Editorial, Kommentar, Top-Story: 11.06.2015

Filme, die die Welt nicht braucht: »United Passions«

Der Film »United Passions« startete am vergangenen Wochenende in den US-amerikanischen Kinos und spielte dabei laut dem Branchenmagazin »Hollywood Reporter« ganze 607 US-Dollar ein. Zum Vergleich: Die am gleichen Wochenende in den US-Kinos gestartete Agenten-Satire »Spy« erzielte im gleichen Zeitraum an den Kinokassen rund 30 Millionen US-Dollar.

»United Passions« hatte zwei Probleme: Das waren einerseits vernichtende Kritiken im Vorfeld, seit der Film im vergangenen Jahr in Cannes Premiere gefeiert hatte. Andererseits war das Timing des Filmstarts — sagen wir mal — etwas ungünstig: »United Passions« ist nämlich eine weitgehend von der Fifa selbst finanzierte, vollkommen unkritische, reine Jubelarie über die Geschichte und Arbeit der Fifa.

Der Film hatte nach Angaben verschiedener Medien ein Budget von rund 24 Millionen Euro und ist mit Stars wie Tim Roth als Joseph Blatter und mit Gérard Depardieu als Jules Rimet (dem Begründer der Fußball-WM) besetzt. Nun hat der gemeinnützige Verein Fifa, der alljährlich mehrere Milliarden US-Dollar Umsatz macht, schon seit längerem ein Korruptionsproblem und ist deswegen aktuell (endlich) unter Druck geraten. Fifa-Präsident Blatter ist zurückgetreten, nach und nach kommen immer ungeheuerlichere, skandalösere Vorwürfe ans Licht.

In Deutschland, wie in etlichen anderen Ländern, wurde der Film »United Passions« bislang gar nicht veröffentlicht. In manchen anderen europäischen Ländern wurde er nur auf DVD in den Markt gebracht, teilweise wurde er im Fernsehen ausgestrahlt. In den USA hingegen lief der Film nun also vor kurzem in zehn Kinos amerikanischer Großstädte an. Der Film selbst und dieses Timing zeigen — auch wenn das eigentlich überflüssig ist — ein weiteres Mal, wie weit man sich bei der Fifa von der Realität entfernt hat.

Die Fifa hat übrigens zwischen 2011 und 2014 rund 5,7 Milliarden US-Dollar eingenommen, davon 43 % aus Fernsehrechten. Allein für die deutschen TV-Rechte der Fußball-WM 2014 haben ARD und ZDF mutmaßlich 270 Millionen Euro hierzu beigetragen, wie das Medienmagazin »Zapp« des NDR in einem sehenswerten Beitrag zum Fifa-Skandal recherchiert hat (http://bit.ly/1Gd7FQe).

Wird sich der »gemeinnützige Verein« Fifa zum Besseren ändern? Dafür ist ganz offensichtlich erheblicher Druck von außen nötig — und dazu können viele etwas beitragen, auch die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland, die sich aber in einer Zwitterrolle befinden: Kann man gleichzeitig Kritiker, Kunde und Partner der Fifa sein? Und sind echte, harte Konsequenzen beim Lieblingssport der Deutschen realistisch?

Was im Radsport bei der Tour de France mit dem Ausstieg der Öffentlich-Rechtlichen aus der Berichterstattung zumindest phasenweise funktioniert hat, wird nun schon wieder zurückgedreht. Und selbst solch ein phasenweiser Boykott ist beim Fußball mehr als unwahrscheinlich — eigentlich sogar vollkommen unrealistisch.

Eine Fußball-WM, über die im deutschen Fernsehen nicht berichtet würde? Bei der keiner zuschaut?

Moderator und Kolumnist Micky Beisenherz bringt es letztlich auf den Punkt, wenn er schreibt: »Sind wir ehrlich: Wir alle hassen den Dealer — aber wir lieben das Produkt.« Und ganz nebenbei: Mit der Fußball-WM verdient nicht nur die Fifa jede Menge Geld: Die TV-Sender, die TV-Dienstleister, die Vermarkter — alle bekommen ihr Stück vom Kuchen, sonst würden sie ja nicht mittun.

Der Fußball steht wegen seiner Popularität an der Spitze der weltweiten Sportvermarktungs-Maschinerie. Auch andere Sportarten träumen von solchen Erfolgen und sind dabei nicht weniger offen für — nennen wir es mal — neue Vermarktungsmodelle: So etwa bei der Handball-WM, die in Katar stattfand und bei der nicht nur das Teilnehmerfeld nachträglich korrigiert wurde, um auf bessere TV-Quoten zu kommen, sondern wo auch gekaufte und eigens eingeflogene Fans für die nötige Stimmung bei den Spielen sorgten.

Am Freitag beginnen übrigens parallel zur von der Fifa veranstalteten Frauen-Fußball-WM in Kanada die »Europaspiele« in Baku. Bereit zum Jubeln?

Sie werden sehen.

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