Broadcast, Top-Story: 30.07.2004

Phönix aus der Förderasche

Was bleibt übrig, wenn Kohle verbrannt wird? Asche. Das gilt auch, wenn man »Kohle« und »Asche« als Slang-Begriffe für Geld versteht. Dem HDO-Desaster konnte dessen Mitbegründer, Wolfgang Wenzel, rechtzeitig entrinnen. Nun plant er, einen Pornokanal als Pay-TV-Station zu betreiben. Der Firmensitz auf dem platten Land in Mecklenburg-Vorpommern eröffnet den Zugriff auf neue Fördergeldquellen.

Der frühere Traum des Superministers Wolfgang Clement von der »Medienregion Ruhr« ist wohl endgültig ausgeträumt. Seit Anfang Juli 2004 gilt: Aus dem digitalen Filmzentrum High Definition Oberhausen (HDO) wird ein Facharztzentrum. Das enthält dann zwar sicherlich ebenfalls viel digitales High-Tech-Equipment, aber dafür sind die einst bewilligten Medien-Fördermillionen nicht geflossen: Das Land Nordrhein-Westfalen muss daher das Gros der für HDO bezogenen Bundesförderung zurückzahlen.

Zeitgleich, aber unabhängig von dieser Entscheidung, erklärten die Landesmedienanstalten einen Pornosender namens »Pro 6« für medienrechtlich unbedenklich. Was auf den ersten Blick absolut nichts miteinander zu tun hat, erweist sich bei näherer Betrachtung als zwei Glieder einer Kette, die gar nicht so weit auseinander liegen.

Die große High-Tech-Sause

Die Pläne für digitale Postproduktionszentren in Oberhausen und später auch in Potsdam, galten Anfang der 90er Jahre vielen als revolutionär.

Allerdings verstrich viel Zeit von der Idee bis zum tatsächlichen Betriebsbeginn. Zu viel Zeit: Viele der vorgesehenen Techniken konnte man schon auf dem Laptop nutzen, bevor die High-Tech-Betriebe überhaupt eröffnet waren. So kamen High Definition Oberhausen (HDO) und das Babelsberger FX.Center nur schwer in die Gänge.

Immerhin gelang es im Jahr 2004, wieder Medienleben in das Babelsberger Objekt zu bekommen (siehe auch frühere Meldung hierzu). HDO jedoch hinterließ nur verbrannte Fördererde und beschäftigte nachhaltig Untersuchungsausschüsse des NRW-Landtags, Medien und Gerichte.

Die Klage des Landes NRW gegen die vom Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement geforderte Rückzahlung des Bundesanteils an der HDO-Förderung von 20 Millionen Euro hatte den Vorgang in Richtung Kabarettreife getrieben: Clement selbst hatte, damals noch als Ministerpräsident von NRW, das Projekt HDO unterstützt. Nur weil das Land NRW schließlich ankündigte, man werde 13 Millionen Euro in fünf Raten an den Bund zurückzahlen, blieb Clement die einmalige Peinlichkeit erspart, für beide Seiten vor Gericht zu sprechen.

Etwa zeitgleich kündigte die Oberhausener Firma Medi-O an, in dem etwa 130 Millionen Mark teuren und hoffnungslos überförderten Medienbau ein Ärztehaus einzurichten. So scheint sich auch für HDO noch ein »gesundes« Ende anzubahnen.

Ebenfalls von Anfang Juli 2004 datiert der von den bisher aufgezählten Fakten unabhängige Beschluss der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten, einen Bezahl-Pornosender namens »Pro 6« als Mediendienst einzustufen. Der Landesrundfunkzentrale Mecklenburg-Vorpommern (LRZ) empfahlen die Medienwächter, eine »medienrechtliche Unbedenklichkeitserklärung« zu erteilen. Mittlerweile wurde »Pro 6« umbenannt in »6 Plus«. Als Betreiber des Senders wird die Berliner Wenzel Media GmbH genannt. Dahinter steht Wolfgang Wenzel, einst Gründer von HDO und deren 1998 insolvent gegangenen Berliner Mutterfirma EMG.

Ein Wessi mit ZK-Büro

Wolfgang Wenzel darf man ganz sicher ohne Übertreibung als schillernde Gestalt der Nachwende-Medienlandschaft bezeichnen. Erste mediale Bekanntheit erreichte er schon als Teenager: Als siebzehnjähriger, linker Jugendvertreter hatte er den Versuch des NRW-Verfassungsschutzes, ihn als V-Mann anzuwerben, öffentlich bekannt gemacht. Mitte der 80er-Jahre wechselte er nach Westberlin. Hier diente er sich der SED-hörigen Kleinpartei SEW (Sozialistische Einheitspartei Westberlins) als Filmemacher an. Für diese Partei produzierte Wenzel ein Werbevideo, mit durch die SEW vermittelter technischer Unterstützung des DDR-Fernsehens. 1988 kam er während der Leipziger Dokumentarfilmwoche in Kontakt zu Lothar Bisky, dem damaligen Rektor der Babelsberger Filmhochschule.

