Broadcast, Top-Story: 20.12.2006

Heimatgefühle – bandlos On Air

Im September 2006 ging in Ulm der Lokal-TV-Anbieter Regio TV Schwaben an den Start. Der Sender produziert bandlos mit Panasonic-P2-Technologie und entwickelt so auch technisch neue Perspektiven fürs Lokalfernsehen. (Eine druckfreundliche PDF-Version steht am Textende zum Download bereit: 7 Din-A4-Seiten, 750 kB).

Lokalfernsehen galt lange Zeit als unrentables Business, etliche Zeitungsverlage und andere Investoren setzten damit stattliche Summen in den Sand. Außerdem haftete den Regionalsendern der Ruf an, dass sie zwar oft mit großem Enthusiasmus aber unprofessionell, mit minderwertiger Technik und inhaltlich auf Schülerzeitungsniveau betrieben wurden. Nun erhalten die Regionalsenderkonzepte aber Aufwind: neue Technologien für Produktion und Verbreitung bringen das Lokalfernsehen auf ein neues Niveau und machen marktgerechtes, erfolgreiches und profitables Regionalfernsehen überhaupt erst denkbar – und möglich.

Genau das wollen die Macher von Regional TV Schwaben beweisen. Der Sender, der sein Programm im Großraum Ulm ausstrahlt, startete im September 2006 mit Fernsehen für die Region. Das Herzstück des Programms bildet ein 30minütiger Nachrichtenblock, den Regio TV täglich für 18 Uhr neu produziert und der dann bis Mitternacht in einer Schleife wiederholt wird. In den Nachrichten konzentriert sich Regio TV Schwaben auf aktuelle Beiträge mit lokalem Bezug, bietet also Infos aus der Region, zu denen die Zuschauer einen Bezug haben oder herstellen können, die aber bei überregionalen Anbietern nicht im Programm vorkommen. So gelingt es laut Regio TV Schwaben, die Zuschauer an den Sender zu binden. News aus der Wirtschaft vor Ort sind hier ebenso Programm wie Nachrichten aus Politik, Kultur und Sport. Die Produzenten sind sich sicher: Regional-TV ist dann erfolgreich, wenn sich die Zuschauer damit identifizieren können, wenn sie aktuelle Informationen aus ihrem direkten Umfeld erhalten und Bilder aus der Region in einer Qualität zu sehen bekommen, wie sie sonst nur den »großen« News vorbehalten ist.

Um noch näher am Zuschauer dran zu sein, splittet Regio TV Schwaben sein Programm sogar noch weiter auf und produziert drei Sendestrecken mit jeweils unterschiedlichen Inhalten für Ulm, Neu-Ulm und Aalen/Heidenheim.

Das stellt natürlich nicht nur inhaltlich eine Herausforderung dar, sondern auch technisch. Steffen Rapp, technischer Leiter des Senders, hat aber die passende technische Lösung gefunden um diese anspruchsvolle Aufgabenstellung zu lösen. »Wir betreiben praktisch einen Kleinsender mit mehreren Programmen«, fasst Rapp zusammen. »Ohne die entsprechende bandlose Aufzeichnungstechnik wäre diese Form der Produktion für Regio TV gar nicht möglich.«

Workflow bei Regio TV

Erklärtes Ziel von Regio TV war es von Anfang an, schnell, effektiv aber auch kostengünstig zu produzieren — ohne Kompromisse in der Bildqualität und Geschwindigkeit der Berichterstattung gegenüber den »großen« Nachrichten der überregionalen Sender eingehen zu müssen. Nach etlichen Recherchen und intensiven Diskussionen mit dem Münchner Vertriebshaus und Generalunternehmer Videocation entschied man sich schließlich für die bandlose Produktion mit P2-Camcordern von Panasonic im Zusammenspiel mit dem Produktions- und Sendesystem Cinegy.

Regio TV zeichnet das gesamte Material mit sechs P2-Camcordern des Typs HVX200 auf, derzeit meist in DV-Qualität auf P2-Karten. Anschließend wird das Material dann ins Cinegy-System eingespielt und bei diesem Schritt mittels MPEG-2-Codec umgewandelt, was aus der Sicht von Regio TV Qualitätsvorteile in der weiteren Bearbeitung bietet. Das Einspielen des Materials in Cinegy funktioniert derzeit etwa mit doppelter Wiedergabegeschwindigkeit. Ist das Material einmal mittels Cinegy auf dem Server gespeichert, kann es innerhalb dieses Systems mit sechs Clients bearbeitet und für die Sendung vorbereitet werden. Auch den Playout wickelt Regio TV mittels Cinegy ab, erstellt also innerhalb des Systems die Playout-Listen der relevanten Files für das Programm der einzelnen Kanäle. Einen der Vorteile des Arbeitens mit MPEG-2 sieht Steffen Rapp auch im einfachen Archivieren und Ausspielen von Beiträgen auf DVD. Technisches Herzstück der Bearbeitung und des Sendebetriebs ist ein zentraler Speicher mit 12 Terabyte Datenkapazität, der in Form von zwei gespiegelten 6-TB-Partitions genutzt wird. Mit dieser Technik und einem Stab von sechs technischen Mitarbeitern realisiert Regio TV drei Sendestrecken, die viele Gemeinsamkeiten aufweisen, aber auch deutliche Unterschiede bei einzelnen Beiträgen.

