingungen ein anderes Modell praktiziert. Die nigerianische Filmszene ist überwiegend in Lagos angesiedelt und wird — in Fortsetzung des Wortspiels Hollywood, Bollywood — oft als »Nollywood« bezeichnet. Filme werden dort meist als Low-Budget-Produktionen, quick and dirty, innerhalb nur weniger Tage gedreht. Das komplette Budget liegt Insidern zufolge typischerweise in der Größenordung von umgerechnet 10.000 Euro. Jährlich sollen dort nach Schätzungen zwischen 400 und 2.000 Filme entstehen. Zum Vergleich: Bollywood kommt auf etwa 200 Filme pro Jahr.

Nollywood-Produktionen werden fast ausnahmslos direkt als Video-CDs oder VHS-Kassetten und in bisher kleinem Umfang auch als DVD vermarktet. 50.000 Kopien zu Preisen um etwa 1,50 Euro gelten als typische Quote eines erfolgreichen Films, 100.000 Kopien reichen für Blockbuster-Status. Für den chemischen Film ist dieser wachsende, kommende Markt allem Anschein nach ebenfalls verloren.

Hoffnung: Film für die Archivierung

Nicht nur Kodak sieht aber im Archivbereich eine langfristige Chance für den chemischen Film: »Zunehmend machen sich Filmemacher zur Archivierung ihrer Programme Gedanken. Auch hier spielt Film eine wichtige Rolle«, erklärt Kai Langner.

Für die großen Hollywood-Filme ist die Archivierung auf Film mit Color Separation — also mit einem separaten Schwarzweißfilm pro Grundfarbe — tatsächlich eine Standardprozedur. Schwarzweißfilm wird deshalb verwendet, weil dieser chemisch stabiler ist, denn bei Farbfilmen verändern sich im Lauf der Jahre häufig die Farbpigmente, das Material bleicht aus oder wird farbstichig. Bei der Archivierung von farbsepariertem Material auf Schwarzweißfilm geht man davon aus, dass so gesicherte Filme über viele Jahre gelagert und dann auch wieder relativ problemlos rekombiniert werden können.

Hier spielen Kulturgutgedanken eine Rolle, aber durchaus auch wirtschaftliche Erwägungen, die sich von einer späteren Wiederverwertung der Filme in höchster Bildqualität Profite erhoffen. So wird immer wieder diskutiert, dass man hochwertige Produktionen auf Film archivieren sollte.

Das scheitert aber leider sehr oft an der wirtschaftlichen Realität: Es entstehen ja nicht nur die relativ hohen Kosten für die Belichtung der drei Farbseparationen auf Schwarzweißfilm, sondern man muss dieses Material auch über viele Jahre sicher lagern, was ebenfalls Geld kostet. Zusammen mit der Ungewissheit, ob sich dieses Investment jemals lohnen wird und der schwierigen Frage, welche Produktionen denn nun überhaupt wert sind, archiviert zu werden, wird diese relativ aufwändige Form der Archivierung meist nur Theorie bleiben.

Das gilt besonders im deutschen Markt: Bei Fernsehproduktionen, die auf Film gedreht wurden, findet im Normalfall schon längst nicht einmal mehr ein Originalschnitt auf Film statt: Diese Kosten spart man sich. Es gibt also von diesen Produktionen gar kein Original mehr in der maximal möglichen Qualität — geschweige denn steht das Geld für eine Rückbelichtung und Archivierung auf Film zur Verfügung. Bis auf wenige, teure Hochglanzproduktionen in Hollywood, wird daher in Zukunft wohl so gut wie keine Kino- oder TV-Produktion mehr auf Film archiviert werden.

Was braucht man heute, um auf Film zu archivieren? Einen Filmbelichter, der digitale Daten in Bilder umwandelt und diese auf Filmmaterial belichtet.

Und wieder einmal bringt der Blick auf Arri etwas Licht ins Dunkel: Arri hat mit dem Arrilaser einen anerkannt hochwertigen Filmbelichter im Programm, der in dem relativ kleinen Markt, der überhaupt einen Filmbelichter braucht, recht weit verbreitet ist. Bei Arri ist man stolz auf dieses Gerät und hat es in früheren Jahren nie versäumt, auch einen Arrilaser während der verschiedenen Branchenmessen am Arri-Stand zu präsentieren — nicht aber im Jahr 2010.

Es könnte eine Überinterpretation sein, aber vielleicht eben auch nicht, wenn man hieraus Rückschlüsse zieht. Filmbelichter waren jedenfalls niemals ein Massenprodukt und es könnte sein, dass mit den bisher installierten Geräten der Markt einfach gesättigt ist: Wenn eben gar nicht mehr von jedem Film ein Master ausbelichtet wird, geschweige denn eine farbseparierte Archivkopie, dann reichen die vorhandenen Maschinenparks der Filmdienstleister aus, um die sinkenden Volumina zu bewältigen.

