Postproduction, Test, Top-Story: 21.02.2012

Media Composer 6: Back to the Roots

Im vergangenen Jahr kündigte Avid Media Composer 6 an. Die neuen Systeme basieren auf 64-Bit-Architektur, können Red-Epic- und AVCHD-Material direkt verarbeiten, bieten den DNxHD-4:4:4-Codec und erweiterte Stereo-3D-Funktionalität. film-tv-video.de hat den neuen Media Composer ausprobiert.

64-Bit-Support

Eine der wichtigsten Neuerungen des Media Composer 6 ist die native 64-Bit-Verarbeitung der Daten. Das ermöglicht eine bessere Speicherverwaltung und höhere Arbeitsgeschwindigkeit, gerade bei großen, komplexen Projekten mit vielen Clips. Damit wird natürlich ein entsprechendes Betriebssystem vorausgesetzt: Bei Windows-Rechnern muss es Windows 7 Professional, bei Apple-Computern MacOS X 10.7 Lion sein. Ist keines dieser Betriebssysteme auf dem Rechner vorhanden, wird die Installation einfach abgebrochen.

Öffnung für Partner

Ein Highlight von Media Composer 6 und von vielen lange sehnsüchtig erwartet, ist der Open-I/O-Support. Damit ist der Nutzer nicht mehr länger ausschließlich auf Hardware von Avid angewiesen, sondern kann auch auf die manchmal günstigere Hardware von Aja, Blackmagic Design, Bluefish 444, Matrox und Motu zurückgreifen. Allerdings werden im Zusammenspiel zwischen MC 6 und fremder Hardware nicht alle Features unterstützt, so etwa das »Audio-Punch in«. Zudem ist die stereoskopische Aufnahme und Ausgabe nicht in »Full-Frame«  möglich und die Nutzung der Hardware-Codec-Module wird ebenfalls nicht unterstützt.

Vor der Anschaffung sollte also genau geprüft werden, was die entsprechende Hardware in Zusammenarbeit mit Media Composer 6 unterstützt und was nicht – und welche Funktionen benötigt werden. Im Zweifelsfalle ist es dann sinnvoller, in die Avid-Hardware Mojo oder das im Preis reduzierte Nitris zu investieren. So oder so: Dass es diese Wahlmöglichkeiten gibt, ist ein großer Schritt für Avid und für die User.

Bedienung mit Artist Color

Media Composer 6 kann in vielen Funktionen auch alternativ vom externen Grading-Bedienpult Avid Artist Color gesteuert werden, das mit drei großen Trackballs ausgestattet ist.

Sehr sinnvoll ist die Unterstützung von Artist Color durch MC 6 für all jene Nutzer, die ihre Produktionen selbst farbkorrigieren oder graden wollen. Es wird nicht nur die Farbkorrektur — die normalerweise per Maus und Tastatur erledigt werden muss — deutlich beschleunigt: Artist Color lässt sich auch zur Bedienung der Editing-Funktionen des Media Composer einsetzen, da er in weiten Bereichen konfigurierbar ist. Damit entfällt so mancher Mausklick oder Tastaturanschlag

Stereo-3D-Bearbeitung

Nicht jeder Nutzer wird die neuen Stereo-3D-Funktionen nutzen, aber Stereo-3D ist eben inzwischen bei Postproduction-Systemen ein Muss. Der gewünschte Stereo-3D-Modus wird bei Erstellung des Projektes ausgewählt. Er kann auch bei einem bereits angelegten Projekt noch verändert werden, ebenso wie ein den Bedürfnissen angepasster Anzeige-Modus, der jederzeit umgeschaltet werden kann. Wer keinen Stereo-3D-Monitor zur Verfügung hat, hat dank der möglichen Anaglyph-Darstellung trotzdem kein Problem, ein Stereo-3D-Projekt zu editieren. Das Material kann entweder importiert oder direkt eingespielt werden. Beim Einspielen können — je nach verwendetem Aufnahmematerial — wahlweise beide Kanäle gleichzeitig oder auch separat importiert werden.