Investition in P2 mit HVX200

Bei einem Regionalsender, der sich langfristig über Werbeeinnahmen finanzieren soll, sind die Kosten ein entscheidender Punkt, wie Steffen Rapp anmerkt. »Gleichzeitig wollten wir aber in der Akquisition die größtmögliche Flexibilität erreichen«, ergänzt er und erläutert, dass die Zuschauer das Programm, das sie von Regio TV zu sehen bekommen, direkt mit Sendern wie Sat.1 oder RTL vergleichen. »Wir dürfen uns vor allem bei neuen Zuschauern nicht auf einen Heimatbonus verlassen: Wenn die Qualität nicht stimmt und mindestens mit den anderen Programmen vergleichbar ist, schaltet der Zuschauer schnell weg. Die Inhalte müssen professionell aufbereitet sein und ordentlich aussehen«, so Rapp. »Hier bieten die HVX200-Camcorder von Panasonic viele Vorteile für uns, weil uns verschiedene Qualitätsstufen zur Verfügung stehen.«

So ist es mit den HVX200-Camcordern möglich, in SD wahlweise ein DV-, ein DVCPRO– oder DVCPRO50-Signal und in HD ein DVCPROHD-Signal mit 100 Mbps aufzeichnen. Je nachdem, welche Qualität man auswählt, passt unterschiedlich viel Material auf die P2-Speicherkarten. Regio-TV hat jeden der sieben Camcorder, die im Einsatz sind, mit je zwei 8-GB-Karten ausgerüstet. »Üblicherweise arbeiten wir bei der Aufzeichnung mit DVCPRO, also einer Datenrate von 25 Mbps«, führt Steffen Rapp aus. »Das Material das mit den Camcordern in dieser Qualitätsstufe aufgenommen werden kann, sieht sehr ordentlich aus und reicht für News in aller Regel locker aus.« Teilweise entscheiden sich die Kameraleute aber auch für DVCPRO50, meist dann, wenn klar ist, dass die Kapazität der Karten ausreichen wird. Im DV-Modus passen auf die zwei 8-GB-Karten immerhin 64 Minuten Material, in DVCPRO50 sind es also 32 Minuten.

Selbst die Aufzeichnung in DVCPROHD mit 100 Mbps Datenrate hält man sich bei Regio TV offen. So plant der Sender, seinen Kunden günstige Werbeproduktionen in hochwertiger Qualität anzubieten. Dazu soll einer der HVX200-Camcorder bei Regio TV entsprechend professionell mit weiterem Zubehör ausgestattet werden. Weiter will der Sender in zusätzliches Licht investieren.

Mit dieser erweiterten Ausstattung will Regio TV dann auch Werbebeiträge für seine Kunden aus dem Mittelstand produzieren. »Ein Regionalsender wie wir lebt von der Werbung, deshalb wollen wir es unseren Kunden möglichst leicht machen, bei uns Spots zu schalten«, erläutert Steffen Rapp diese Pläne und ergänzt, dass es oben oft so sei, dass die mittelständischen Unternehmen nur wenig Budget für solche Produktionen hätten, aber dennoch gute Qualität wünschten. Hier kommt die HD-Funktionalität des HVX200 ins Spiel, denn sie ermöglicht es Regio TV, solche Spots für die Kunden hochwertig und dennoch kostengünstig zu produzieren. Produktion und Ausstrahlung aus einer Hand zu bekommen, ist hierbei ein Paket, das die Kunden anspricht.

News-Produktion bei Regio TV

Das Schlüsselprodukt von Regio TV sind natürlich die Regional-Nachrichten und deshalb investiert Regio TV viel Zeit und Energie in diesen Bereich. Bei der Akquisition des Materials können die Kameraleute ihre HVX200-Camcorder auf DV-Rig Stabilizer-System montieren. »Mit dem HVX200 kann man zwar 10 Minuten lang ganz ordentlich aus der Hand drehen, aber spätestens dann fällt einem der Arm ab, weil der Camcorder vergleichsweise schwer ist«, meint Steffen Rapp. Weiter arbeitet man bei Regio TV auch mit Steady Stick, einem weiteren Stabilizer-System sowie mit Vinten-Stativen, die von der Platte her gut zu den Panasonic-Camcordern passten, so Rapp.

