Kamera, Test, Top-Story: 26.09.2003

Geheimwaffe

Bei all dem Getöse um Disk- und Speicherchip-Camcorder, um die Zukunft der Camcorder generell, gerät derzeit die Gegenwart manchmal etwas ins Hintertreffen. So ist der AJ-SDX900 aus der aktuellen Camcorder-Produktpalette von Panasonic fast schon ein Geheimtipp – und das, obwohl er eher das Zeug zur Geheimwaffe hat. 50i oder 25p, jeweils mit 50 oder 25 Mbps: schon diese beiden dürren Zahlenpaare zeigen, dass der SDX900 mehr kann als viele andere Camcorder.

Billig ist der SDX900 nicht: mit 25.990 Euro steht er in der Netto-Preisliste (ohne Objektiv, ohne Sucher, ohne sonstiges Zubehör). Aber welcher andere Camcorder kann schon mit 50 Mbps Single-Frame-Intervallaufnahmen aus 16:9-Vollbildern in 25P aufzeichnen?

Aber der Reihe nach: Der AJ-SDX900 von Panasonic ist ein DVCPRO50-Camcorder, er schreibt also die Bilder normalerweise mit einer Videodatenrate von 50 Mbps aufs Band. Wem auch weniger reicht und wer lieber eine längere Aufnahmedauer pro Kassette zur Verfügung hat, der kann den Camcorder auch auf 25 Mbps umschalten, also auf die bei DV übliche Datenrate. DV-Bänder kann der SDX900 aber nicht nutzen, er ist auf DVCPRO-Kassetten im Midsize-Format abgestimmt.

Nicht nur die Datenrate lässt sich am AJ-SDX900 verändern, sondern auch das Seitenverhältnis: 4:3 und 16:9 sind möglich.

Ungewöhnlicher ist aber derzeit bei Camcordern immer noch, dass sich auch die Bildrate variieren lässt: 50i oder 25P stehen bei der 625-Zeilen-Variante des SDX900 zur Auswahl. Man kann also im Progressive-Scan-Modus mit 25 Vollbildern pro Sekunde aufnehmen.

Optional bietet Panasonic für den AJ-SDX900 auch ein Pre-Recording-Board an. Damit lässt sich eine Funktion realisieren, die bei anderen Herstellern »Retro Loop« oder »Loop-Recording« heißt.

Das Board bietet Speicherplatz für bis zu 15 Sekunden Bild und Ton und macht den »Sprung in die Vergangenheit« beim Aufnehmen mit dem Camcorder möglich. Zusätzlich erweitert es aber auch die Intervall-Aufnahmefunktionalität des SDX-900: Mit diesem Camcorder lassen sich sehr komfortabel Zeitraffer-Aufnahmen erstellen, hierfür steht ein breiter Einstellbereich zur Verfügung. Per Menü wählt man aus, wieviele Bilder der Camcorder aufnehmen soll (Rec Time: ab 1 Frame in 1-Frame-Schritten einstellbar), in welchem Abstand (Pause Time: in 1-Frame-Schritten einstellbar) und bis zu welcher Clip-Länge (Total Rec Time).

Kleine Einschränkung:en gibt es im 25P-Modus: Hier werden die eingestellten Werte so gerundet, dass der Camcorder auch tatsächlich progressiv arbeiten kann und als minimales Aufnahme-Intervall sind 5 Frames einstellbar. Im 50i-Modus gibt es keine Einschränkungen, es können auch einzelne Frames aufgenommen werden.
Der Camcorder schreibt im Intervall-Modus die Bilder (und auf Wunsch auch den Ton) zuerst in den Speicher und sichert sie dann in längeren Abschnitten auf Band. Das schont das Laufwerk und man kann ohne übermäßigen Verschleiß Intervallaufnahmen produzieren. Auch einen One-Shot-Modus gibt es hierbei: Dabei wird eben pro Tastendruck auf Start/Stopp die eingestellte Anzahl von Bildern aufgenommen, was man für Stop-Motion-Tricksequenzen nutzen kann.

Ohne Pre-Recording-Board ist die Zeitraffer-Funktionalität des Camcorders auf ein Maß beschränkt, das man auch von anderen bandbasierten Camcordern kennt: Das minimal einstellbare Aufnahme-Intervall beträgt dann 2 Sekunden.

FEATURES UND FUNKTIONEN
Als Bildwandler kommen beim AJ-SDX900 drei neu entwickelte 2/3-Zoll-IT-CCDs mit je 600.000 Pixel zum Einsatz, die auch die progressive Abtastung erlauben. Als Empfindlichkeit gibt der Hersteller Blende 13 bei 2.000 Lux an.

