Festival, Top-Story: 05.05.2021

Filmtipps fürs 36. Dokfest München 2021

Das Dokfest München 2021 startete am 5. Mai sein 18 Tage langes Online-Festivalprogramm. Die Filme stehen bis zum 23. Mai online zur Verfügung, es gibt Einzeltickets und einen Festivalpass.





HINTER DEN SCHLAGZEILEN
[Journalismus, Ibiza ]
Deutschland 2021 / 90 Minuten, Eröffnungsfilm des Dokfest München 2021

Investigativer Journalismus ist eine schwierige Sache. Am Anfang treffen sich die beiden Journalisten Bastian Obermayer und Frederik Obermaier (Süddeutsche Zeitung) mit Edward Snowden — dem Whistleblower an sich.

Hinter den Schlagzeilen

Die Süddeutsche Zeitung und ihre Kooperationspartner haben Großartiges geleistet, mit den »Panama Papers«, im Mordfall Daphne Caruana Galizia, mit »Bahama Leaks« und den »Paradise Papers«. Im Film geht es hauptsächlich um die »Ibiza Affäre«, über die die österreichische Regierungskoalition aus ÖVP und FPÖ zerbrach.

Investigativer Journalismus ist aber visuell schwer zu fassen. Die Kamera rennt den Journalisten durch Gänge und Treppenhäuser hinterher, beobachtet sie in den Wartezonen von Flughäfen und während Redaktionsbesprechungen. So spannend die Geschichten erscheinen, so wenig attraktiv ist die Betrachtung der Arbeit daran. Investigativer Journalismus ist nicht die Beobachtung und Observierung durch Ferngläser, sondern dröges Auswerten von Dateien und Dokumenten, eine filmisch schwer zu bewältigende Aufgabe, für die die Macher des Filmes keine attraktive Form gefunden haben.
Sehenswert: **

DARK RIDER
[Behinderung, Motorsport, Rekordversuch]
Belgien, Niederlande 2020 / 91 Minuten

Zwei Männer fahren in einem Pickup über eine weiße Wüste, steigen aus und prüfen den Boden. Es ist ein Salzsee in Australien, auf dem jeder während einer als Festival organisierten Woche sein Gefährt auf maximale Geschwindigkeit bringen kann, ganz gleich ob Auto, Traktor, Motorrad oder Rasenmäher.

Dark Rider

## Achtung dieser Kommentar enthält einen Spoiler.##  Die beiden Männer wollen mit dem Motorrad einen Rekord aufstellen, wobei der eine vorweg fährt. Der andere erteilt ihm über Funk Anweisungen – wie ein Rallye-Beifahrer. Nach dem ersten Rekordversuch, als Zuschauer setzt Ermüdung ein, wird plötzlich in der 10. Minute überraschend klar, dass der zweite Fahrer Ben blind ist. Natürlich bleibt die Frage, ob sie den Rekord schaffen, nicht alleiniges Thema der restlichen 80 Minuten. Navigator Kevin Magee war einst selbst Motorradchampion, und weil das offenbar nicht reicht, holt man in einer Parallelgeschichte noch einen jungen Rodeo-Reiter ins Boot, der von Blindheit bedroht ist.
Sehenswert: *

The Last Hillbilly

THE LAST HILLBILLY
[USA, Sozialstudie, Familie]
Frankreich, Katar 2020 / 76 Minuten

Der Hillbilly, man könnte auch Hinterwäldler sagen, ist ignorant, arm, ungebildet, Rassist und verantwortlich für Trump. All diese Vorurteile, meint Brian, sind wahr. Seit mehreren Generationen lebt seine Familie ohne große Perspektive in Kentucky, auf dem Land in einem Haus ähnlich einem Trailer, der zufällig abgestellt scheint. Seit dem Niedergang des Kohlebergbaus sieht die Zukunft düster aus, und die Gegenwart ist von Langeweile geprägt, was schon die Kinder so empfinden. Interessanterweise ist dieser Film nicht im gängigen 16:9, sondern in 4:3 gedreht.
Sehenswert: ***

