Audio, Mikrofon: 06.06.2023

Wie klingen Eisberge unter Wasser?

Thomas Rex Beverly macht mit Sennheiser-Mikrofonen spektakuläre Aufnahmen von kalbenden Gletschern (mit Tonbeispielen).



Sennheiser, Eisgeräusche, Grönland, Eishöhle, © Thomas Rex Beverly
Das Schmelzwasser formt Eishöhlen.
Eishöhlen

Während des Sommers schmelzen die Gletscher kontinuierlich, und das Schmelzwasser formt Eishöhlen, die faszinierende akustische Eigenschaften besitzen. Beverly hängte seine Mikrofone tief in Gletscherspalten und seilte sich auch selbst ab: »Ich bastelte mir Stereobalken aus Selfie-Sticks, befestigte die Mikrofone und das Aufnahmegerät in einem wasserdichten Sack und ließ das Ganze dann an einem Seil 25 m tief in eine Gletscherspalte hinab.«

Was er entdeckte, war mehr als faszinierend. »Mir wurde bewusst, dass Gletscherspalten tatsächlich singen! Ich dachte erst, ich spinne, aber dann wurde mir klar, dass das Wasser in den Eishöhlen widerhallt und ein Brummen in verschiedenen Tonhöhen erzeugt. Das reicht von leicht und luftig bis sehr tief und bedrohlich.«

Sennheiser, Eisgeräusche, Grönland, Eishöhle, © Thomas Rex Beverly
Weil das Wasser in den Eishöhlen widerhallt, entsteht »ein Brummen in verschiedenen Tonhöhen«.

Während er das Gebiet erkundete, spürte Beverly plötzlich pulsierende Bassvibrationen in der Brust. »Meine beiden MKH 8020 waren in Position; zwei Geofone im Gletscher. Ich spürte auf einmal ein tieffrequentes Geräusch, es klang wie ein Subwoofer. Mein Bergführer und ich suchten eine Weile, dann fanden wir die Quelle: eine tiefe, zerklüftete Spalte, in der der ‚Atem des Gletschers‘ wohnte, gebildet von einer großen Gletschermühle (Anmerkung der Redaktion: einem Wasserfall im Gletscher), die große Lufteinschlüsse im Fluss unter dem Gletscher erzeugte. Diese Luftblasen platzten alle paar Sekunden auf, und diese Geräusche hallten durch die Gletscherspalte nach oben. Es klang wie der Atem eines schlafenden Drachens. Einfach fantastisch!«

Sennheiser, Eisgeräusche, Grönland, Equipment, © Thomas Rex Beverly
»Ich habe das Rig sogar über Nacht dort stehen gelassen.«

Glücklicherweise konnte Beverly das gesamte Schallereignis, das nur 20 min dauerte, aufnehmen. »Ich habe das Rig sogar über Nacht dort stehen gelassen, aber diesen Ton konnte man tatsächlich nur 20 Minuten lang hören. Dann scheint sich der Gletscher weiterbewegt zu haben, und der Ton verschwand. Man würde nicht denken, dass sich die Eismassen so schnell verschieben können, aber das tun sie tatsächlich. Das macht es so schwierig, Ausrüstung auf dem Gletscher zu lassen. Zur Befestigung nimmt man normalerweise Eisschrauben, wie sie Bergsteiger verwenden, aber innerhalb von 24 Stunden wird selbst das riskant, da die Sonne die Eisschraube erwärmt und das umliegende Eis zu schmelzen beginnt. Wir haben sorgfältig geplant und immer wieder nach der Ausrüstung geschaut, um sicherzugehen, dass sich nichts verschiebt oder gar in eine Gletscherspalte fällt.«

»Die MKH 8020 haben also die Geräusche des Gletschers aufgenommen, die Geofone den Sub-Bass. Und wenn man beides zusammenmischt, erhält man gewaltige Klanglandschaften.«

Während seiner Grönland-Expedition entdeckte Beverly ein weiteres faszinierendes Naturschauspiel — die geheimnisvolle Unterwasserwelt der schmelzenden Eisberge.