Dann spülte die Wende in der DDR Bisky an die Spitze der PDS. Wenzel nahm den Kontakt wieder auf und wurde, so der »Spiegel« Ende 2001, der »einzige Westler mit Arbeitszimmer im ZK-Gebäude«.

Wenzel hatte die Idee, mit Geldern des SED-Nachlasses eine Medienfirma zu gründen. Daraus ging 1990 die »Elektronische Medien- und Forschungsgesellschaft EMG« hervor. Laut »Neues Deutschland« vom 12. November 1990, erhielt das Unternehmen von der PDS zusätzlich zum Haus der SED-Devisenfirma Zentrag in der Berliner Rosenstraße nahe dem Alexanderplatz, noch ein Darlehen in Höhe von 18,4 Millionen DDR- und 5,8 Millionen Westmark.

Die PDS erhoffte sich von der EMG die »Herstellung linker Medienprodukte« und fügte in Klammern hinzu »keinesfalls nur im Sinne der PDS«. Im Zuge der Überprüfung des SED-Vermögens ging die Treuhand dann auf die Barrikaden: Die Kredite wurden zurückgezahlt. Ein »East German Investment Trust (EGIT)« stieg statt dessen ein – und gab einen 20-%-Anteil an Wenzel ab, der dann als geschäftsführender Gesellschafter agierte.

Dem rührigen Wenzel gelang es immerhin, zeitweise das RTL-Frühstücksfernsehen, den »ARD-Ratgeber Gesundheit« des SFB und andere Referenzen ins Haus zu holen. Er wollte aber immer mehr bieten, als einen One-Stop-Shop für TV-Produktionen. »Die Zukunft gehört digitalem Broadcasting, den Multimedia-Anwendungen und besonders den Schnitt-stellen zwischen Video, Kinofilm und Computerwelt«, orakelte Wenzel im Juli 1996 in der Zeitschrift »Film- und TV-Kameramann«. Folgerichtig stattete er die EMG mit Superlativen aus: Darunter ein kleines Multiformat-Kino und mehrere Produktions-, Post- und Synchronstudios – alles vernetzt.

Technikfreak Wenzel fokussierte allerdings zu weit nach vorn. So war weder die Trennung von Telekom und Staat noch die Erarbeitung der DVB-Standards weit genug gediehen, um seinen Digital-Ideen eine Basis zu bieten. Pioniervorhaben Wenzels wie das Multiplexing für digitales Kabelfernsehen und die Entwicklung eines Kabelmodems für digitales Daten-TV scheiterten. Mangels Aufträgen musste etwa auch eine riesige VHS-Kopierstrasse abgebaut werden. Zwei HDTV-Trucks, die ebenfalls entstehen sollten, wurden niemals Realität.

Dann landete Wenzel seinen bislang größten Coup: Für »digitale Supertricks mit Geld aus SED-Kassen«, sah die »Wirtschaftswoche« in ihrer Ausgabe 20/1995 eine Heimstatt im Ruhrpott. Die Landesregierung und ihr Chef Wolfgang Clement wollten aus NRW eine Medien-Innovationsregion machen. Dort fand Wenzel Fürsprecher für die Errichtung eines digitalen Postproduktionszentrums in Oberhausen. Die Philips-Tochter Satel stieg mit 20 % ein. Land, Bund und Europa steuerten 80 % zu dem 133 Millionen-Mark-Projekt High Definition Oberhausen bei.

Anfang 1996 feierte die »Wirtschaftswoche« den »Tausendsassa« Wenzel für die »modernste Traumfabrik der Welt« schon als den »Steven Spielberg von Europa«. In vielfacher Hinsicht ein ziemlich misslungener, schiefer Vergleich. Aber zum Richtfest im Mai 1996 konnte Wenzel tatsächlich einige Aufträge vorweisen. Ein kontinuierliches Dauergeschäft konnte jedoch nicht in Oberhausens »Neue Mitte« geholt werden, so heißt nämlich das Strukturentwicklungsgebiet, dessen nördlichen Abschluss das HDO-Gebäude bildet. Schließlich unterstützte der Landes-Fördergeber selbst die konkurrierenden Betriebe im für Medienschaffende attraktiveren Köln.

