Editorial, Kommentar, Top-Story: 28.08.2015

Neue Bildsprache, neue Inhalte?

Mit dem Siegeszug der Single-Sensor-Kameras hat sich im Fernsehen vieles verändert: Mittlerweile sollen selbst stinknormale Magazinbeiträge so aussehen, als seien sie fürs Kino produziert. Die Schärfe wabert dabei zwar oft im Ungefähren, aber das scheint für die Redaktionen kein Problem zu sein — oder es ist sogar erwünscht. Viel Kunst, wenig Handwerk.

Wer mit dem klassischen EB-Camcorder groß geworden ist und scharfe Bilder in der Nachrichten- und Magazinberichterstattung gewohnt ist — und diese auch schätzt und richtig findet, weil sie hier zum Sujet passen — der mag damit seine Probleme haben. Aber Bildsprache verändert sich nun mal und so sind die diversen Gestaltungssperenzchen, die sich genauso rasch überleben, wie sie auftauchen, eben Teil einer Entwicklung, die einfach immer weitergeht. Das kann man gut und richtig finden — muss man aber nicht.

Bei Nachrichtenbeiträgen kann man es beispielsweise durchaus befremdlich finden, wenn sich ein Interviewpartner zu ernsthaften, aktuellen Themen äußert, dabei aber nur phasenweise die Nasenspitze des Experten, viel öfter hingegen die Schrankwand im Hintergrund scharf ist und das Ganze zusätzlich noch mit gefühliger Klaviermusik unterlegt und mit Schwarzweiß- und Zeitlupensequenzen unterschnitten wird. Was offenbar besonders emotional, eindringlich oder dramatisch wirken soll, bleibt eben oberflächlich und aufgesetzt, wenn es im falschen Umfeld stattfindet. Passt das wirklich, oder werden hier die Grenzen zwischen Realität und Inszenierung viel zu sehr verwischt?

Das Aufkeimen unguter Gefühle kann sich noch verstärken, wenn man sich ansieht, wie solche Beiträge teilweise präsentiert werde: Wenn auf jünger gestylte Mittdreißiger in Hipster-Kleidung, in vermeintlichem Jugendsprech vor animiertem Hintergrund mit halblustigen Wortspielen die solchermaßen aufgepeppten Beiträge anmoderieren, drängt sich sehr stark die Frage auf, ob das wirklich reicht, um die Generation Youtube zu fesseln oder ob das lediglich widerspiegelt, wie sich Fernsehmacher »die Jugend« vorstellen. Was zu Zeiten von Viva und MTV mal neu und locker war, das kommt in einem um Jahrzehnte verspäteten Aufguss durch Berufsjugendliche eher peinlich rüber, zumal dann, wenn TV-Sender ernsthaft glauben sollten, auf diese Weise jüngere Zielgruppen zu erreichen.

Andersrum funktioniert es aber offenbar auch nicht: Was der Youtuber LeFloid beim Interview mit der Kanzlerin ablieferte, fanden viele auch nicht überzeugend — weder im Youtube-Lager, noch in den anderen Medien — denn es wirkte letztlich mindestens ebenso aufgesetzt.

Vielleicht sollten sich einfach mehr Leute an den Spruch halten: »Bleiben Sie, wie Sie sind — Sie haben sowieso keine andere Wahl.« Klingt resignativ? Ist aber vielleicht besser und gesünder, als wenn man immer versucht, jemand zu sein, der man einfach nicht ist.

Sie werden sehen.

Autor
Christine Gebhard, Gerd Voigt-Müller

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