Branche, Top-Story: 14.02.2004

Zeit für den Wechsel

Kommt nach dem Formatkrieg der Kampf der Speichermedien? Diese und ähnliche Fragen stellt sich der Markt angesichts der neuen und angekündigten Akquistionssysteme. www.film-tv-video.de hat zu diesem Thema den Sony-Manager Andreas Wahlich befragt.

? Mit XDCAM bringt Sony eine gewisse Unschärfe in die seither üblichen Begrifflichkeiten: XDCAM könnte man im bisherigen Sinn nicht nur als Speichermedium, sondern auch als Format verstehen – so wie das bisher etwa bei Betacam oder auch Digital Betacam der Fall war. Tatsächlich können manche XDCAM-Geräte jedoch DVCAM– wie auch IMX-Signale aufzeichnen. Für das Speichermedium als solches hat Sony wiederum den Begriff Professional Disc eingeführt, auch im Unterschied zur BluRay-Disc. Wie grenzt Sony diese Begriffe voneinander ab?

Andreas Wahlich: Dass XDCAM kein neues Format im herkömmlichen Sinne ist, erkennt man ganz klar daran, dass hier nicht ein neues, proprietäres Format auf den Markt gebracht worden ist, wie etwa Betacam-SP oder Digital Betacam in der Vergangenheit, sondern auf einem neuen Aufzeichnungsmedium, also der Optical Disc, bereits etablierte »Formate« aufgezeichnet werden: MPEG-IMX und DVCAM. Hierzu ist wichtig anzumerken, dass auch MPEG-IMX kein proprietäres Format ist, sondern nur der Familienname für das von der SMPTE standardisierte D10-Format ist. Dieser D10-Standard ist offen für alle Hersteller, wie MPEG-2ein offener Standard ist. XDCAM steht somit nicht für ein neues Format, sondern bezeichnet nur eine neue Aufzeichnungsmethode.
»Professional Disc« steht für die professionelle Variante des hierbei verwendeten neuen Speichermediums, »Blu-Ray« für die in Japan bereits eingeführte Endkundenplattform. Beide Disks verbindet der prinzipiell gleiche Aufbau und das äußere Erscheinungsbild – nur dass die »Professional Disc« eben sehr viel höhere Datenraten verarbeiten kann – 144 oder 72 Mbps gegenüber 36 Mbps der Blu-Ray.

? Verlagert sich nun die Auseinandersetzung der großen Anbieter von der Format- in die File-Ebene?

Andreas Wahlich: MXF dient als File-Austauschformat. Dieses wurde durch die SMPTE standardisiert und wird heute von zahlreichen Herstellern auch aktiv unterstützt, sodass Equipment verschiedener Hersteller diese Files austauschen und bearbeiten kann. Da derzeit kein anderes File-Austauschformat standardisiert ist, kann man also nicht von einer neuen »Auseinandersetzung«, sondern endlich von einer »Gemeinsamkeit« sprechen. Dem MXF-File ist es als Container schließlich fast egal, welcher »Inhalt« transportiert wird…

? Der breite Markt reagiert bisher auf die Einführung von Sonys XDCAM und die Vorstellung von Panasonics P2 interessiert, aber doch noch zurückhaltend. Diese Unsicherheit könnte zum einen an den verwirrenden Begrifflichkeiten liegen, aber auch an den sich ändernden Workflows, die beide Technologien erfordern. Was tut Sony, um dieses Problem bei XDCAM zu lösen?