Der umgekehrte Weg: digitale Filmabtastung von Archivbeständen

Ist es überhaupt der richtige Weg, Filmmaterial zu digitalisieren? Es in Datenbestände umzuwandeln, in einem File-Format zu speichern, das vielleicht schon in wenigen Jahren keiner mehr lesen und verarbeiten kann? Besonders aus der Sicht historischer Archive sind das ganz sicher schwierige, berechtigte Fragen.

Allerdings tickt gleichzeitig die Uhr, denn selbst bei optimaler Lagerung — und wo außerhalb des früheren Kirch-Filmlagers ist die schon gewährleistet —  altert und verändert sich Filmmaterial. Um das Material zu retten, bevor der Aufwand dafür in Richtung Restaurierung geht und damit die Kosten komplett explodieren, werden vielerorts Fakten geschaffen: Es gilt eben, Archivbestände zu erhalten und zu sichern, bevor sich die Träger zersetzen und die darauf gespeicherten Produktionen für immer verloren sind.

Das funktioniert dort am besten, wo es klare wirtschaftliche Interessen gibt. Ein Ausflug in die Welt der Magnetbänder zeigt, was damit gemeint ist: Mit Fußball kann man hierzulande Geld verdienen und deshalb hat die DFL-Tochter Sportcast gemeinsam mit CBC, einer Techniktochter der RTL-Gruppe, ein digitales Bundesliga-Archiv aufgebaut. Darin sind alle Bundesligaspiele seit 1963 enthalten, von denen es Aufnahmen gibt. Diese Aufnahmen — überwiegend auf Magnetbändern gespeichert, wurden digitalisiert und redundant archiviert. CBC hat insgesamt — nicht nur für Sportcast, sondern vor allem für seinen Hauptkunden RTL —  schon 135.000 Stunden Programm in die Content Bank überspielt, wie das digitale Archiv bei CBC heißt. Über automatisierte und speziell programmierte LMS-Systeme (das sind letztlich Videokassettenroboter) wurde und wird dabei Material in einen Omneon-Server (D-Vertrieb: Netorium) gespielt, der es wiederum bei Bedarf per DataMover in ganz unterschiedlichen Formaten ausgeben kann. Schon beim Ingest werden die digitalen Daten gespiegelt.

Dünner wird die Luft, wenn nur wenig wirtschaftliche Erträge erhofft werden können: Es wird wohl viel Archivmaterial verloren gehen, weil nicht genug Geld bereitgestellt wird, um es zu digitalisieren. Nur wenn ausreichend historisches, kulturelles, gesellschaftliches Interesse besteht oder mobilisiert wird, kann auch nicht kommerziell verwertbares Bildmaterial aus Archiven in größerem Umfang gerettet und digital gespeichert werden.

Hierauf und auf ausreichend kommerzielles Interesse an Archivmaterial hoffen ganz offensichtlich auch die Hersteller von Filmabtastern. Wie wäre es sonst zu erklären, dass nicht nur Arri seinen Arriscan zunehmend mit Features ausstattet, die das Gerät in die Lage versetzen, auch altes, empfindliches, geschrumpftes oder beschädigtes Material schonend abzutasten: eine besondere Software, ein Archiv-Gate ohne Pins, ein Wetgate und ein Transportsystem ohne Zahnräder oder Greifer stehen für den Arriscan zur Verfügung.

Ein anderer Telecine-Hersteller ist DFT, ein Unternehmen, bei dem die früher von BTS, Philips, Thomson und Grass Valley entwickelten Geräte weiterleben und weiter entwickelt werden, darunter auch der legendäre Abtaster Spirit und der preisgünstigere Shadow. Ein weiterer großer Name in diesem Bereich ist Cintel, wo man auf eine mehr als 80jährige Abtastertradition zurückblickt: Und wo heute auf der Website gleichberechtigt zu den neuen Produkten ein eigener Telecine-Gebrauchtmarkt beworben wird — zweifellos ebenfalls ein Zeichen für den Wandel in diesem Branchenzweig.

Weitere Hersteller adressieren zunehmend direkt den Archivmarkt und versuchen dabei, kostengünstigere Alternativen anzubieten, als es die eigentlich für das High-End-Segment im Spielfilm- und Werbemarkt entwickelten Geräte von Arri, DFT und Cintel darstellen. Hier sind etwa Sondor, P&S Technik und MWA Nova aktiv.

Sondor kooperiert im Vertriebsbereich mit Arri und hat mit Altra einen Echtzeit-HD-Telecine im Programm, der mit Preisen in der 100.000-Euro-Region (je nach Ausbau) um ein Vielfaches günstiger ist, als etwa ein Arriscan oder ein Spirit.

