Branche: 11.12.2006

Stellt Grass Valley Infinity ein?

Seit einigen Tagen verdichten sich die Gerüchte, dass Grass Valley seine Infinity-Produktlinie stoppen und nicht in der geplanten Form auf den Markt bringen werde. www.film-tv-video.de hat nachgefragt und fasst die wichtigsten und glaubhaftesten Gerüchte zusammen.

Dass Grass Valley Probleme mit der Fertigstellung der Infinity-Produktlinie hat, ist offensichtlich: Immer wieder wurde der Lieferstart verschoben, Kunden und Händler, die schon erste Geräte bestellt haben, wurden immer wieder vertröstet. Nun verdichten sich im Markt die Gerüchte, dass die Schwierigkeiten größer sein könnten, als bisher vermutet.

Aus gewöhnlich zuverlässigen Quellen in der Branche ist zu hören, dass der bandlos arbeitende Multiformat-Camcorder der Infinity-Baureihe derzeit eine Leistungsaufnahme von mehr als 60 W habe. Zum Vergleich: Aktuelle Digital Betacam-Camcorder liegen hier in der Größenordnung von 30 W. Einen Camcorder mit den in den Gerüchten genannten 61 W Leistungsaufnahme im mobilen Betrieb mit Spannung zu versorgen, erfordert also große, schwere Akkus und häufigen Akkuwechsel. Diesen Wert müsste Grass Valley, wenn er stimmen sollte, vor der Markteinführung sicher noch deutlich verbessern und mindestens auf die Größenordnung von 40 W herunterbringen.

Engpässe soll es auch mit dem von Grass Valley für Infinity bevorzugten Kompressionsverfahren JPEG2000 geben: Derzeit erreiche der Camcorder hiermit nur eine Bildrate von 15 Bildern pro Sekunde, ist von verschiedener Seite im Markt zu hören. Das reicht natürlich nicht aus und stellt den von Grass Valley verwendeten Codec zusätzlich in Frage, der auch wegen der bisher sehr begrenzten Unterstützung im Postproduction-Markt von vielen Anwendern kritisch gesehen wird.

In der Folge dieser Probleme verzögere sich die Markteinführung von Infinity auf unabsehbare Zeit, ist im Markt zu hören. Die schon verstrichene Zeit konnten Sony und Panasonic nutzen, um ihre neuen Aufzeichnungsformate P2 und XDCAM weiter zu entwickeln und im Markt zu positionieren. Deshalb könnten weitere Verzögerungen bei Infinity dazu führen, dass die von Grass Valley angekündigte Produktfamilie gar nicht oder zumindest nicht in der bisher skizzierten Form auf den Markt kommen werde, wird in der Branche gemunkelt.

Die genannten Gerüchte wurden von unterschiedlichen, gewöhnlich zuverlässigen Quellen an www.film-tv-video.de herangetragen. Natürlich könnten sie von interessierter Seite gestreut worden sein. Fakt ist aber, dass zumindest in Europa noch keine Infinity-Geräte an Endkunden ausgeliefert wurden, das wird auch von Grass Valley selbst indirekt bestätigt.

Schon während der IBC2006-Pressekonferenz (siehe Meldung) hatte Grass Valley im krassen Unterschied zur NAB2006-Pressekonferenz (siehe Meldung) den Ball in puncto Infinity extrem flach gespielt. Man braucht nicht viel Fantasie, um zu folgern, dass dies kein Zufall war. Erstmals angekündigt hatte Grass Valley die Infinity-Produktlinie schon zur IBC2005, wo das Unternehmen mit großem Pomp vor 2.500 geladenen Gästen die Katze aus dem Sack ließ.

Das sagt Grass Valley zu den Gerüchten

Selbstverständlich hat www.film-tv-video.de dem Hersteller angeboten, seine Sicht der Dinge darzulegen und die Gerüchte zu kommentieren.

Auf die Frage nach dem Grund der Lieferstartverzögerung antwortete die PR-Abteilung des Unternehmens: »Wie bei unseren Mitbewerbern — die bei den weiterentwickelten Kamerasystemen, die wir derzeit alle dem Markt vorstellen, mit ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen hatten oder noch haben — ist es auch bei uns Realität, dass diese Art von Projekten Zeit braucht und wir nehmen uns die Zeit, es richtig zu machen.«

www.film-tv-video.de liegen Informationen vor, dass einigen Kunden konkrete Liefertermine für Ende November genannt worden waren, die aber verstrichen, ohne dass Geräte geliefert worden wären. Zu diesem Sachverhalt und zur Frage nach dem weltweiten Lieferstatus von Infinity antwortet Grass Valley: »Wir haben keine offizielle, öffentliche Antwort auf diese Frage. Wir diskutieren dies nichtöffentlich, „one-on-one“ mit unseren Kunden.«

Die gleiche Antwort gab es auch auf die Frage, ob es einen Zeitplan für die Auslieferung von Infinity-Geräten an Endkunden gebe.