Folgerichtig blieben die erhofften Arbeitsplatzeffekte aus und riefen die CDU-Opposition auf den Plan, die vom »größten Skandal in der Wirtschaftsfördergeschichte des Landes« NRW sprach. Statt Filmtricks gab es Negativschlagzeilen. Das Unternehmen HDO wurde verkauft, weiterverkauft (auch an den Kölner Medienunternehmer Helmut Breuer) und Gegenstand zweier parlamentarischer Untersuchungsausschüsse und diverser gerichtlicher Auseinandersetzung zwischen Wenzel und den Käufern. Zuletzt unter dem Namen »Triple-e« firmierend, wurde den schließlich noch 13 HDO-Beschäftigten zum 31. März 2003 gekündigt. Das politische Nachspiel fand erst im Juli 2004 ein zumindest vorläufiges Ende. Die HDO-Muttergesellschaft EMG war schon 1998 mit 4,5 Millionen Mark Außenständen in die Insolvenz gegangen. Die, so Wenzel, seien durch das EMG-Betriebsvermögen von 3,8 Millionen Mark und den HDO-Anteil gedeckt gewesen. Der für HDO vereinbarte Kaufpreis von fünf Millionen Mark sei — trotz entsprechender Gerichtsurteile — jedoch nie geflossen.

Pornos aus dem Land der drei Meere

Jetzt lässt Wolfgang Wenzel wieder von sich hören und über sich schreiben. Sein aktuelles Projekt scheint inspiriert durch die EMG-Kontakte zur Fernsehsparte von Beate Uhse: Es handelt sich um das geplante Erotik- und Porno-Bezahlfernsehen, das zuerst den Arbeitstitel »Pro 6« trug und nun wohl »6 Plus« heißen soll. Sechs Programme mit textilarmer Bildware sollen dabei über drei Astra-Kanäle verbreitet werden.

Dabei spart Wenzel, wie schon bei EMG und HDO, nicht mit innovativem Lockstoff: Dass eine telefonische Filmbestellung wirklich durch den volljährigen Abonnenten ausgelöst wird, soll durch eine Kombination von PIN-Code und Fingerabdruck-Biometrie nachgewiesen werden: Das erschien auch den Medienwächtern so sicher, dass sie die oben genannte Empfehlung aussprachen.

Auch bei seinem jüngsten Projekt zieht es Wenzel in medienwirtschaftliches Niemandsland: In der Kleinstadt Torgelow ließ der Unternehmer im März 2004 seine Pro 6 Media GmbH beim Amtsgericht Neubrandenburg (HRB 6175) registrieren. Den vorpommerschen Uecker-Randow-Kreis am Stettiner Haff kennen Generationen von NVA-Rekruten als »Land der drei Meere«: Waldmeer, Sandmeer, nichts mehr. Warum also zieht es Wenzel ausgerechnet dort hin? Der »Nordkurier« zitiert Wenzel sentimental: Er sei in Torgelows Partnerstadt Espelkamp aufgewachsen …

Im Vergleich zu früher sind Wenzels Brötchen erheblich geschrumpft: Er wolle zehn Millionen Euro investieren, berichtet das Blatt. Dann folgt der zentrale Satz, der die gefühlte innere Verbundenheit Wenzels zu Torgelow sicher stark befördert haben dürfte: »Der Sender wird mit Zustimmung des Schweriner Wirtschaftsministeriums in Torgelow angesiedelt und finanziell unterstützt«, heißt es nämlich weiter. Die Anschubfinanzierung in Höhe von vier Millionen Euro soll zunächst mindestens 50, später 100 Arbeitsplätze in der strukturschwachen Region schaffen.

Ein Drittel der Leute will Wenzel allerdings aus München holen, denn für Schnitt, Synchronisation und Sendeabwicklung der weltweit eingekauften Stöhnware gibt es vor Ort keine Spezialisten. Für Buchhaltung und Call-Center wolle er jedoch auf das örtliche Reservoir zurückgreifen. Das sollte gelingen: Im Uecker-Randow-Kreis liegt die Arbeitslosigkeit bei etwa 30 Prozent. Als Firmensitz habe Wenzel nach einjähriger Recherche ein leerstehendes früheres Telekom-Gebäude in Torgelow gefunden, berichtet die Regionalzeitung.

Der Unternehmer »arbeitete bereits für RTL und die Kirch-Gruppe«, wusste das Lokalblatt zudem zu berichten. Dass diese höchst oberflächliche Expertise aus EMG-Zeiten stammt, erfuhren die Leser nicht. Und erst recht nichts über Wenzels Anteil am Oberhausener Fördergau. Bleibt zu hoffen, dass Otto Ebnet, der Wirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern, gelegentlich mal mit seinem Parteifreund Wolfgang Clement ins Gespräch kommt.

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