Branche, Top-Story: 22.12.2009

Die Zukunft der Stereoskopie im Kino

Mit der Einführung des digitalen Kinos hat die Stereoskopie in den letzten Jahren so gute Chancen wie nie zuvor, sich fest in der Filmwelt zu etablieren. Dr.-Ing. Siegfried Fößel, Gruppenleiter für Digitales Kino am Fraunhofer IIS Erlangen und Thomas Rietenbach, technischer Leiter der Innenstadtkinos von Stuttgart, sprachen mit Stefan Müller im Rahmen von dessen Bachelorarbeit über ihre Erfahrungen mit Stereo-3D und gewährten einen Ausblick, wie sie die Zukunftschancen für diese Technik einschätzen.

Dr.-Ing. Siegfried Fößel, Gruppenleiter für Digitales Kino am Fraunhofer IIS Erlangen und Thomas Rietenbach, technischer Leiter der Innenstadtkinos von Stuttgart, erläuterten Stefan Müller im Rahmen seiner Bachelorarbeit ihre Einschätzungen zum Thema Stereo-3D und wie sie die Zukunft der Stereoskopie im Kino bewerten. Stefan Müller ordnet im folgenden Auszug aus seiner Bachelorarbeit die Aussagen der beiden Interviewpartner ein und gibt zusätzliche Hintergrundinfos zum Thema.

Stereo-3D als Motor für das digitale Kino

Während bis jetzt immer hervorgehoben wurde, was das digitale Kino für die Stereoskopie bedeutet, sollte man umgekehrt die Rolle des Stereo-3D-Films für das D-Cinema nicht unterschätzen, wie Dr. Fößel aufzeigt: »Es ist so, dass Stereoskopie im Moment ein Treiber für das digitale Kino ist. Der normale Zuschauer im Kino erkennt nur wenig den Unterschied zwischen dem digitalen und dem analogen Film. Das heißt, es ist nicht sofort ersichtlich, dass er (…) sofort einen Mehrwert hat. Erst durch die 3D-Technik ist es so, dass er diesen Mehrwert natürlich sofort durch die andere Technologie, durch den stereoskopischen Effekt, erkennt.«

Dass dieser Effekt Zuschauer anlockt und für die Verbreitung von D-Cinema-Equipment in den deutschen Kinos sorgt, zeigt die aktuelle Knappheit an verfügbaren Geräten, wie Thomas Rietenbach belegen kann: »Die Nachfrage nach 3D-Equipment ist im Moment so hoch, dass alles ausverkauft ist. (…) D-Cinema-Projektoren haben eine Lieferzeit von 20 Wochen. Die meisten 3D-Brillen-Hersteller können nicht liefern – es gibt nicht einmal mehr Ersatzbatterien für Shutterbrillen.«

Viele Kinos haben für den Film »Ice Age 3« mindestens einen Kinosaal mit einem 3D-D-Cinema-System modernisiert, um den Film stereoskopisch zeigen zu können — und die Investition zahlt sich aus, wie auch Thomas Rietenbach bestätigt. Dennoch agieren viele Kinos noch sehr zögerlich und begründen dies mit einem angeblich zu hohen Preisen für das neue Equipment, was Rietenbach nicht nachvollziehen kann: »Digi-Projektoren und Server sind durchaus bezahlbar! Die Kinos müssen, meiner Meinung nach, einfach mehr reinvestieren, wenn sie bestehen bleiben wollen. (…) Man kann mit Kino immer noch Geld verdienen!«

Wer Stereo-3D zeigen will, kommt heute an der Digitaltechnik nicht vorbei. Falls man schon digital ausgestattet ist, wäre es ein Fehler, kein Stereo-3D-Brillensystem nachzurüsten, wie Rietenbach deutlich zum Ausdruck bringt: »Wer schon einen Digi-Projektor hat, ist in meinen Augen blöd, wenn er nicht auch 3D damit macht.«