The Ark

THE ARK [China, Familie, Sterben]
Kanada 2020 / 102 Minuten

Ein Familienstreit am Sterbebett der Großmutter, in einem Krankenhaus in der chinesischen Provinz. Weitgehend in Schwarzweiß und im quadratischen Format 1:1 gedreht, und plötzlich weitet sich der Blick ins Krankenzimmer auf 16:9, die tote Großmutter im Vordergrund und die anderen Familienangehörigen drumherum, um am Ende wieder auf das schmälere Format zu schrumpfen. Dieser Film gewährt einen sehr persönlichen Einblick in das Leben einer chinesischen Familie unter extremen Bedingungen, gefilmt vom Enkelsohn.
Sehenswert: ***

Holgut

HOLGUT
[Tundra, Permafrost, DNA-Forschung]
Belgien 2021 / 75 Minuten

In einem Labor experimentieren Forscher mit Mäusen und Petrischalen. Der Erzähler spricht von Holgut dem Mammut, das auf der Arche Noah vergessen wurde. Der Stadtjugendliche Kyym kommt zu seinem Bruder Roman in die sibirische Tundra, um das Jagen zu lernen. Die Suche nach wilden Rentieren wird zu einer erfolglosen Odyssee. Nicht weit entfernt sucht der Wissenschaftler Semyon neben Abenteurern in den auftauenden Permafrostböden nach brauchbaren Mammut-Überresten für die DNA-Forschung – und träumt vom Klonen und anschließenden Auswildern dieser ausgestorbenen Tiere.
Sehenswert: ***

NO HAY CAMINO
[Lebensgeschichte, Dokumentarfilm, Krankheit]
Niederland 2021 / 90 Minuten

Heddy Honigmann ist als Tochter eines Holocaust-Überlebenden in Lima geboren und eine bekannte Dokumentarfilmerin in den Niederlanden geworden.

No Hay Camino

Sie ist unheilbar an Krebs erkrankt, und in diesem Film ist sie ihre eigene Protagonistin, auf Spurensuche in der Vergangenheit. Sie besucht die Orte der Kindheit, Freunde, Familie und Studenten ihrer Filmklassen. Bei alledem wird auch die Filmemacherin sichtbar, mit ihren Methoden und ihrer Neugier. Ein Kollege fasst es in einem peruanischen Sprichwort zusammen: Reisender, es gibt keine Straße, du erschaffst deinen eigenen Pfad, während du gehst.
Sehenswert: ***

Komúna – The Commune

KOMÚNA – THE COMMUNE
[Slowakei, Prager Frühling, Dissidenten]
SK 2020 / 87 Minuten

Verschiedene ältere Personen gehen über einen Friedhof. Sie alle besuchen, jeder für sich, dasselbe Grab, von Marcel Stryko (1955-1994). Stryko wirkte in Košice und war ein slowakischer Künstler, Philosoph, Dissident und Politiker, die treibende Persönlichkeit in der Künstlergruppe NACE, die in den 80er Jahren von der Geheimpolizei verfolgt wurde und zerbrach. In diesem Film reflektieren neun Mitglieder der »Kommune« ihr Leben und ihre Arbeit und auch die Frage, wer Verräter war. Es wird sehr viel im On und Off gesprochen, und der Zuschauer ist beim Lesen der vielen Untertitel sehr gefordert. Am Ende des Films sind alle gemeinsam an Strykos Grab.
Sehenswert: ***

 

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Seite 4: Soldaten, Eva-Maria, Heimatkunde, La Conquista de las Ruinas, Between Fire and Water, Zinder
Seite 5: Cosas Que no Hecemos, Der geraubte Wald, Silence of the Tides, Erwin Olaf, Shadow Game, Los Boys, Monobloc


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