Audio, Mikrofon: 06.06.2023

Wie klingen Eisberge unter Wasser?

Thomas Rex Beverly macht mit Sennheiser-Mikrofonen spektakuläre Aufnahmen von kalbenden Gletschern (mit Tonbeispielen).



Sennheiser, Eisgeräusche, Grönland, © Thomas Rex BeverlyGletscher mit Klangpersönlichkeiten

Im Juli, zur Zeit der grönländischen Mitternachtssonne, flog Beverly von New York in die isländische Hauptstadt Reykjavik und reiste weiter nach Kulusuk in Grönland. Von dort aus führte ihn eine zweistündige Bootsfahrt noch tiefer in die Arktis — zu riesigen Gletschern wie dem Knud-Rasmussen- und dem Karaale-Gletscher.

Sennheiser, Eisgeräusche, Grönland, Campsite, © Thomas Rex Beverly
»Wir zelteten bei den Gletschern.«

»Wir zelteten bei den Gletschern und sind regelmäßig für ein paar Tage nach Kulusuk zurückgekehrt, um uns mit Vorräten einzudecken und alle Batterien wieder aufzuladen, bevor wir wieder rausgefahren sind«, erklärt Beverly.

»Die Aufnahmebedingungen waren nahezu perfekt, denn die Temperaturen waren mit fünf bis sechs Grad Celsius relativ mild, und da die Sonne im Juli nie untergeht, konnten wir praktisch zu jeder Tageszeit aufnehmen. Manchmal passierte zwölf Stunden lang gar nichts, und dann innerhalb einer Stunde wahnsinnig viel, und es war sehr wichtig, den Ton jedes Mal richtig aufzunehmen, wenn das Kalben begann.«

Sennheiser, Eisgeräusche, Grönland, Equipment, © Thomas Rex Beverly
»Jeder Gletscher hat seine eigene Klangpersönlichkeit.«

»Jeder Gletscher hat seine eigene Klangpersönlichkeit«, sagt Beverly. »Breite und Höhe des Gebirgsfjords haben einen großen Einfluss auf die Geräusche, die beim Kalben entstehen; die Akustik ist bei jedem Gletscher anders. Beim Karaale gab es mehr lange, dröhnende Geräusche, wenn sich Eismassen lösten und herabrollten. Bei Knud waren es krachende Geräusche, wie Donner oder Schüsse, wenn sich riesige Stücke lösten und auf das Wasser knallten.«

Sennheiser, Eisgeräusche, Grönland, Equipment, © Thomas Rex Beverly
Fünf bis acht Tonaufnahmegeräte waren 14 Tage lang 24 Stunden am Tag in Betrieb.

Beverly hatte Mikrofone zu beiden Seiten der Abbruchkanten der kalbenden Gletscher platziert. Fünf bis acht Tonaufnahmegeräte waren 14 Tage lang 24 Stunden am Tag in Betrieb.

»Ich habe einige kleine Ansteckmikrofone, die ich an Handheld-Recordern betreibe. Die brauchen etwa fünf Volt und können fünf Tage am Stück laufen«, erklärt Beverly.

Sennheiser, Eisgeräusche, Grönland, Equipment, © Thomas Rex Beverly
Das Haupt-Rig, das doppelte MS-Rig mit Sennheiser-Mikrofonen.

»Dann habe ich noch mein Haupt-Rig, das doppelte MS-Rig mit Sennheiser-Mikrofonen, das mit 48 Volt Phantomspeisung betrieben wird. Die drei Mikrofone – zwei MKH 8040 und ein MKH 30 – laufen mit einer Batterie etwa 18 Stunden lang. In der Regel haben wir bei einem der Gletscher gezeltet, und das Sennheiser-Doppel-Mid-Side-Rig nahm in der Nähe das Kalben auf. In den zwei Wochen konnte ich rund 700 Eisabbrüche aufnehmen, was erstaunlich war.«