Die Resonanz der Zuschauer

Die letzten Jahre waren alles andere als rosig für das Stereo-3D-Kino. »Der Film »Meet the Robinsons« war damals eine Pleite«, berichtet Thomas Rietenbach. Danach blieben zunächst weitere Stereo-3D-Filme aus und die Innenstadtkinos versuchten, mit älteren Imax-3D-Filmen das 3D-Equipment zu nutzen. Inzwischen sind »Bolt« und »Monsters vs. Aliens« mit größerem Erfolg gelaufen und »Ice Age 3« sprengte alle Erwartungen.»Ich glaube, die Leute sind mittlerweile durch die massive Werbung für »Monsters vs. Aliens« und auch »Ice Age 3« mehr für das Thema sensibilisiert«, sagt Rietenbach und sieht darin einen Grund für den wachsenden Erfolg des 3D-Kinos. Die Innenstadtkinos Stuttgart boten auf Wunsch des Verleihers neben der Stereo-3D- auch die 2D-Fassung dieses Films an, was aus Sicht von Rietenbach keinen Sinn ergibt. Die Zahlen geben ihm Recht: Rund 11.000 Besucher für die 3D-Version innerhalb einer Woche stehen etwa einem Zehntel dieses Wertes bei der 2D-Fassung des Filmes gegenüber. Auch Thomas Rietenbach ist erstaunt über den riesigen Andrang: »Ich dachte, dass sich das nach spätestens zwei Wochen legen würde, aber im Gegenteil: 3D brummt!«

(Anmerkung der Redaktion: Die Gespräche fanden schon einige Monate vor der Veröffentlichung dieses Artikels im Rahmen der Bacherlorarbeit des Autors statt, seither haben der Disney-Film »Oben« und ganz aktuell »Avatar« das Thema Stereo-3D massiv weiter befeuert.)

Der Hype um Stereo-3D

Ist die Stereo-3D-Euphorie nun ein Hype er auch wieder vorübergehen wird, oder nicht? Zahlreiche neue Stereo-3D-Filme kamen in den vergangenen Wochen in die Kinos. Aktuell läuft der Stereo-3D-Film »Avatar« von James Cameron. Selbst renommierte Filmfestivals würdigen die neue Technik: »Was ich toll fand ist, dass das Cannes- Film Festival dieses Jahr mit einem 3D Film angefangen hat«, so Rietenbach. Gezeigt und ausgezeichnet wurde »Oben« von Disney/Pixar.

Neben eigens für das stereoskopische Kino produzierten Filme kommen auch Stereo-3D-Filme ins Kino, die aus einer ursprünglichen 2D-Fassung generiert wurden. Darunter »Toy Story 1 und 2“« von Pixar, aber auch alte Kassenschlager wie »Titanic«. Hierbei stellt sich natürlich die Frage, ob das Publikum bereit ist, den gleichen Film noch einmal anzuschauen, obwohl er außer Stereo-3D nichts Neues zu bieten hat.

Dr. Fößel sieht diesen Punkt weniger kritisch: »Ich denke im Moment ist es wirklich so, dass die Zuschauer interessiert sind, diese Technik anzuschauen und auch noch einmal in das Kino gehen, um das zu erleben. Und ich glaube auch, dass es in Zukunft 3D-Versionen geben wird, vor allem für Animationsfilme und für gut gemachte Live-Filme. Und insofern denke ich, dass das im Moment auch gerechtfertigt ist. Auch die Studios werden das natürlich nur so lange machen, wie die Zuschauer Interesse daran haben und in die Kinos gehen. Deswegen glaube ich, dass im Moment wirklich fast alles in 3D angedacht oder gedreht wird. Aber es wird eine Art Überschwinger geben und sich dann auf ein normales Niveau einpendeln.« Thomas Rietenbach sieht das ähnlich: »Es wird sich in Zukunft sicher eine Balance zwischen 2D und 3D finden. Es wird nicht so sein, wie die amerikanischen Kinobosse immer sagen, dass alles in 3D gemacht wird – das glaube ich nicht. 3D braucht es ja auch nicht bei jedem Film.« Ein großes Problem besteht aus Sicht des Kinobetreibers bei den großen Kinoketten und auch bei den Verleihern: »Die Verleiher fangen inzwischen schon an, sich gegenseitig zu blockieren. Während »Jonas Brothers« noch läuft, kommt »Final Destination 4« in die Kinos — bei in 3D. Dafür gibt es einfach noch nicht genügend Leinwände.« Desweiteren fordern, laut Rietenbach, die deutschen Kinoketten von den Verleihern, die Kosten für die Umrüstung auf Stereo-3D zu übernehmen. Sie haben daher im Moment pro Kino meist nur einen Saal mit Stereo-3D-Technik ausgestattet und schieben eine weitere Modernisierung ihrer Kinos vor sich her. Auf der anderen Seite werden auch überhöhte Preisaufschläge für 3D-Filme verlangt: Ein Aufpreis von 3 Euro, wie er in manchen deutschen Kinos erhoben wird, kann den Preis einer Kinokarte auf deutlich über 10 Euro treiben. Thomas Rietenbach dazu: »Das ist reine Abzocke.«

Momentan wird also viel Staub um die 3D-Technik aufgewirbelt. Von daher ist der Begriff »Hype« sicher gerechtfertigt. Nun ist abzuwarten, was übrig bleibt, wenn sich der Staub gelegt hat.

