Branche, Top-Story: 15.09.2006

HD-Workshop in Hannover: Knowhow-Transfer

Die technische Qualität der Bilder, die wir da auf dem Monitor ansehen müssen, ist so schlecht, dass es die meisten von uns nicht glauben können. Die Schatten sind vollkommen verrauscht und obendrein pumpen sie. Die einhellige Meinung lautet: absolut unbrauchbar. Glücklicherweise sind diese Bilder nicht hier entstanden, sondern sollen nur zeigen, was passieren kann, wenn ein in HD unerfahrener Kameramann und eine »vollkommen verschraubte« HD-Kamera aufeinander treffen. Spätestens jetzt sind die Teilnehmer des diesjährigen HD-Workshops in Hannover davon überzeugt, dass es eine gute Entscheidung war, hier teilzunehmen, um die Klippen der HD-Gewässer umschiffen zu können und den Gebrauch der Werkzeuge so gut kennen zu lernen, dass optimale Ergebnisse entstehen. (Druckfreundliche PDF-Version am Textende: 3 MB, 5 Din-A4-Seiten.)

Der von Nordmedia und Band Pro veranstaltete Workshop ist »in seiner Größe und Bandbreite der größte in Europa«, erfahren wir bei der Begrüßungsansprache auf dem ehemaligen Expo-Gelände in Hannover. Mehr als 100 Teilnehmern soll von 40 Trainern und Experten im Lauf der nächsten sieben Tage soviel Knowhow wie möglich vermittelt werden. Für die Übungen stehen Geräte im Wert von mehr als 14 Millionen Euro zur Verfügung, bereitgestellt von 38 Firmen, die als Sponsoren des Workshops fungieren.

Im dritten Jahr in Folge findet der Workshop statt, er ist in zwei Segmente unterteilt: »Hands On« und »Hands Off«.

»Hands Off« ist vor allem für Regisseure, Produzenten und andere gedacht, die nicht unbedingt selbst Geräte bedienen, sich aber mit der neuen Technologie befassen, sie prinzipiell verstehen und die Möglichkeiten kennen lernen wollen. Für die 60 Teilnehmer, die sich ausschließlich dafür angemeldet haben, beginnt das zweitätige Training erst in zwei Tagen.

Die anderen teilen sich zu Beginn der Veranstaltung in eine Postproduktions-Gruppe und verschiedene Kameraklassen auf. Im Gegensatz zum Vorjahr gibt es neben der Master-Class — nur für Teilnehmer, die »im Kamera-Menü absolut fit sind« — dieses Mal auch verschiedene andere Klassen für das »Operational Training«. Darin werden die Funktionen und Menüs der verschiedenen Kameras ausführlich erklärt. Das Spektrum der vorhandenen Kameras deckt nahezu die gesamte Bandbreite ab: Für HDV finden sich nicht genug Interessenten, deshalb bleiben die kleinen Camcorder einfach nur im Ausstellungsbereich aufgebaut. Die »echten« HD-Camcorder-Modelle finden hingegen regen Zuspruch, angefangen bei Panasonics AG-HVX200 (Test und Erfahrungsbericht bei www.film-tv-video.de), die Varicam des gleichen Herstellers, sowie XDCAM HD– und HDCAM-Geräte von Sony, die Viper von Grass Valley und die D20 von Arri. Die »Klassen« haben recht unterschiedliche Teilnehmerzahlen: Während in der F900-Klasse 15 Leute sitzen, sind es bei der Viper kaum mehr als eine Hand voll.

Im Postproduction-Bereich stehen fünfzehn HD-Schnittplätze bereit, Apples Final Cut Pro, verschiedene Avid-Nitris-Systeme und Clipster von DVS sind aufgebaut. Die Teilnehmer hier werden in den nächsten Tagen vornehmlich an jeweils einem der Schnittplätze sitzen, um sich mit diesem vertraut zu machen und das von den Kameraklassen gedrehte Material einzuspielen und zu bearbeiten. Die notwendige Theorie über Kompression, Quantisierung, die verschiedenen Formate, Akquisitions- und Postproduktions-Codecs, Monitore und Speichertechnologien wird über die Tage verteilt angeboten, die Theorie wechselt sich mit Übungen ab.

Theorie ist auch in den Kameraklassen angesagt, denn der richtige Umgang mit den Parametern Gamma, Matrix, Black-Stretch, -Compress und weiteren setzt schließlich Hintergrundwissen voraus. Wo immer möglich, vermitteln die Trainer diese Hintergründe in Verbindung mit praktischer Umsetzung. Einige der Kameramenüs sind sehr umfangreich. Dass einige der Menüpunkte durch die Traineraussage »das könnt ihr gleich wieder vergessen, da es keine Praxisrelevanz hat« relativiert werden, empfinden die meisten Teilnehmer da als echte Erleichterung. Dennoch bleibt viel Lernstoff, denn viele der Menüs sind ziemlich schwer zu durchschauen. Zusätzlich gibt es Informationen über Zubehör wie Objektive, Matte-Boxen und Filter, daran sind insbesondere die jüngeren Teilnehmer — Assistenten oder Filmstudenten — interessiert. Auch zum Thema Ton gibt es Vorträge.

Gedreht wird an verschiedenen Sets mit Statisten, die Motive reichen von »Frau vor Fenster«, über einen »Beauty-Shot« und »Weiß-in-Weiß« bis hin zu einem Green-Screen-Set mit wehenden Gardinen.

Schnell wird den Workshop-Teilnehmern klar, dass besonders bei den relativ stark komprimierenden HD-Formaten alles möglichst optimal eingestellt werden muss: Die Toleranzen sind sehr eng gesetzt, es gilt, die vorhandenen, relativ niedrigen Datenraten richtig auszunutzen.