Sennheiser, Eisgeräusche, Grönland, © Thomas Rex Beverly

Sennheiser, Eisgeräusche, Grönland, Equipment, © Thomas Rex Beverly
»Alle Gletscher, die ich in Grönland aufgenommen habe, schmelzen in einem noch nie dagewesenen Tempo ab.«

Ein Eisabbruch, den Beverly als »biblisch« bezeichnet, ereignete sich, als er am Rande des Fjords neben dem Knud-Gletscher kampierte. »Ich war in meinem Zelt und schlief schon fast, als ich ein tiefes Grollen hörte. So etwas hatte ich auf dieser Reise schon oft gehört, aber dieses Mal spürte ich es bis in meine Knochen, und das Geräusch wurde nicht leiser, sondern baute sich immer weiter auf. Schnell riss ich das Zelt auf und sah, wie ein Eisbrocken von der Größe eines Wolkenkratzers aus dem Gletscher brach. Es donnerte und dröhnte mit einer unglaublichen Kraft, ganze fünf Minuten lang! Dann knallte und knisterte der Fjord noch vier Stunden lang, als die Eistrümmer zerbrachen und Blasen freisetzten. Es war ein ehrfurchtgebietender und bittersüßer Moment, den ich nie vergessen werde.«

Sennheiser, Eisgeräusche, Grönland, Equipment, © Thomas Rex Beverly
Es knallte und knisterte im Fjord noch vier Stunden lang.

Zwar ist das Kalben eines Gletschers ein natürlicher Vorgang, weil das Eis durch die Schwerkraft bergab gezogen wird, doch mit dem Klimawandel steigt die Häufigkeit der Eisabbrüche. »Alle Gletscher, die ich in Grönland aufgenommen habe, schmelzen in einem noch nie dagewesenen Tempo ab. Ich hoffe, dass auch andere durch meine Aufnahmen diese lebendigen Flüsse aus Eis erleben können und lieben lernen. Je mehr Menschen eine emotionale Verbindung zu den wunderschönen, atemberaubenden Klängen der Gletscher eingehen, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir ihren Rückzug verlangsamen können.«

Sennheiser, Eisgeräusche, Grönland, Ice Climbing, © Thomas Rex Beverly
Beim Abseilen in eine Gletscherspalte.
Das »Eis-Xylophon«

»Auf dem Gletscher passieren außer dem Kalben noch viele andere interessante Dinge«, erklärt Beverly. »Zusammen mit meinem Bergführer haben wir uns ans Eisklettern gewagt und uns in einige große Gletscherspalten abgeseilt, um den Geräuschen unten im Gletscher zu lauschen.«

Sennheiser, Eisgeräusche, Grönland, Gletscherspalte, © Thomas Rex Beverly
Unten angekommen, »kann man ein herrliches Naturwunder hören: das Eis-Xylophon.«

Hier entdeckte Beverly ein faszinierendes Naturphänomen. »Wenn sich tiefe Gletscherspalten bilden, sind die beiden Wände manchmal noch durch ganz dünne Eis-‚Blätter‘ miteinander verbunden. Und wenn man eine Gletscherspalte mit mehreren dieser Verbindungen vorfindet, kann man ein herrliches Naturwunder hören: das Eis-Xylophon«, erklärt er. »Dazu braucht man Eis, das sich oben auf dem Gletscher bildet, die so genannte ‚Sonnenkruste‘. Das sieht so ähnlich aus wie Mojito-Eis. Wenn man diese Eiskrümel mit einem Eispickel in die Gletscherspalte schabt, passiert etwas Magisches: Auf dem Weg nach unten prallen die Eiskrümel in einer wunderschönen Melodie von den Eisblättern ab. Jedes Eisblatt hat eine andere Größe und liegt in einer anderen Tiefe, so dass sich unterschiedliche Tonhöhen ergeben. Diese fesselnden Melodien sind eine Art, wie Gletscher singen; manche brummen auch melodisch.«

 

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