Branche: 17.06.2008

Bandlose Produktion bei der Europameisterschaft

Wellen+Nöthen und HD-Inside realisieren bandloses Produktionssystem zur Live-Sportberichterstattung für die ARD.

Für die Live-Berichterstattung von der Fußball-Europameisterschaft 2008 nutzt der Bayerische Rundfunk (BR) eine neue, spezielle Broadcast-Produktionsumgebung. Im Vorfeld hatte der BR Wige Media mit der Planung und Realisation dieses Systems beauftragt, das im International Broadcast Center (IBC) der EM in Wien installiert wurde. Partner von Wige ist in diesem Projekt das Systemhaus Wellen+Nöthen, von dem das System entsprechend der speziellen Kundenanforderungen geplant, konfiguriert und in Betrieb genommen wurde. Für die Bereitstellung des umfangreichen Miet-Equipments ist das Kölner Rental-Unternehmen HD-Inside verantwortlich.

Aufgrund seiner langjährigen positiven Erfahrungen mit Avid- und EVS-Systemen entschied sich der BR für eine bandlose Produktionsumgebung. Das Gesamtsystem wurde auf Basis von Produkten dieser beiden Hersteller aufgesetzt. Hierzu wurde eine durch Wige kundenspezifisch konzipierte Playout-Lösung zur Verwaltung und Ausspielsteuerung aller eingespielten und nachbearbeiteten Clips integriert. Zur Disposition des Ablaufs im Ingest und Playout wurde eine Software (Downloader) programmiert, die über einen kalender-ähnlichen Aufbau den zielgerichteten, direkten Zugriff auf die neun Ingest-Kanäle der drei genutzten EVS-Systeme ermöglicht. Der Operator arbeitet also mit einer einzigen Applikation, die den kompletten Ingest aller Maschinen steuert. Ausspielfertige Beiträge werden ebenfalls über eine zentrale Software (Uploader) disponiert. Auch hier erfolgt der Zugriff auf die Clips und die neun Playout-Kanäle aller EVS-Systeme über eine einzige Maschine.

Der finale Setup des Systems erfolgte durch ein Team von Spezialisten von Wige und Wellen+Nöthen seit Mitte Mai 2008 im IBC in Wien.

Nun werden die Live-Spiele aller Austragungsorte hier verarbeitet. Während der EM zeichnet das für den BR installierte System bis zu neun Signale über drei EVS-XT2-Systeme in Echtzeit auf und streamt sie direkt über Avid-Transfer-Engines auf ein Unity-Isis-System. Das übergeordnete Asset Management System Avid Interplay ermöglicht an elf Redaktionsarbeitsplätzen den raschen Zugriff auf das laufende Material.

Die redaktionelle Bearbeitung erfolgt über Interplay-Assist-Stationen, wodurch Echtzeitzugriff auf gestreamtes Material möglich ist. Metadaten, etwa Informationen zu Toren oder Schiedsrichterentscheidungen, können hier flexibel hinzugefügt werden. In der Postproduktion erlaubt dies den unmittelbaren Zugriff auf bereits gesichtetes und gecliptes Material, was eine schnelle Recherche und Bearbeitung des Materials ermöglicht. Zudem ist am Assist auch ein Rohschnitt möglich, bei dem sich einzelne Segmente aneinanderfügen lassen. Die dabei enstehenden Shot-Listen stehen den Cuttern als Basis für die Postproduktion zur Verfügung. Bearbeitetes Material wird nach einer einheitlichen Konvention benannt und in die entsprechenden Server-Ordner einsortiert. Das soll optimalen Überblick über vorhandenes Material gewährleisten.

Die Audiobearbeitung erfolgt über ein Pro Tools HD von Digidesign, das ebenfalls direkt auf das Isis-System zugreifen kann. Für Feinschnitt und Finishing stehen Media-Composer-Systeme zur Verfügung. Produziert wird durchgehend im IMX-Standard mit 50 Mbps. Über einen »Send to Playback«-Befehl wird der finale Beitrag auf dem EVS-System zur Ausspielung bereitgestellt.

Ein redundantes Energieversorgungs- und Backup-System soll maximale Produktionssicherheit des gesamten Systems garantierten. »Broadcast-Produktionsumgebungen in der Live-Berichterstattung erfordern eine möglichst 100%-Verfügbarkeit des Systems unter allen Bedingungen. Im Rahmen eines ausgefeilten Havarie-Konzepts wurden zusätzliche Redundanzen geschaffen, um eine unterbrechungsfreie Übertragung zu gewährleisten. Zu den redundant aufgebauten Isis-/Interplay-Modulen zählen Systemdirector, Interplay-Cluster, Media Indexer und Cisco-Switcher. Das System wird zusätzlich über zwei getrennte Stromversorgungs- und USV-Systeme gegen Stromschwankungen abgesichert. Gleichzeitig ist das System so leistungsfähig, dass es für die Redakteure möglich ist, auf Clips in der Original-Auflösung IMX50 zuzugreifen«, erläutert Thomas Jocksch, der technische Projektverantwortliche bei Wellen+Nöthen.

»Für uns ist dieses Projekt ein weiterer Schritt, komplett bandlose Workflows im Bereich der Außenübertragung und der temporären Flightcase-Produktionsumgebungen zu etablieren. Die heutige Technik und das Know-how, das wir nun seit fast drei Jahren in diesem Bereich sammeln, erlauben es uns, flexibel auf die jeweiligen Produktionsanforderungen zu reagieren. In diesem Fall konnten wir eine maßgeschneiderte Ingest- und Playout-Lösung realisieren, die genau den Anforderungen der Produktion nachkommt«, so Tobias Vees, Exececutive VP Technology & Development bei Wige Media und Gesamtleiter des Projekts.

Die Vor-Abnahme des Systems durch den Bayerischen Rundfunk und eine erste Basisschulung fanden Mitte Mai in Köln statt. Während der Inbetriebnahme und im Zuge der Testläufe in Wien erfolgte dabb die Anpassung der Avid-Interplay-Datenbankstruktur an die tatsächlichen Bedürfnisse. Durch ein weiteres intensives Training wurden die Redakteure und Archivare im neuen Workflow geschult. Als Techniksupport steht ein Service-Team von Wige und Wellen+Nöthen während der gesamten Europameisterschaft vor Ort zur Verfügung.