»Unterwassergeräusche aufzunehmen ist sehr knifflig«, erklärt Beverly. »Viele Hydrophon-Aufnahmen, die ich selbst gemacht oder von anderen gehört habe, sind zwar konzeptionell interessant, weil sie die Welt unter der Wasseroberfläche hörbar machen, aber sie klingen wie blecherne Lo-Fi-Aufnahmen. Das hat sich in Grönland endlich geändert: Ich hatte wunderbare selbstgebaute Hydrophone dabei, und die felsigen Fjorde sorgten für eine einzigartige Akustik unter Wasser.«

Sennheiser, Eisgeräusche, Grönland, Eisberg, © Thomas Rex Beverly
Beverly merkt an, dass der Raum unter Wasser einen ebenso großen Einfluss auf den Klang der Aufnahme hat wie in der Welt über Wasser.

Beverly merkt an, dass der Raum unter Wasser einen ebenso großen Einfluss auf den Klang der Aufnahme hat wie in der Welt über Wasser. »Wenn man zum Beispiel mitten in einem riesigen, 1.000 Meter tiefen Fjord aufnimmt, gibt es nur sehr wenig Reflektionen. Das ist dann wie eine Aufnahme in der Prärie, im freien Feld. Felsige Fjorde aber, mit einer Tiefe zwischen 50 und 300 Metern, klingen wie Kathedralen! Das Klirren und Dröhnen der Eisberge wird von den Felswänden mit einem wunderbaren Echo zurückgeworfen.«

Sennheiser, Eisgeräusche, Grönland, Equipment, © Thomas Rex Beverly
Neben dem Sennheiser-Equipment nutzte Beverly auch Hydrophone.

An einem Aufnahmetag hatte Beverly Stereo-Hydrophone zusammen mit Stereo-MKH 8020 im Einsatz, um die Geräusche unter und über Wasser vierkanalig aufzunehmen. »Als ich gerade die beiden Kanäle der Hydrophone im Wasser abhörte, passierte etwas Spannendes. Ich machte eine kurze Pause und zog den HD 280 PRO in den Nacken, als ich plötzlich ein derart lautes Donnern durch den Kopfhörer hörte, dass ich unwillkürlich aufschrie. Ich dachte, ich hätte die Aufnahme ruiniert und war wütend auf mich selbst. Doch als ich die Aufnahme prüfte, entdeckte ich etwas wirklich Faszinierendes: Schall breitet sich im Wasser vier- bis fünfmal schneller aus als in der Luft, und über den Kopfhörer hatte ich gehört, wie der Eisberg unter Wasser entzwei brach. Da sich der Schall unter Wasser so viel schneller fortpflanzt, kam der Ton zuerst durch den Kopfhörer. Das Donnern oberhalb des Wassers kam kurz nach meinem Schrei, also hatte ich die Aufnahme nicht ruiniert! Den Unterschied zwischen der Ausbreitungsgeschwindigkeit von Schall in der Luft und unter Wasser so direkt zu hören, war beeindruckend!«

Was kommt als Nächstes?

»Ich glaube, dass ich nur an der Oberfläche der faszinierenden Welt der Gletscher gekratzt habe«, sagt Beverly. »Ich bin gerade von einer neuen Expedition nach Island zurückgekommen. Ich liebe die Polarregionen, und ich möchte noch weitere Gletscheraufnahmen in Patagonien und vielleicht auch in der Antarktis machen. Die Klangwelt der Gletscher war wie eine Offenbarung für mich.«Sennheiser, Eisgeräusche, Grönland, Equipment, © Thomas Rex Beverly

Sound-Geschichten aufnehmen, damit andere ihre eigenen erzählen können
Sennheiser, Eisgeräusche, Grönland, Equipment, © Thomas Rex Beverly
»Es ist der Ton, der eine Geschichte zusammenhält.«

Beverlys Aufnahmen werden unter anderem von Oscar-, Emmy- und Golden-Reel-Preisträgern wie Peter Albrechtson, Tim Farrell, Stephen Flick, Stuart McCowan, Robert Stambler und Russell Topal sowie von Unternehmen, Museen und Universitäten verwendet und bieten Tonschaffenden grenzenlose Möglichkeiten für ihre Werke.

»Ich habe das große Glück, mit einigen der renommiertesten Soundprofis der Welt zusammenzuarbeiten und ihnen dabei zu helfen, ihre Geschichten mit den von mir aufgenommenen Geräuschen zu erzählen. Ganz gleich, ob es sich um einen Blockbuster-Film, eine Naturdokumentation, ein Videospiel oder eine Kunstinstallation dreht — es ist der Ton, der eine Geschichte zusammenhält.«

Seite 1: Einleitung
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