Andreas Wahlich: »Workflow« ist ein gutes Stichwort. Es ist klar, dass sowohl XDCAM als auch P2, bei seiner Markteinführung, die etablierten Workflows im traditionellen Broadcast-Bereich revolutionieren werden.
Der Unterschied liegt hier jedoch bei der Implementierung. So kann ein Kunde, der heute XDCAM kauft, schrittweise in die neue Technologie und den neuen Workflow hineinwachsen, indem er seine bisherigen Arbeitsweisen sinnvoll ergänzt. Mit P2 ist dagegen ein Wechsel des Workflows zwingend vorgeschrieben.
Eine Grundlage hierfür ist der Preis der Optical Disc, der absolut mit dem von Band vergleichbar ist. Die Optical Disc erlaubt eine Aufzeichnungsdauer von 85 Minuten bei DVCAM beziehungsweise von 45 Minuten bei IMX mit 50 Mbps Datenrate – und das zu einem Preis von rund 30 Euro pro Stück. Dies ermöglicht einen sanften Umstieg, der Kunde kann Tape 1:1 durch Optical Disc ersetzen, ohne seine Arbeitsweise ändern zu müssen. Auch wenn er im traditionellen, vom Tape her etablierten Stil weiterarbeitet, profitiert er vom neuen Medium: schnelle Zugriffszeiten, robusteres Medium, Clipping-Funktionen, Metadaten-Aufzeichnung und vieles, vieles mehr.
Bei der P2-Technologie muss man von der ersten Minute der Nutzung an radikal den Workflow ändern, da der Preis der Speicherkarten exorbitant hoch ist. Material, das aufgezeichnet wird, muss sofort weitergereicht werden, um die teuren Karten zur nächsten Nutzung wieder frei zu haben. Genau hierin liegt der Unterschied; derzeit ist diese Infrastruktur gar nicht oder nur ansatzweise umgesetzt.

? Bei der Einführung von IMX war die Rückwärtskompatiblität zur Betacam-Familie ein entscheidender Erfolgsfaktor. Speziell die Broadcaster begründeten ihre Entscheidung für dieses Format auch häufig mit den enormen Beta-Archivbeständen und der notwendigen Infrastruktur an Abspielgeräten. Mit XDCAM kommt aber nun von Sony ein ganz anderes Speichermedium/-format, das nur noch auf der File-Ebene rückwärtskompatibel ist und somit eigene Aufnahme- und Wiedergabegeräte benötigt. Wird das bei der Markteinführung nicht hinderlich sein? Oder plant Sony Geräte, die Band und Disc wiedergeben können?

Andreas Wahlich: Es ist nicht daran gedacht, Geräte zu produzieren, die beide Medien gleichzeitig abspielen können. Es ist nun einmal so, dass irgendwann ein technologischer »Break« gemacht werden muss. Ansonsten läuft man Gefahr, sich zu sehr im traditionellen Stil zu verstricken und technische Innovationen zu blockieren. Die Zeit ist einfach da, diesen Schritt jetzt zu vollziehen: die IT- und Broadcast-Welt wachsen mehr und mehr zusammen und verlangen nach neuen Technologien. Vorbereitend begleiten wir diesen Übergang für Tape-Nutzer, mit dem seit bereits einigen Monaten verfügbaren e-VTR. Er bietet Kompatibilität auf der File-Ebene und erlaubt es, sämtliche auf analogen 1/2″-Sony-Bandformaten gespeicherten Inhalte in MXF-Files um zu wandeln und somit wieder die berühmte Sony-Migration zu vollziehen.

? Die mit der Disc mögliche Funktionalität erfordert auf der Herstellerseite mehr Software-Aufwand. Ist das auch der Grund dafür, dass die Markteinführung der XDCAM-Geräte etwas hinter dem Zeitplan liegt?

Andreas Wahlich: Mehr Möglichkeiten über Software-Funktionalitäten! Ja, wir sind etwa drei Monate hinter unserem Einführungsplan. Das rührt vor allem aus der Offenheit, die wir in den vergangenen drei Jahren mit Key-Kunden weltweit pflegen, um möglichst viel von dem konstruktiven Feedback in die Produkte der ersten Generation einfließen zu lassen. Das dauert natürlich einige Zeit – dafür sind wir aber sicher, zum Auslieferungstermin auch Produkte in den Markt zu bringen, die auch wirklich den Anforderungen unserer Kunden entsprechen.