Die Verstärkungsstufen zeigen, dass der Camcorder auch für den News- oder Doku-Einsatz unter widrigen Lichtverhältnissen konzipiert wurde: bis +48 dB Verstärkung stehen bei voller Auflösung zur Verfügung. Weitere 20 dB lassen sich zuschalten, wenn man Einbußen bei der Auflösung und eine niedrigere Bildrate in Kauf nimmt.

Die 12-Bit-Signalverarbeitung hat Panasonic mit umfangreichen, weit in die Details gehenden Eingriffsmöglichkeiten in Farbmatrix und in Gammakurve (inklusive »Cinelike Gamma«) kombiniert. In Verbindung mit 25P lassen sich damit zumindest aus Herstellersicht auch filmähnliche Aufnahmen erstellen. Der Camcorder soll also weit über den News-Bereich hinaus einsetzbar sein und zielt auf den »Production«-Markt.

Eingriffe in die Farbwiedergabe des Camcorders sind auch in Teilbereichen des Wiedergabespektrums möglich, ohne den Farbton insgesamt zu verändern. Chroma- und Skin-Detail bieten noch weiter gehende Funktionalität, um die Bildwiedergabe in spezifischen Farbbereichen zu beeinflussen.

Der Camcorder verfügt über drei User-Buttons, denen sich individuell verschiedenste Funtionen zuweisen lassen. Die Anpassung an individuelle Bedürfnisse und Wünsche geht aber noch weiter: Beim SDX900 lässt sich auch sehr detailliert festlegen, welche Auswahl von Infos der einzelne Anwender immer im Sucher sehen und welche Auswahl er per Tastendruck als Status-Info einblenden will.

Zwei getrennte Filterräder erlauben es, die optische Anpassung an die Farbtemperatur und die Zuschaltung von ND-Filtern unabhängig voneinander vor zu nehmen. Pro Farbfilterrradposition lassen sich zwei elektronisch ermittelte Weißabgleichseinstellungen speichern. Auch ein permanenter Weißabgleich (ATW) steht zur Verfügung.

Wie bei vielen Consumer-Geräten, ist auch beim SDX900 eine Digital-Zoom-Funktion eingebaut. Damit lässt sich der zentrale Bildausschnitt weiter »aufblasen«, also elektronisch vergrößern. Wer will, kann das so erzeugte Bildsignal aufzeichnen, in aller Regel werden die Nutzer des SDX900 solche Digital-Zooms aber eher in der Postproduction realisieren lassen. Die integrierte Digital-Zoom-Funktion lässt sich am SDX900 aber auch so einstellen, dass man sie nur als Scharfstellhilfe (Focus Assist) einsetzen, das schlechter aufgelöste, vergrößerte Bild aber nicht versehentlich aufzeichnen kann.

Bei den vielen genannten und auch all den hier unerwähnten Funktionen ist es natürlich sinnvoll, wenn man verschiedene Voreinstellungen des Camcorders nicht jedes mal Punkt für Punkt durchgehen muss, sondern bestimmte Grund-Settings einfach speichern kann. Der Camcorder ist hierfür mit vier internen Scene-File-Speicherplätzen ausgerüstet. Ein SD-Chip-Slot steht zum dauerhaften Speichern auf Memory-Karten und zum Austauschen von Einstellungen zwischen verschiedenen Camcordern zusätzlich bereit.

Insgesamt stehen systembedingt beim SDX900 vier Audiokanäle zur Verfügung. Für die Tonkontrolle bietet der SDX900 zwei Kopfhörer-Miniklinkenbuchsen: eine vorne und eine hinten am Camcorder. An der Gerätfront sitzt auch eine Mikrofonbuchse, an die sich das Aufsteckmikro anschließen lässt. Auf der Rückseite des Camcorders stehen zwei weitere Audio-In-Buchsen bereit, die sich zwischen Line und Mic umschalten lassen. Außerdem gibt es hinter dem Traggriff einen Steckplatz für einen kabellos anschließbaren, drahtlosen Unislot-Audio-Empfänger.

Als Line-Audio-Ausgang setzt Panasonic aus Platzgründen auf eine 5-Pin-XLR-Buchse. In den meisten Fällen, in denen man die Audio-Out-Buchse des Camcorders braucht, wird man da wohl in der Praxis einen Adapter einsetzen müssen.

An die ECU-Buchse, die sich ebenfalls auf dem rückwärtigen Panel findet, kann eine External Control Unit, also eine externe Kamerasteuerung angeschlossen werden.

Mit Rotlicht ist die Kamera gut ausgestattet: Es gibt vorne und hinten an der Kamera ein Tally, das sich per Menü auch um- und abschalten lässt. Der am Testgerät montierte 16:9-Sucher weist ebenfalls vorne und hinten eine Leuchte auf.