Zu Preisen zwischen 85.000 und 126.000 Euro spielt der Flashtransfer Vario von MWA Nova in einer ähnlichen Liga. Dieses flexible Gerät kann mit verschiedenen Sensoren bestückt werden und ist als Archivscanner für 16- und 35-mm-Film konzipiert. Es verfügt über einen filmschonenden Transport, kann auch mit geschrumpftem Material umgehen und erzeugt während der Abtastung auch Metadaten, etwa über Beschädigungen der Perforation, Klebestellen und Schrumpfung. Das Gerät lieferte der Hersteller schon an Anwender in Australien, in der Schweiz und an die Library of Congress in den USA aus. MWA Nova hat auch einen filmschonenden HD-Scanner für Normal- und Super8-Material im Programm, der optional sogar 9,5-mm-Material digitalisieren kann.

Mit dem SteadyFrame hat auch P+S Technik einen Abtaster für 16- und 35-mm-Film im Programm, der sich besonders gut eignet, um Archivmaterial zu digitalisieren und hierfür über eine vergleichbare Funktionalität verfügt, wie sie bei den Geräten von Arri und MWA aufgezählt wurde. Dank des integrierten Touchscreens lässt sich dieses Gerät auch besonders bequem und ohne hohes Fachwissen relativ sicher bedienen. SteadyFrame wird im Preisrahmen von 112.000 bis 171.000 Euro in verschiedenen Konfigurationen angeboten. Neben Postproduction-Firmen wie etwa PostFactory in Berlin, nutzen besonders Kunden mit Archivbeständen diesen Abtaster: das Imperial War Museum in London und die Filmoteca Española in Madrid. Reliance Media Works in Indien hat gleich drei SteadyFrames im Einsatz, um sehr altes, empfindliches Material abzutasten.

Verschiedene weitere Anbieter sind derzeit noch mit Hard- und ergänzenden Software-Lösungen für die Digitalisierung von Filmmaterial im Markt unterwegs. Weil in der Regel das Filmmaterial ja nicht nur 1:1 digitalisiert, sondern gleich noch von Schmutz und Kratzern befreit werden und eventuell auch anderweitig korrigiert und aufgebessert werden soll, tummeln sich auch Softwares wie Diamant von HS-Art aus Österreich, PFClean von Pixel Fram, die Restaurierungssysteme von MTI aus den USA (D-Vertrieb: Dreamwalks) und Digital Vision aus Schweden, sowie Snells Archangel in diesem Markt. Hier wird sich zweifellos auch noch Etliches tun. Wie lange aber das Thema Telecine und Filmscanner noch ein profitables Geschäft bleiben wird, ist offen.

Filmabtaster werden — ähnlich wie Filmkameras — von vielen in der Branche nämlich als ziemlich »ausentwickelt« betrachtet: Hier wird eigentlich nicht mehr viel Innovation erwartet, sondern davon ausgegangen, dass spätestens wenn 4K-Sensoren zu günstigeren Preisen verfügbar werden, das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Wesentlich mehr als 4K-Auflösung — darin sind sich die meisten Experten einig —  braucht es nicht. Letztlich ist auf dem Original-Filmmaterial in den allermeisten Fällen ohnehin nicht mehr vorhanden — zumindest nicht bei älterem Archivmaterial. 4K reicht aus, um Kornstrukturen zu sehen, mehr ist nicht erforderlich.

Zwei bis drei Jahre wird man noch profitabel neue Produkte im Filmabtasterbereich in den Markt bringen können, glaubt Stefan Kramper von DFT. Dann kann man als Unternehmen noch einige Zeit mit Service und Ersatzteilen Geld verdienen, vielleicht bis 2015, bevor der Markt dann in die Hände von Liebhabern und Einmannfirmen übergeht. »Bis dahin muss man es schaffen, sich mit anderen Produkten im Markt zu etablieren«, prognostiziert Kramper und sieht sein eigenes Unternehmen mit den Produkten Bones und Luther ganz gut positioniert.

Vielleicht liegt die Zukunft tatsächlich im Digital-Dailies- und Workflow-Bereich, bei Lösungen, die am Set für die Sichtung von Mustern genutzt werden können und dort Vorteile bringen. Schließlich war die Filmabtastung lange Zeit die erste Stufe der Postproduktion — und in jüngerer Zeit verlagern sich immer mehr Aufgaben und Funktionen aus der Postproduktion ans Set: Dass etwa ein erstes Grading am Set durchgeführt wird, ist heute beileibe keine Seltenheit mehr. Zu Hochzeiten des Films war so etwas undenkbar, heutzutage wird es einfach gemacht.

Fazit

Der Film als Bildträger hat eine Zukunft, seine Bedeutung wird eben nur sehr viel kleiner ausfallen, als in der Vergangenheit und in der Gegenwart. Außerdem wird diese Zukunft perspektivisch eher im Archivbereich liegen, denn die Weichen in allen anderen Bereichen weisen ganz klar in eine andere Richtung. Bestehende Archive haben eigentlich nur dann eine Chance auf Nutzung ihrer Inhalte, wenn diese digital bereitgestellt werden, denn schon in wenigen Jahren werden andere Abspielplattformen exotisch sein — auch in den Kinos.

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