Editorial, Kommentar: 12.12.2016

Korruption? Doping? Football Leaks? Whatever …

Sport bringt Quote. Das gilt in Deutschland vor allem für den Fußball: Europa- und Weltmeisterschaften sowie Top-Spiele der Champions-League ziehen die Massen unverändert an. Bei populären Sportarten und deutschen Medaillenchancen können auch Teile der Olympischen Spiele Höchstmarken erreichen. Große Sport-Events gelten für die Sender als Quotengaranten, entsprechend teuer sind die Rechte und entsprechend aufwändig werden sie produziert.

Wo großes Interesse herrscht, werden heutzutage in der Regel auch große Geldmengen bewegt. Negativschlagzeilen sind da natürlich eher ungünstig und unerwünscht: Bei den Rechtenehmern, den Vermarktern, den Verbänden, Vereinen und Veranstaltern und den Werbetreibenden ebenso, wie bei den einzelnen Sportlern.

Doch genau solche Negativschlagzeilen gibt es dieser Tage mehr als genug: So legt der McLaren-Report, ein im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur veröffentlichter Untersuchungsbericht nahe, dass es in Russland ein großflächiges Dopingsystem mit staatlicher Unterstützung gab, in das über 1.000 Sportler verwickelt waren. Auch zwölf russische Medaillengewinner der Olympischen Spiele in Sotschi haben demnach betrogen.

Anderer Sport, andere Baustelle: Die Enthüllungsplattform Football Leaks hat Verträge und E-Mails aus dem Fußball-Business zusammengetragen. Deren Auswertung geht davon aus, dass im Fußballgeschäft offenbar systematisch Regeln gebrochen werden und einzelne Spieler, aber auch Trainer, mit abenteuerlichen Konstrukten versuchen, Geld am Fiskus vorbei zu schleusen. In den Dokumenten tauchen große Spielernamen wie Christiano Ronaldo, Paul Pogba oder Mesut Özil auf, aber auch der Trainer José Mourinho, sowie zahllose eher Insidern bekannte Spielerberater und Manager spielen gewichtige Rollen. Viele Fußball-Ikonen scheinen eindeutig Fälle für die Justiz zu sein.

Fette Skandale also, die den Sport in seinen Grundfesten erschüttern. Oder müsste man sagen: Erschüttern sollten? Der Aufschrei in der Öffentlichkeit fällt nämlich — insgesamt betrachtet — doch eher schwach aus. Tolerieren die Fans alles, solange nur die Medaillen kommen und der Ball rollt?

So scheint es zumindest: Wer moralische Aspekte anspricht, wird belächelt und für naiv gehalten. Schulterzucken: Ist halt so. Kann man nichts machen. Jeder holt für sich das Maximale raus. Steuerhinterziehung, Doping, Betrug, Vertuschung: So läuft das halt. Ab und zu gibt es mal kurz Aufregung und dann geht’s möglichst rasch zurück zum Normalbetrieb.

Beispiel gefällig? Kurz vor den Spielen in Rio wurde bekannt, dass durch nachträgliche Tests konservierter Proben neue Doping-Fälle bei vorangegangenen Spielen aufgedeckt wurden: 30 in Peking und 15 bei den Spielen in London. Unter den 30 neuen Fällen der Peking-Spiele befanden sich laut IOC 23 Medaillengewinner. Hatte das irgendwelche konkreten Folgen? Das wissen nur ganz wenige: Die allermeisten Zuschauer und Fans juckt es hingegen offenbar keinen Deut. Die alten Helden sind verbraucht und belastet? Dann müssen halt neue her.

Wird das beim McLaren-Report anders laufen? Mal abwarten: Bisher gab es den zu erwartenden Aufschrei in Moskau, ein paar Verschwörungstheorien dazu und ein Statement des deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach, der ganz allgemein ein hartes Vorgehen gegen Dopingsünder ankündigte und lebenslange Sperren gegen einzelne Sportler ins Gespräch brachte.

Was soll so etwas bringen, wenn offenbar weite Teile des Systems, das sich um den professionellen Sport herum gebildet hat, zutiefst korrupt agieren? Verkaufte Spiele und Meisterschaften, bei denen gedopte Sportler auftreten, die mit Wirtschaftskriminellen gemeinsame Sache machen: Viel Spaß beim Zuschauen!

Stars, die Millionen verdienen, aber ihre Steuern nicht bezahlen wollen, taugen nur bedingt als Vorbild. Und welchen Sinn ergeben Olympische Spiele, bei denen die ehrlichen Sportler und die Zuschauer gleichermaßen von einem umfassenden Doping-System betrogen werden?

Man kann natürlich einfach mal betroffen in die Runde schauen und irgendetwas über die Selbstreinigungskräfte innerhalb des Sports murmeln, vielleicht noch verbunden mit einem Kopfschütteln und einem »Skandal«-Ausruf — und sich dann einfach beim nächsten Event wieder mitreißen lassen, strunzteure Tickets und Fanartikel kaufen und jubeln. Letztlich entscheiden die Zuschauer — indem sie weiterhin zuschauen und den Akteuren ihr Geld in den Rachen werfen — oder eben nicht. Die Wahrheit ist manchmal bitter.

Sie werden sehen.