Intensiv thematisiert werden beim HD-Workshop die Limitationen der gängigen HD-Systeme. Dazu gehört etwa die 8-Bit-Quantisierung, die für die Aufnahme meist noch akzeptabel ist, in der Postproduktion aber Probleme bereiten kann, insbesondere, wenn ein richtiges Color Grading stattfinden soll. Soll beispielsweise ein Farbverlauf über die ganze Bildbreite gehen, so genügen die mit 8 Bit darstellbaren Farbstufen nicht, um bei HD-Auflösung einen sauberen, kontinuierlichen Verlauf darzustellen. Die Folge ist unschönes »Banding«, also die Darstellung des Verlaufs in einzeln wahrnehmbaren Farbstufen.

Auch das geringe Color-Subsampling einiger Formate — bei HDCAM wird das Signal nur in 3:1:1 aufgezeichnet, bei DVCPROHD mit 3:1,5:1,5 — kann Probleme bereiten, so macht dieser Mangel an Farbinformation einen sauberen Key schwierig. Nur HDCAM SR bietet die 4:2:2– und 4:4:4-Modi, deren höhere Farbauflösung einen guten Key ermöglichen, auch wenn das Signal in diesem Format immer noch leicht komprimiert wird. Mit der Viper von Grass Valley können die Daten wahlweise im 4:4:4 Modus oder völlig unkomprimiert und unbearbeitet im Raw-Modus aufgezeichnet werden (bei Grass Valley Filmstream genannt). Das ist optimal für einen Key und für sonstige Bearbeitungen, denn die Bildverarbeitung findet dabei überwiegend in der Postproduktion und nicht schon in der Kamera statt. Dadurch bleiben alle Möglichkeiten erhalten, die sonst der Datenreduktion zum Opfer fallen. Problem dabei: Es entstehen große Datenmengen und die Raw-Bilder sehen unkorrigiert auf dem Monitor flach und grünstichig aus. Erst die Verwendung von Look-Up-Tables (LUT), die das Signal entsprechend umsetzen oder ein speziell dafür vorgesehener Extra-Ausgang an der Kamera, ermöglichen eine Beurteilung auf dem HD-Monitor.

Eine Erkenntnis setzt sich beim Workshop weitgehend durch: Ohne Monitor geht bei HD eigentlich nichts. Die relativ kleinen Sucher lassen eine Bild- und Schärfebeurteilung nur eingeschränkt zu. Ein weiteres Werkzeug ist beim Workshop an allen Kameras zu sehen: ein HD-Waveform-Monitor von Astro. Die Verwendung dieses Messgerätes erlaubt die optimale Einstellung des Signals. Das ist besonders dann wichtig, wenn vor der Aufzeichnung komprimiert wird, wie bei HDCAM und DVCPROHD.

Fast immer ein Thema, wenn es um das Drehen in HD geht: der Filmlook. Den erreicht man mit Arris D20 am leichtesten, weil die Kamera mit nur einem Bildsensor arbeitet, sie dadurch eine geringere Schärfentiefe bietet und das direkte Arbeiten mit Cine-Objektiven erlaubt. Bei allen anderen im Workshop genutzten Kameras kann die filmtypische, geringere Schärfentiefe in der Praxis nur mit Hilfsmitteln wie dem ebenfalls bereitstehenden P+S Adapters erreicht werden.

Generell gilt: HD verzeiht Fehler viel weniger als SD, »da versendet sich« nichts mehr. Deshalb werden die Tipps zum Umschiffen der verschiedenen Klippen gerne angenommen. In der Postproduktionsklasse erfahren die Teilnehmer etwa, wie man mit Final Cut Pro verschiedene Frame-Raten verarbeiten kann, obwohl das Programm das derzeit eigentlich noch gar nicht unterstützt. Selbst für Kollegen, die schon mit HD erfahren sind, gibt es noch etwas zu lernen, wenn beispielsweise der französische Kameramann Philipe Ros die von ihm in Zusammenarbeit mit Sony Frankreich entwickelten Gammakurven vorstellt, mit denen sich die Durchzeichnung in bestimmten schwierigen Lichtsituationen deutlich verbessern lässt. Da wird der Netzwerkgedanke, den Nordmedia und Band Pro während der Veranstaltung immer wieder herausstellen, sehr deutlich. Es geht hier auch darum, Spezialwissen mit anderen zu teilen, denn das Gebiet ist so groß, dass sich nicht jeder alles selbst erarbeiten kann.

Zwei im wahrsten Sinne des Wortes »große« Highlights des Workshops sind der HD-Ü-Wagen von TVN aus Hannover und der HD-Hubschrauber des Heliteams aus Geretsried. Beide stehen für zwei Tage zur Besichtigung zur Verfügung und bedeuten für viele Teilnehmer die erste Begegnung mit dieser Live-Produktionstechnik.

Nicht nur einmal hörte ich während des Workshops, dass sich immer wieder Regisseure beschweren, wenn die Konzentration nicht auf dem Bild, sondern auf der Technik liegt. Um das zu vermeiden, sind eine gewisse Routine und das Wissen, wie man ein technisch gutes Bild erzeugt, unabdingbar. Die intensive Beschäftigung mit der neuen Technik ist ein Muss und die Teilnahme an einem Workshop sehr zu empfehlen. Denn eines ist sicher: HD sieht nicht nur anders aus als SD, es erfordert auch eine andere Aufnahme und Verarbeitung.

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T_0806_HD_Workshop.pdf