Branche, Top-Story: 08.04.2004

Mobile vernetzte Produktion

Zum vierten Mal hatte Sony im Februar 2004 zu seiner Veranstaltungsreihe »Innovationsforum« eingeladen. In den Räumen von T-Systems in Frankfurt am Main diskutierten Branchen-Insider das diesjährige Thema »Mobile und vernetzte Produktion«.

Redner waren unter anderem Jürgen Küpper und Jürgen Burghardt von Sony, Andreas Ebner vom Institut für Rundfunktechnik, Andreas Bentz und Carsten Dethloff von T-Systems, Rainer A. Kellerhals von Blue Order und Hans-Peter Richter von Flying Eye.

Nach der Begrüßung und Einführung durch Jürgen Küpper, Mitglied der Geschäftsleitung bei Sony Deutschland, wurden in sechs Fachvorträgen die Chancen und Herausforderungen beleuchtet, die der Einzug IT-basierter Technologien in die Broadcast-Welt für Medienschaffende mit sich bringt. Im Anschluss daran hatten die Teilnehmer wie in den Vorjahren Gelegenheit, in drei parallelen Workshops ihre Erfahrungen und Ansichten aus zu tauschen.
Ein Höhepunkt der Veranstaltung war die Besichtigung des Netzwerk-Management Centers der T-Systems, das den weltweiten Internet-Backbone überwacht und weitgehend automatisiert verwaltet.

Jürgen Burghardt, Senior Manager Broadcast Strategy & Market Development bei der Sony Deutschland GmbH, Professional Solutions Europe, eröffnete die Fachvortragsreihe mit einem Überblick über die bereits verfügbaren Technologien und Produkte für eine vernetzte Produktionsumgebung. »Angesichts des wachsenden Kostendrucks und der gleichzeitig steigenden Zuschauererwartungen an die Qualität der Programme sind die Fernsehschaffenden heute gezwungen, ihre Arbeitsabläufe zu optimieren,« so Burghardt. »Nonlineare vernetzte Lösungen bieten ein großes Potenzial, die Prozesse effizienter zu gestalten, als es in den bestehenden ‚Sneaker-Netzwerken’ meist noch der Fall ist. Sie sind auch die Antwort auf Forderungen wie den gleichzeitigen nonlinearen Zugriff auf AV-Material und ein digitales ‚Archiv’, das einfach und komfortabel nach konkreten Inhalten durchsucht werden kann.«

Eine zentrale Rolle kommt dabei aus Sicht von Burghardt dem Material Exchange Format (MXF) zum Austausch von Content und Metadaten zu, das nun in der Version 11 von der SMPTE (Society of Motion Picture and Television Engineering) standardisiert wurde. »Dieses Format wird sich im großen Stil durchsetzen,« prophezeite Burghardt. »Denn die schrittweise Einführung einer vernetzten Fernsehproduktion ist nur mit einem allgemeinen Standard denkbar, der den Austausch von Video-, Audio- und Metadaten-Files zwischen Systemen verschiedener Hersteller ermöglicht.« Dabei müsse sichergestellt sein, dass die Metadaten bereits bei der Aufnahme soweit wie möglich automatisch erzeugt werden und über den gesamten Produktionsprozess hinweg nutzbar seien.

Das MXF-Format wird auch bei der Professional Optical Disc genutzt, dem jüngsten, optischen Aufzeichnungsverfahren von Sony. »Professional Disc vereinigt die Vorteile von Harddisk, nämlich dass es nonlinear und formatunabhängig ist, mit denen von Tape, denn es ist mindestens so preiswert und zuverlässig,« erläuterte Burghardt die Sicht von Sony. Mit einem Optical-Disc-Camcorder und einem nonlinearen Schnittsystem wie Xpri von Sony sei heute schon ein effizienter, mobiler Workflow wie der folgende möglich: »Die niedrigauflösenden Proxy- und Metadaten werden direkt vom Camcorder per Ethernet an ein Notebook geschickt, dort wird offline eine Playlist erstellt und auf die Disc zurückgespielt. So muss dann nur das hochauflösende Material an den Sender überspielt werden, das auch wirklich verwendet wird. Der fertige Beitrag kann dann sofort automatisiert ausgespielt werden. Ein solcher Workflow verkürzt nicht nur die Zeiten für Online- und Offline-Schnitt sowie den Datentransfer, sondern gibt den Journalisten auch ganz neue Möglichkeit, flexibel direkt vor Ort zu arbeiten,« führte Burghardt aus.