? Gerade im News-Geschäft, wo Sony großes Potenzial für XDCAM sieht, sind hektische Situationen an der Tagesordnung. Hier ist meist einfach zu bedienendes Equipment gewünscht. Steht das nicht im Widerspruch zu den neuen zusätzlichen Möglichkeiten der XDCAM-Produktpalette?

Andreas Wahlich: Ganz klar: »Nein«. Die XDCAM-Produkte sind auf eine sehr gute Ergonomie und Bedienbarkeit hin optimiert und der Kunde, der heute mit einem Band-Camcorder oder -VTR von Sony umgehen kann, wird schon nach nur wenigen Minuten mit den XDCAM-Geräten vertraut sein. Die beiden XDCAM-Camcorder basieren auf der bewährten IMX- beziehungsweise Digital-Betacam-Camcorder-Familie und bergen in ihrer Bedienung keinerlei Geheimnisse. Auch die beiden Deck-Produkte PDW-1500 und PDW-V1 weisen viele gemeinsame Ausstattungsmerkmale mit ihren »Bandbrüdern«, etwa die Jog/Shuttle-Bedienung und das gesamte Bedienfeld.

? Bei bandbasierten Camcordern lassen sich wichtige Grundfunktionen auch während des Drehs schnell und einfach überprüfen. Schönes Beispiel: Wenn das Band läuft, kann der Kameramann davon ausgehen, dass er auch etwas aufzeichnet. All diese einfachen Kontroll-Mechanismen fallen bei den neuen modernen Aufzeichnungssystemen wie XDCAM weg. Provokativ gefragt: Wollen die Nutzer das, wollen die Kameraleute statt ihres simplen Beta-SP-Camcorders einen komplizierten Computer mit Disk-Laufwerk auf der Schulter haben?

Andreas Wahlich: Sie können versichert sein, dass die vom Band-Camcorder bekannten Grundfunktionen auch im XDCAM-Camcorder als Basisfunktionalität integriert sind. Auch hier sind Kontrollmechanismen wirksam, die dem Kameramann während der Aufnahme signalisieren, dass er auch wirklich etwas aufzeichnet. Gerade dem Kameramann geben unsere neuen digitalen Camcorder ein Arbeitswerkzeug an die Hand, mit dem er seine kreativen Ideen gestalterisch auch umsetzen kann. Allein der Kamerateil zählt mit Sicherheit zum besten, was es auf dem Markt gibt. Und setzt natürlich auf den nicht mehr ganz neuen, aber nun zu implementierenden 16:9-Standard.

? Werden XDCAM und die Optical Disc das Band auch in anderen Bereichen ablösen? Wie sehen Sonys Pläne aus, XDCAM und HD auf einen Nenner zu bringen?

Andreas Wahlich: XDCAM und HD sind die Kernformate unserer mittelfristigen Strategie. Gerade diese sauberen Strategien haben Sony in den vergangenen Jahrzehnten zum führenden Hersteller im professionellen Umfeld gemacht. An dieser Methode halten wir im Sinne unserer langfristigen Kundenbeziehungen fest. Natürlich hat XDCAM das Potenzial, das Band auch in anderen Produktionsbereichen zu verdrängen. Aufgrund der spezifischen Charakteristika von Tape, etwa den ultralangen Spielzeiten, wird es aber während einer Übergangszeit mit anderen Aufzeichnungsmedien wie zum Beispiel der Optical Disc gemeinsam verwendet werden. Jedes Aufzeichnungsmedium – Tape, Optical Disc, Hard-Disk, Festspeicher – hat seine speziellen Vorzüge und diese gilt es, optimal für die jeweilige Applikation zu nutzen. Wie schon gesagt, MPEG ist das Format, alles andere sind nur Speichermedien – für uns in der Realisierung mit XDCAM.

Downloads zum Artikel:

T_0402_Interview_AWahlich.pdf