Zukünftige Verbesserungen am System

Die DCI-Spezifikationen lassen im Moment noch Fragen offen. Für den Betrachtungskomfort und die optimale Darstellung stereoskopischer Filme wäre etwa eine Leinwandgrößen-Standardisierung denkbar, aber Dr. Fößel sieht andere Punkte, die einheitlich geregelt werden sollten: »Zunächst ist ganz klar: Stereoskopie wird auf jeden Fall in der Standardisierung weiter behandelt. Für 2D ist die Standardisierung abgeschlossen, für 3D sind noch mehr Standardisierungsaktivitäten nötig. Ob dazu solche technischen Fragen geklärt werden, würde ich eher bezweifeln. Ich denke es geht eher darum, welche Formatspezifikationen sollte 3D besitzen, sprich File- und Untertitelformat. Ich denke, das sind die kritischen Sachen, vielleicht auch noch die Helligkeit, dass diese entsprechend natürlich vorgegeben wird.«

Desweiteren wäre laut Fößel eine Erhöhung der Datenrate für stereoskopische Inhalte möglich, um hier eine bessere Bildqualität zu ermöglichen: »Das Hauptproblem sehe ich aber im Moment eher darin, dass es noch kein 3D-System gibt, das bildqualitätsmäßig (…) in diese Kategorie reinzielen könnte.« Es gibt also noch Optimierungspotential bei der Wiedergabetechnik.

Vor allem die D-Cinema-Server werden in naher Zukunft mehr zu leisten haben als bisher. Laut Fößel ist angedacht, »bestimmte Korrekturen für spezielle 3D-Systeme im Server zu machen und nicht mehr im File-Format. Ein typisches Beispiel ist die Korrektur von Ghostbusting bei polarisierten Systemen oder das Thema Farbkorrektur bei Dolby-Systemen. Das soll natürlich nicht in die File-Formate integriert werden in Zukunft. Da sollte es ein einheitliches Austauschformat geben, das für alle Systeme gilt. Spezielle Korrekturen, die für die Technik notwendig sind, sollen in die Server integriert werden.«

Eine weitere Idee ist, beide stereoskopischen Bilder in einem Bildstrom zu vereinen. Aber dieser Wunschtraum wird wohl in absehbarer Zeit nicht in Erfüllung gehen: »Es gab (…) Versuchungen in verschiedenen Forschungsprojekten, die Redundanzen zwischen rechter und linker Bildhälfte zu nutzen. Es ist allerdings so, dass bei diesen relativ hohen Datenraten, also Bitraten, die Redundanzen nicht so gewaltig ausfallen, weil dann (…) das Rauschen schon eine Rolle spielt und die Redundanz nicht zu einer deutlich geringeren Datenrate führt«, erklärt Fößel.

Dann gibt es noch die Frage der Stereo-3D-Brille. Zweifelsfrei wäre der Sehkomfort wesentlich besser, wenn man Stereo-3D-Filme im Kino ohne eine zusätzliche Brille betrachten könnte. Außerdem stellt die Reinigung und Wartung der Brillen einen zusätzlichen Aufwand für die Kinobetreiber dar. Eine kurz- oder mittelfristige Lösung hierfür ist aber noch nicht in Sicht: »Im Kino (…) wird man einfach noch längere Zeit mit den Brillen leben müssen. Aber da gibt es ja auch gerade im Rahmen von EU-Projekten intensive Bemühungen, Systeme auf holografischer Basis zu entwickeln, die komplett ohne Brillen auskommen und die natürlich nochmals eine Stufe weiter in der Entwicklung von 3D-Systemen sind. Aber ob das schon in zehn Jahren realisiert wird, ist eher offen. Ich denke eher in 20 Jahren.« Stereo-3D-Brillen bleiben also im Kino vorerst ein Muss. »Aber wenn schon Brillen, dann sollten sie möglichst komfortabel sein«, haben sich einige Leute in der Filmindustrie gedacht und ein neues Konzept entwickelt: Demnach sollen die Kinobesucher zukünftig neben ihrer Lese- und Sonnenbrille eben auch eine 3D-Kinobrille besitzen, die möglichst schon der jeweiligen Sehstärke angepasst ist. Thomas Rietenbach hält diese Idee aber für schwer realisierbar: »Das funktioniert erst, wenn es in allen Kinos ein einheitliches Brillensystem gibt. (…) Wir hatten schon einen Besucher, der mit einer Einweg-Polfilterbrille zu uns kam und nicht verstehen wollte, dass das bei uns nicht funktioniert.«