Um den gleichzeitigen Zugriff auf AV-Material sicher zu stellen, lassen sich laut Burghardt bereits heute ohne weiteres mehrere PC-Arbeitsplätze zu SANs (Storage Area Networks) verbinden, die auf eine gemeinsame Datenbasis zurückgreifen. Dies sei insbesondere für kleinere Anwendungsumgebungen sinnvoll. Mit dem NPS (Network Production System) von Sony stellte er darüber hinaus eine komplexe End-to-end-Lösung für einen durchgängigen Arbeitsablauf vor – von der Akquisition über Remote-Editing bis hin zum Playout. »NPS basiert auf Standard IT-Produkten und Interfaces, nutzt das MXF-File Format sowie das SNMP-Protokoll für die Fernüberwachung und unterstützt vielfältige Signalformate,« erläuterte Burghardt. »Es ermöglicht den Zugriff auf Inhalte in einem beliebig großen Netzwerk, zum Beispiel einem WAN (Wide Area Network).« Das System sei in hohem Maße skalierbar, unter anderem in Hinsicht auf Ein- und Ausgänge, Anzahl der Schnittplätze, Speicherleistung, Playout-Kanäle, Formate und die Anbindung von Remote-Editing-Systemen.

»In Insellösungen für kleine bis größere Anwendungen ist die vernetzte, IT-basierte Fernsehproduktion bereits heute Realität, sie wird zukünftig aber in immer größeren Netzwerken möglich sein,« fasste Burghardt den Status Quo aus der Sicht von Sony zusammen. »Wir befinden uns nun in der Anfangsphase der Migration von tape-basierten zu IT-basierten Systemen, die uns sicher noch viele Jahre beschäftigen wird.«

Andreas Ebner, Institut für Rundfunktechnik, vertiefte in seinem Vortrag das Thema Metadatenaustausch. »Metadaten, geordnet in einem Datenmodell, sind der Schlüssel für Produktion, Austausch und Archivierung,« betonte Ebner. »Beim IRT erarbeiten wir zurzeit Referenzmodelle für die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, die ihnen den Datenaustausch auf Basis eines Datenmodells sowie des MXF-Formats ermöglichen sollen.« Alle Informationen, die bislang auf den Kassettenlabels vermerkt waren, müssten mit der Einführung von Content Management-Systemen in den entsprechenden Datenbanken gespeichert werden. Dies beträfe Informationen von der Art des Beitrags über Titel, Timecodes und Schnittlisten bis hin zu sämtlichen Bearbeitungs- und Abnahmeschritten sowie Sendeterminen. Um eine einheitliche und flexibel erweiterbare Austauschplattform für alle beteiligten Sender zu gewährleisten, müsse zuvor ein detailliertes hierarchisches Datenmodell erstellt werden: »Dieses Datenmodell ist durch eine klar gegliederte Vorgehensweise, entsprechend einem modularen Konzept bzw. Schichtenmodell, zu erarbeiten. Nach diesem Konzept werden zunächst die Arbeitsabläufe analysiert und die exakten Benutzeranforderungen definiert. Dieser Input wird in einem logischen Datenmodell zu Objekten gruppiert, hierarchisch geordnet und in Beziehung zueinander gesetzt. Zuletzt ist dann noch das physikalische Datenmodell für die Kodierung und den Transport der Daten zu entwickeln.«

Auch T-Systems befasst sich mit der Entwicklung vernetzter Lösungen, die speziell auf die Anforderungen der Broadcast-Industrie abgestimmt sind, wie Andreas Bentz, Portfolio-Manager MediaBroadcast bei T-Systems berichtete. Die Basis für nonlineare Abläufe in der Broadcast-Welt bilden aus seiner Sicht die – bereits überwiegend digitalen – Distributionsnetze über Satellit, Kabel und Terrestrik. Hinzu kämen sogenannte Contribution-Netze, die Studiostand-orte direkt mit Event-Locations wie Fußballstadien oder auch dem Bundestag verbinden. »Über diese Netze muss eine »Ad Hoc-Contribution möglich sein,« so Bentz. »Mit kurzen Reaktionszeiten auf weltweite Ereignisse, einem messbaren Qualitäts-Level und einem Rückkanal für Rückfragen an die Location.« Hier bieten laut Bentz IP-basierte Netze große Vorteile, darunter schnelle Verfügbarkeit, reduzierte Produktionskosten, hohe Verbreitung sowie Kompatibilität mit anderen Protokollen und Netzinfrastrukturen. Ab IP v6 könne außerdem eine verlässliche Aussage über die Quality of Service (QoS) gemacht werden. »Auf dieser Grundlage sind ganz neue Business-Modelle denkbar, zum Beispiel freischaffende Produktionsteams, die ihre fertigen Beiträge unmittelbar auf dem B2B-Markt anbieten,« schloss Andreas Bentz mit einem Blick in die Zukunft.