Liegt je ein Clip für das linke und rechte Auge vor, so muss im Bin als erstes ein Stereo-3D-Clip für beide Augen erzeugt werden. Mit wenigen Arbeitsschritten kann das auch für eine Serie von Clips erledigt werden. Dazu muss bei den relevanten Clips zuerst markiert werden, ob sie linksäugig oder rechtsäugig sind. Das geschieht im Bin in der Spalte »S3D-Channel«, die gegebenenfalls noch zur Ansicht aktiviert werden muss. Die Namen der zusammengefügten Clips (Groups) können unter Umständen noch verändert werden, wenn sie nicht in den Metadaten vorhanden sind oder der automatische Gruppen-Name nicht passt.

Vom Bin können sie ganz normal auf die Timeline gelegt und entsprechend bearbeitet werden. Auch Übergänge und Titel können in Stereo-3D erzeugt werden.

Interessant wird es, wenn bei der Aufnahme nicht ganz exakt gearbeitet wurde und beispielsweise einer der beiden Streams leicht verdreht und oder verschoben ist: Dann lassen sich mithilfe von »Spatial Alignment« diese Probleme schnell beheben. Auch wenn die Kanäle verschiedenfarbig sind, ist das kein Problem. Die Farbkorrektur kann für die beiden Augen separat vorgenommen werden. So werden auch problematische Aufnahmen verwendbar. Sinnvollerweise werden solche Korrekturen schon im Bin vorgenommen, da dann auch später erstellte Subclips schon korrigiert sind.

Marketplace

Inwieweit die neue Funktion des Marketplace hierzulande angenommen wird, kann nur die Zukunft zeigen. Im Grunde genommen ist es ein in den Media Composer integrierter Browser, der jedoch nur auf die Angebote von Avid zugreifen kann, ganz ähnlich dem App-Store von Apple. Dort kann man direkt Plug-Ins, Literatur, Hardware und Support oder auch Training kaufen. Zumindest spart es die Zeit, die man mit der Suche im Internet aufwenden müsste.

ProRes

Die Tatsache, dass der Media Composer, wenn er auf einem Mac läuft — nun auch ProRes-Codec von Apple in seinen verschiedenen Varianten, inklusive ProRes 4444, unterstützt, macht vielen Nutzern die Arbeit leichter. Sei es, im Zusammenpiel mit Final Cut Pro, sei es, um einen Umstieg mit vorhandenem Material einfacher zu machen.

Ob Avid sich zu diesem Schritt entschlossen hat, um verunsicherten FCP-User den Umstieg zu vereinfachen, oder einfach nur die Politik der Öffnung im Vordergrund dieser Entscheidung stand, bleibt offen. So oder so ist es von Vorteil, auch wenn der Export im AAF-Format und ProRes leider nicht unterstützt wird. Es bleiben der Export zu einem Quicktime.Movie oder ein Video-Mixdown mit Pro-Res als Alternativen. Die Windows-Version des Media Composer 6 kann ProRes zwar lesen, aber nicht schreiben.

Codec-Support

Dank AMA werden ab dieser Version auch die Formate AVCHD und die Raw-Dateien der Red Epic unterstützt. Auch bei Avids eigenem Codec DNXHD hat sich etwas getan: Der Media Composer unterstützt jetzt DNxHD 444 RGB Capture. Das wird besonders Hersteller von hochwertigen Produktionen mit Key erfreuen, denn nur bei voller Farbauflösung lassen sich wirklich saubere Keys erzeugen.

Aber auch bei der Farbkorrektur ergibt die höhere Auflösung wegen der höheren Differenzierbarkeit Sinn. Die Verwendung von DNxHD 444 setzt allerdings eine schnelle Workstation und schnellen Speicher voraus, der die 365 Mbps (bei 1080p25) kontinuierlich verarbeiten kann, auch wenn das nur etwa ein Fünftel des unkomprimierten Streams ist.