Der wichtigste Vorteil, den Rapp im Umgang mit den HVX200-Camcordern nennt, ist erwartungsgemäß die bandlose Aufzeichnung. Sie ermöglicht es dem Sender, sehr schnell zu arbeiten. Die typischen zeitintensiven Jobs bei der Verarbeitung entfallen, weil von Anfang an auf der File-Ebene gearbeitet und das Material direkt in Cinegy weiterverarbeitet werden kann. Darüber hinaus zählt Rapp jedoch noch weitere Vorteile des Panasonic-Camcorders auf, so etwa die Möglichkeit, die Kamera-Settings auf SD-Card speichern zu können. Auch die Option, mehrere Camcorder via Firewire zu synchronisieren, lobt Rapp. Für die Loop-Recording-Funktion, die in einer Endlosschleife Material aufzeichnet, seien die Kameraleute sehr dankbar. Als stärksten Negativpunkt stuft Rapp die geringe Lichtstärke des Camcorders ein: »Der HVX200 ist sehr lichtschwach, hier wünschen wir uns eigentlich deutlich bessere Ergebnisse«. Und natürlich wünscht sich Rapp auch, dass die nächste Generation der Speicherkarten mit 16 GB Kapazität möglichst bald und mit einem möglichst günstigen Preis auf den Markt kommt. Regio TV wird aber wohl schon zuvor in zusätzlichen Speicher investieren müssen. »Derzeit testen wir den Firestore-Diskrecorder und denken, dass dies ein gangbarer Weg für uns wäre, um unsere Speicherkapazitäten in der Akquisition deutlich zu erhöhen«, so Rapp.

Programm-Gestaltung

Regio TV produziert sein halbstündiges News-Programm komplett vor – und zwar für alle drei Kanäle. »Dass wir quasi drei unterschiedliche Kanäle betreiben, war für Cinegy zunächst ein Performance-Problem, schließlich musste der File-Server auch parallel die unterschiedlichen Programm- und Werbe-Files dreier Programme wiedergeben, wenn wir auf Sendung gehen. Diese Performance-Schwäche ließ sich aber dank der Programmierung eines neuen Codecs lösen.«

Außerhalb der Kernzeit zeigt Regio TV das Programm etlicher Patagierungspartner: Nachts läuft beispielsweise Würfelzucker TV, ein Programm, das sich primär an jüngere Zuschauer wendet und Musiksender wie Viva zum Vorbild hat. Tagsüber läuft unter anderem »Schwaben Home Shopper«, ein Programm, das der Moderator selbst produziert und auf DVDs in Form von MPEG-Streams anliefert. Hier kann Cinegy eine seiner Stärken ausspielen, denn das Anpassen der Playout-Listen ist nach Steffen Rapps Einschätzung sehr einfach und erlaubt Eingriffe und Änderungen bis zur letzten Minute.

Archivierung

Wie wichtig bei der bandlosen TV-Produktion ein funktionierendes Backup- und Archivierungssystem ist, musste Regio TV auf die harte Tour lernen: Drei Tage nach Produktionsbeginn löschte ein Mitarbeiter das komplette bis dahin gesendete und schon für die folgenden Tage vorproduzierte Material, das sich auf dem Cinegy-File-Server befand, als er eigentlich nur ein einziges File löschen wollte – und entdeckte so ungewollt eine Sicherheitslücke des Systems. Was sich so lapidar dahinschreibt, war für Regio TV natürlich ein Super-Gau. »Dennoch haben wir es geschafft, bis 18.00 Uhr eine Sendung auf die Beine zu stellen«, berichtet Steffen Rapp. Trotz intensiver Versuche zur Datenrettung ließ sich nur etwa ein Drittel der Files rekonstruieren – das restliche Material war verloren. Jetzt geht es dem Sender natürlich darum, ein zuverlässig funktionierendes Sicherungskonzept zu etablieren. »An der Datensicherung wird immer gespart. Das war auch bei uns der Fall. Dass dies ein fataler Fehler bei der bandlosen Produktion ist, mussten wir bitter lernen«, resümiert Rapp, der mit seinen Dienstleistern derzeit ein verbessertes Archivierungskonzept erarbeitet, das helfen soll, solche Fälle in Zukunft zu verhindern.

Weitere Pläne

»Was wir produzieren, muss aussehen wie großes Fernsehen, darf aber nicht so viel kosten«, beschreibt Steffen Rapp das grundlegende Dilemma eines jeden Regionalsenders. Darin sieht er jedoch auch eine Chance, denn »wir können auch mit sehr vielen Formaten experimentieren, solange sie finanzierbar sind«. Derzeit plant Regio TV etwa die erste Außenproduktion für die Sparkasse Ulm. Angedacht ist auch eine AÜ der Spiele des Basketball-Bundesligisten Ulm. »Letztlich sind wir immer auf der Suche nach innovativen Produktionsformen«, beschreibt Rapp die Pläne des Senders und denkt dabei auch an den Einsatz des kompakten Live-Produktionssystems Anycast-Station von Sony.

Nach fast drei Monaten Sendebetrieb mit den genannten Anlaufproblemen ist Steffen Rapp sicher, den richtigen technischen Ansatz zu haben: »Wir werden weitere bandlose P2-Camcorder kaufen und den nun beschrittenen Weg konsequent weitergehen«, zieht er eine erste Zwischenbilanz. Auch andere Sender der Regio-TV-Gruppe werden auf bandlosen Betrieb umrüsten, als nächstes wird Euro3 in diese Richtung gehen.

Downloads zum Artikel:

T_1106_RegioTV.pdf

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