Anschließend erläuterte Carsten Dethloff, Senior Projekt Manager bei T-Systems, das von der EU kofinanzierte Projekt Nuggets, das die T-Systems unter anderem in Koope-ration mit dem ZDF ausführt. Ziel der von April 2002 bis Mai 2004 dauernden Zusammenarbeit: Konzeption und Aufbau einer neuartigen Produktionsinfrastruktur, die auf IT-Netzwerken (LAN, MAN und WAN) basiert und den MXF-Standard nutzt. »Zu den Anforderungen an die Infrastruktur gehört, dass sie weltweit verfügbar ist, Selbstwählverbindungen ermöglicht und eine verlustfreie File-Übertragung sichert. Ein weiteres entscheidendes Kriterium ist eine 100%ige Verfügbarkeit bei Live-Produktionen, die mit Hilfe redundanter Verbindungen gewährleistet werden kann,« beschrieb Dethloff die Herausforderungen. »MXF spielt dabei eine wichtige Rolle. Wir haben es in Nuggets sowohl für den Transfer struktureller Metadaten wie Videoformat u. ä. genutzt, als auch für beschreibende Metadaten, die am Produktionsort per Laptop eingegeben werden.« Sein Fazit: »Zurzeit werden die verabschiedeten MXF-Standards durch Projekte wie unseres und durch die Hersteller verifiziert. Eine echte Interoperabilität zwischen Produkten und Anwendungen beginnt soeben erst, sich zu entwickeln – hier ist noch viel Planung und Abstimmung unter allen Beteiligten notwendig. Das ist jedoch ein normaler Prozess, den wir auch von der Einführung anderer neuer Technologien kennen.«

Das Unternehmen Blue Order bietet Broadcastern maßgeschneiderte Systemlösungen für das Media Asset und Workflow Management an, wie Rainer A. Kellerhals ausführte, der als Executive Vice President Products & Solutions bei diesem Unternehmen tätig ist. »Enterprise Media Asset Management stellt Anwendungen für die unternehmensweite Verwaltung audiovisueller Inhalte bereit. Ein zentraler Aspekt von Media Asset Management ist die Anwendungsintegration, auch unter dem Namen ‚Enterprise Application Integration’ (EAI) bekannt. Sie wird über einen XML-Software-Bus, Broker-Architekturen für die Integration externer Datenbanken und standardisierte Kommunikationsschnittstellen realisiert,« so Kellerhals. »Workflow Management sorgt dafür, dass die Arbeitsabläufe klar definiert und auf Basis eines solchen Systems effizient gesteuert werden.« Je mehr Prozesse ein Workflow enthalte und je mehr Mitarbeiter daran beteiligt seien, umso sinnvoller sei die Einführung von Workflow-Systemen. Mit ihrer Hilfe ließen sich kooperative Arbeitsabläufe standortübergreifend definieren und steuern. »Eine Vielzahl immer wieder gleich ablaufender Prozesse kann so automatisiert werden. Noch wichtiger ist aber die höhere Transparenz der Abläufe, die dadurch erheblich effizienter und verlässlicher aufgeführt werden können,« betonte Kellerhals.

Auch Hans-Peter Richter, Gesellschafter des Beratungsunternehmen Flying Eye, beschäftigt sich mit Szenarien für optimierte Produktionsabläufe auf Basis von Informationstechnologien. »Die Frage ist nicht mehr, ob wir IT-basiert produzieren, sondern wie«, eröffnete er seine Präsentation. Für die konkrete Umsetzung neuer Arbeitsweisen bedürfe es einer sehr sorgfältigen Planung. »Die Prozesse können nicht einfach so weiterlaufen wie gewohnt«, betonte Richter. »Unter anderem müssen interne Ressourcen für die Planung freigestellt, Standard-IT-Technologien für Fernsehproduktion adaptiert, Investitionsziele abgesichert werden.« In der Planungsphase seien folgende Schritte unabdingbar: eine gründliche Analyse der Arbeitsabläufe, die Entwicklung modifizierter Abläufe, die Erstellung eines Anforderungsprofils – orientiert an den Bedürfnissen der Anwender –, die Einholung verschiedener Angebote sowie die Auswahl des Implementierungspartners. Mit diesem gemeinsam könne dann das konkrete IT-Konzept, das alle für die Umsetzung erforderlichen Teilspezifikationen enthält, entwickelt werden. »Und da immer noch ein hoher Prozentsatz an IT-Projekten vorzeitig abgebrochen bzw. die Vorgaben hinsichtlich Zeit und Budget nicht eingehalten werden, ist auch ein durchgehendes Projektmanagement unverzichtbar«, fügte Richter hinzu.

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