Surround Audio

Konsequenterweise muss eine Schnitt-Software, die Stereo-3D und hohe Auflösungen unterstützt, auch Surround-Sound verarbeiten können. Deshalb werden ab jetzt auch 5.1 und 7.1 bei Import/Capturing, Editing und Output unterstützt.

Bis zu 16 verschiedene Kanäle, also zwei 7.1-Surround-Tracks, können separat überwacht werden – vorausgesetzt die entsprechende Hardware ist installiert. Auch wenn eine 5.1- oder 7.1-Produktion wohl nur selten auf einem Media Composer gemischt wird, ist die Möglichkeit, eine solche Mischung entsprechend vorzubereiten, sehr sinnvoll und aufgrund verbesserter AAF-Funktionen mit Pro-Tools voll kompatibel.

Neue Oberfläche

Sehr gut gefiel den Testern die neue Oberfläche mit der Nachfolge der Super-Bins. Verschiedene Bins oder Tools können per Drag and Drop in ein Fenster gezogen werden und werden dort zu weiteren Tabs. Diese können bei Bedarf entweder direkt ausgewählt werden oder mit einem kleinen Dreicks-Button aktiviert werden. Die Reihenfolge der Tabs lässt sich jederzeit verändern. Wird ein letzter Tab aus einem Fenster gezogen, schließt sich dieses erfreulicherweise ganz automatisch.

Es können jeweils entweder Bins oder Tools in einem Fenster angeordnet werden, eine Mischung ist nicht möglich. Früher musste man bei wenig Bildschirmplatz oft Fenster schließen, um dann für einen kurzen Moment ein anderes Fenster zu öffnen, das aber gleich danach wieder geschlossen werden musste, um einem weiteren Platz zu machen. Nun reicht der Klick auf den entsprechenden Tab. Ab jetzt muss es neben der Timeline und den Viewern nur noch zwei offene Fenster geben. Diese Funktion ist daher vor allem bei Ein-Bildschirm-Lösungen, etwa beim Schnitt mit dem Laptop, sehr wertvoll, da sie richtig viel Platz spart. Man fragt sich, warum es das nicht schon früher gab.

Zusammen mit den x/—/+-Buttons der Fenster, die damit geschlossen, minimiert oder auf genau die richtige Größe gebracht werden können, um alles sehen zu können, hat das User-Interface einen sehr großen Schritt im puncto Benutzerfreundlichkeit gemacht.

Benutzerfreundlich ist auch der direkte Zugriff auf die PDF-Dokumentation im Menüpunkt Help. Sie ist im Vergleich zur reinen Hilfe umfangreicher und bietet außerdem für die neuen Features eigene Dokumente mit genauen Beschreibungen der Workflows. Für einen schnellen Einstieg oder Kennenlernen der neuen Features sind auch die Tutorials auf der Avid-Website zu empfehlen.

Software-Pakete

Die Production-Suite enthält unter anderem Avid FX (Boris Red), Sorensen Squeeze und Avid DVD – allerdings nur in der Windows-Variante. Bei der Installation der Production Suite von DVD auf Mac OS gab es bei »Avid FX« den Effekt, dass nur die PC-, nicht aber die Mac-Verison lauffähig war. Erst ein Download der neueren Mac-Version 6.0.3 von der Avid-Web-Seite war lauffähig. Um dort jedoch Zugriff zu haben, muss man aber zuerst einen Avid-Master-Account erstellen und den Download-Bereich damit verknüpfen. Danach stehen alle Versionen der verschiedenen Produkte zum Download zur Verfügung, so auch Avid FX.