Nächste Frage: Stimmt es, dass Grass Valley Überlegungen anstellt, die weitere Entwicklung und Auslieferung der Infinity Produktlinie einzustellen? Dazu Grass Valley: »Nein, das ist einfach nicht wahr. Wir haben das Infinity-Programm nicht eingestellt.«

Zur Frage der Leistungsaufnahme und der hierbei kursierenden Zahl sagt der Hersteller: »Wir wissen nicht, wo Sie diese Zahl herbekommen. Dies ist kein Wert, über den wir gesprochen oder den wir veröffentlicht hätten. Wir erwarten zwar, dass Infinity etwas mehr Leistung aufnehmen wird als andere Camcorder auf dem Markt, aber diese eine Kennzahl muss im Kontext betrachtet werden. Bedenken Sie: Der Infinity DMC 1000 bringt sehr viel Funktionalität und Vielseitigkeit auf die Schulter und hat sehr viele zusätzliche Features, die man von Standard-Camcordern gar nicht kennt. In den Workflows unserer Mitbewerber würden viele dieser Funktionen zusätzliches Equipment erfordern, was nicht nur die Leistungsaufnahme deutlich erhöhen würde, sondern auch das Gewicht und die Kosten.«

Ebenso ist nach Grass-Valley-Angaben die Zahl von 15 fps im JPEG2000-Modus »vollkommen falsch«. Und weiter: »Die Integration von J2K funktioniert bei voller Bildrate und bei den von uns gewünschten Bitraten. Wir sind nicht sicher, von wem Sie anderes hören, denn wir haben diese Funktionalität in jüngerer Zeit schon öffentlich bei mehreren Messen und Vorführungen bei Kunden gezeigt.«

Im wesentlichen widerspricht Grass Valley also allen Gerüchten, auch wenn einige der Aussagen sicherlich ganz bewusst eine gewisse Unschärfe beinhalten.

Infinity-Zeitplan (Stand NAB2006) und technische Infos

Den 2/3-Zoll-Camcorder wollte Grass Valley im Juni 2006 in ersten Mustern ausliefern, ab Juli sollte er dann für rund 20.000 Euro auch für Endkunden verfügbar werden.

Als Aufzeichnungsmedium nutzt das Gerät Iomegas Rev, ein Speichermedium aus dem IT-Bereich, für dessen Verwendung Thomson schon im Zusammenhang mit dem Turbo-Server einen OEM-Vertrag abgeschlossen hat. Mit den kompakten Rev-Medien (35 GB) sollen sich 2 Stunden SD- oder 45 Minuten HD-Material aufzeichnen lassen — letzteres mit Datenraten bis 110 Mbps, so dass etwa HD also mit Datenraten von bis zu 100 Mbps aufgezeichnet werden kann. Tatsächlich realisiert hat Grass Valley nach eigenen Angaben für die während der NAB2006 gezeigte Entwicklungsstufe des Geräts die Aufnahme von 720P-Signalen mit 75 Mbps. Alternativ zu RevPro soll es auch möglich sein, auf CompactFlash-Speicherkarten aufzuzeichnen.

Im Endeffekt soll der Infinity-Camcorder folgende Formate beherrschen: 525i /60, 625i /50, 1080i / 50, 1080i / 60, 720P / 50, 720P / 60.

SD-Formate sollen sich in 16:9, 4:3 oder Letterbox aufzeichnen lassen. Weiter sollen im SD-Bereich diverse Formate und Kompressions-Codecs auswählbar sein, unter anderem DVCAM und DVCPRO. Zusätzlich soll der Camcorder JPEG2000 unterstützen. Dieser Codec biete den Vorteil, dass er effektiver arbeite und Artefakte wie etwa Blockbildung nicht mehr auftreten. JPEG2000 bietet Bilder in 10-Bit/4:2:2.

Insgesamt hatte Grass Valley nach eigenen Angaben zehn funktionsfähige Camcorder zur NAB2006 mitgebracht, die laut dem für diesen Geschäftsbereich verantwortlichen Jan Eveleens (siehe Personalmeldung) von Hardware und Mechanik den endgültigen Stand der ersten Baureihe darstellten, bei denen es aber noch Software-Änderungen geben sollte.

Den Camcorder will Grass Valley mit einem kompakten Fieldrecorder (Digital Media Recorder, DMR) mit Aufklapp-Display ergänzen, der ungefähr 10.000 Euro kosten soll und ebenso wie der Camcorder über verschiedene IT-Schnittstellen verfügen werde (USB, FireWire). Der DMR soll sich direkt an NLE-Stationen anschließen lassen. Er sollte ab September 2006 ausgeliefert werden und in zwei Varianten erhältlich sein: mit oder ohne in den Deckel integriertes LC-Display.