4 kg wiegt der nackte Camcorder, rund 1,5 kg die passenden Objektive. Nimmt man noch den Sucher, seine Befestigungsvorrichtung, das Mikro, die Akkuplatte, einen Akku, das Pre-Recording-Board, einen Drahtlos-Audio-Empfänger und eine Kassette hinzu, kommt man leicht auf ein Betriebsgewicht von 8 kg oder mehr. Damit ist der SDX900 in der heutigen Zeit kein ausgesprochenes Leichtgewicht mehr. Er sitzt entsprech-end satt und schwer auf der Schulter. Zum Glück ist die Schulterstütze ganz gut ausgeformt und wertig ausgeführt. Sie lässt sich zudem ohne Werkzeug in der Längsrichtung verschieben, was das Finden einer persönlich als relativ angenehm empfundenen Position auf der Schulter erleichtert.

Der Sucher kann dann mit einem robusten Verstellmechanismus ebenfalls in die individuell benötigte Position gebracht werden. Für die SDX900 gibt es wahlweise einen 1,5-Zoll-4:3-Sucher oder einen 2-Zoll-16:9-Viewfinder.

BILDQUALITÄT
Über die Bild- und Tonqualität des AJ-SDX900 muss man im Grunde nicht mehr diskutieren: Dieser Camcorder ist das aktuelle Topmodell der DVCPRO50-Familie, und entsprechend hat Panasonic alles getan, um die Systemparameter dieses Formats aus zu nutzen. Das Ergebnis entspricht den Erwartungen, die man an ein Gerät dieser Preisklasse ableiten kann: Der AJ-SDX900 liegt in puncto Bildqualität in der Spitzengruppe dessen, was man heute mit einem 625-Zeilen-CCD-Camcorder erreichen kann. Mit dem AJ-SDX900 tritt Panasonic gegen die 50-Mbps-Camcorder von Sony und Ikegami an und kann dabei auch bestehen.

VOLLE 25P-FUNKTIONALITÄT
Anders als beim 25P-Kompakt-Camcorder AG-DVX100 von Panasonic, der in seiner Preisklasse ein absoluter Renner ist, gibt es beim SDX 900 im 25P-Aufzeichnungs-Modus keine funktionalen Einschränkungen, die nicht direkt mit dem progressiven Modus verbunden wären. Beim kleinen DVX100 können etwa Farbbalken und Verstärkung nicht aktiviert werden, wenn das Gerät in den 25P-Modus versetzt wurde. Nichts dergleichen ist beim SDX900 der Fall. (einen test des AG-DVX100 finden sie hier.)

LANGE BETRIEBSDAUER
Panasonic ist es gelungen, den Energiehunger des AJ-SDX900 zu zügeln: Im Zusammenspiel mit den beim Testgerät installierten Dionic-Lithium-Ionen-Akkus von Anton/Bauer konnte mit dem Gerät im wahrsten Sinn des Wortes stundenlang ohne Akkuwechsel gearbeitet werden. Die Leistungsaufnahme des Camcorders beträgt laut Hersteller rund 24 Watt.

FAZIT
Der SDX900 macht insgesamt eine sehr gute Figur. Anlass zum Mäkeln gibt, soweit man das in einem Test feststellen kann, der nur ein paar Tage dauert, noch am ehesten die Benutzerführung. Die ist nicht in allen Punkten eingängig, wenn man sich durch die Einstellmenüs arbeitet. Auch dürfte die Bedienungsanleitung an einigen Stellen etwas ausführlicher und klarer formuliert sein.

Panasonic hat aber mit dem AJ-SDX900 einen Camcorder gebaut, der deutlich mehr kann, als von einer »News-Mühle« verlangt wird. Das Gerät zielt ganz klar auch in den Doku-Bereich und auf den »Production«-Markt jenseits der schnellen Reportage. Im News-Bereich wird schließlich kaum einer das 25P-Feature nutzen. Der Anspruch ist klar: Überall, wo bislang Digital Betacam eingesetzt wird, soll sich der AJ-SDX900 seinen Platz erstreiten.

Gerade wenn es um die Anwendungen jenseits des News-Bereichs geht, gibt es derzeit eigentlich noch keinen stichhaltigen Grund, auf die Scheibe oder die Chipkarte als Speichermedium zu setzen. Das glauben auch die Hersteller: Nicht nur bei Panasonic geht man davon aus, dass das Band noch für geraume Zeit als Speichermedium im Doku- und Production-Bereich jenseits der News erhalten bleibt.

Ob das auch für den SD-Bereich zutrifft, oder in Zukunft doch nur noch für HD-Camcorder gilt, bleibt ab zu warten. Vielleicht ist ja der AJ-SDX900 für den einen oder anderen Anwender der letzte bandbasierte Camcorder. Wenn ja, geht damit die Bandära in der Akquisition bei Panasonic mit einem richtig guten Camcorder zu Ende.

Downloads zum Artikel:

T_0903_Test_SDX900.pdf