Wer sich den Zugang zugelegt hat, sollte sich auch gleich noch die neuere Version 8 von Sorensen Squeeze herunterladen, denn auf der DVD befindet sich noch die Version 7. Die zugehörige Seriennummer funktioniert auch bei der Version 8. Ein entsprechender Hinweis ist zwar auch auf einem Zusatzblatt in der DVD-Box enthalten, kann aber leicht übersehen werden. Bei Symphony ist außerdem noch das Filter- und Transitions-Paket Boris Continuum Complete (BCC) enthalten. Für den Media Composer muss das Paket extra erworben werden.

Boris-Effekt-Paket BCC

BCC bietet zahllose Filter und Effekte in sehr guter Qualität. Zu den wichtigsten zählen: Film-Effekte, Film-Resauration, Blur and Sharpen, Keys, Stabilizer, automatisiertes Motion-Tracking, Lichteffekte und eine Schriftgenerator inklusive extrudierten und Type-on-Texten. Neu in der Version 8 sind Partikelsystem, Minderung von Rauschen/Artefakten, Glow und Audio-Visualisierung. Für alle Filter und Effekte gibt es gute Presets, die jedoch individuell angepasst und gespeichert werden können. Selbstverständlich sind die Parameter einzeln keyframebar. Befindet man sich im Effekt-Modus, so lassen sich bei vielen Filtern die wichtigsten Parameter auch direkt im Viewer verändern, das spart Zeit.

Wer viel mit Keys arbeitet, wird sich über die in BCC vorhandenen Möglichkeiten der Matte-Erstellung sehr freuen. Sie geht weit über die üblichen Bordmittel hinaus: So sorgen »Matte Clean Up« und »Light Wrap« dafür, dass die Stanze sehr natürlich aussieht.

Für Nutzer, die in ihren HD-Projekten auch SD-Material verwenden wollen, ist BCC UpRez sehr hilfreich: damit lässt sich Material mit niederiger Auflösung an höhere Auflösungen anpassen.

Wer Logo-Animationen plant, wird sich über Extruded Splines und Extruded EPS freuen, da dort unkompliziert bereits vorhandene Logos zur Verarbeitung importiert werden können.

Nur ein kleiner Teil der Effekte ist allerdings in Echtzeit verfügbar, die meisten müssen gerendert werden. Einen Eindruck vom Effektverlauf kann man jedoch bekommen, wenn der Play-Head über den Clip bewegt wird. Eine komplette Liste mit sehr genauen Beschreibungen gibt es hier,  weiter sind auch Beispielclips verfügbar. Wer das Paket erst mal ausprobieren will, kann auch eine Demoversion herunterladen.

Lizenzen

Ein kleiner Tipp: Soll eine Lizenz des Media Composers zeitlich versetzt auf verschiedenen Computern eingesetzt werden, so bleibt bei der Aktivierungsmethode nur die Möglichkeit, den Media Composer auf einem Computer zu deaktivieren, um ihn dann auf einem anderen zu aktivieren. Das geht, ist aber mit etwas Zeitaufwand und der Verfügbarkeit von Internet verbunden. Der gute alte Dongle, den es früher in jeder Box gab, ist jetzt normalerweise nicht mehr enthalten. Er ist jetzt optional verfügbar und kann von Avid bezogen werden. Wer noch einen alten Dongle besitzt, kann ihn über die Avid Website updaten und dann wie gewohnt verwenden – selbst der Dongle von Xpress funktioniert.

Fazit

Auch wenn die neue Version etwas auf sich warten lassen ließ: Sie hat so viel zu bieten, dass sich der Um- oder Einstieg lohnt. Der Nettopreis des Media Composer 6 liegt bei rund 2.000 Euro, der Upgrade-Preise beginnt bei etwa 240 Euro, die Academic-Version kostet rund 230 Euro.

Anwender von Final Cut Pro (außer Final Cut Pro X) können Media Composer 6 mit kostenlosem Online-Training für rund 1.200 Euro erwerben (alle genannten Preise sind Nettopreise).

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