Prognose

Wie sieht die Zukunft des Stereo-3D-Kinos aus? Der Hype, der momentan stattfindet, wird nicht ewig andauern. Die Filmindustrie wird lernen, wann Filme die zusätzliche Dimension brauchen und wann nicht. Stereo-3D wird den konventionellen Film also nicht komplett ablösen. Die Kinos werden auf kurz oder lang ihre Systeme auf D-Cinema umstellen oder erweitern und somit auch in größerer Zahl Stereo-3D-fähig sein, sofern man sich auf ein Finanzierungsmodell einigen kann.

Um sich gegenüber der Konkurrenz des Heimkinos zu behaupten, wird der Faktor, der großen Leinwand sicher eine wichtige Rolle einnehmen — vor allem im Stereo-3D-Kino. Der Raumeindruck auf einem Monitor ist nicht mit dem auf einer großen Leinwand vergleichbar. Hier können die Kinos wieder mehr Zuschauer in die Säle locken, zumal durch die Projektionstechnik das Raubkopieren mittels Camcorder im Kino erheblich erschwert wird.

Da die Breite der Leinwand auch eine wichtige Rolle für Stereo-3D hinsichtlich der stereoskopischen Parallaxe spielt, sollten hier Standards gefunden werden, die es ermöglichen, Stereo-3D-Filme ohne Überschreitung der maximalen Parallaxe zu zeigen.

Software-Lösungen für Stereoskopie werden in allen Bereichen der Produktion zu finden sein, um einen optimalen Workflow zu gewährleisten. Es wird die Möglichkeit geben, simultan beide Bildströme zu bearbeiten. Wie es schon in modernen Compositing-Programmen wie Nuke 5.0 oder Fusion 6 der Fall ist. Hierfür wäre denkbar, die Möglichkeiten von Containerformaten, wie MXF oder MOV, noch weiter zu nutzen und zwei enthaltene Videospuren als Stereo-3D-Film zu interpretieren.

Die Produktion stereoskopischer Inhalte wird sich in Zukunft extrem vereinfachen. Damit sinken die Kosten, wodurch auch die Attraktivität von Stereo-3D für Filmschaffende gesteigert wird. Auf der anderen Seite wird es auch mehr Leute geben, die wissen, wie man mit Stereoskopie umgehen muss. Die dritte Dimension wird sich also im gesamten Spektrum der Filmwelt als ein fester Bestandteil etablieren und uns irgendwann so selbstverständlich vorkommen, wie heute der Farbfilm. Dass die Stereoskopie noch einmal ganz verschwindet, ist sehr unwahrscheinlich.

Weitere Infos zum Thema bei film-tv-video.de

Einen Artikel mit technischen Grundlagen zum Thema Stereo-3D finden Sie hier.

Infos über aktuell verfügbare Stereo-3D-Rigs finden Sie hier. Ein Videoreport über das Stereo-3D-Rig von P+S Technik von der NAB2008 steht hier bereit, ein Update bietet der IBC-Videoreport (HQ-Video).
Einen Messekommentar zum Thema Stereo-3D können Sie hier nachlesen, einen älteren finden Sie hier.
Einen Videoreport von der IBC2008 zum Thema Live-Stereo-3D können sie hier sehen.
Ein Gespräch mit Matt Cowen, Chief Scientific Officer des kanadischen Unternehmens Real D, steht hier bereit.
Wie die Games-Welt mit Stereo-3D ins Kino kommen will, erklärt ein Interview zu diesem Thema.
Infos zur Projektion fasst ein weiterer Artikel zusammen, ergänzende Infos hierzu bietet eine weitere Meldung.
Welche Chancen Quantel dem Thema Stereo-3D einräumt, können sie in einem Videoreport sehen.