Editorial, Kommentar, Top-Story: 11.07.2006

Transformationsprozesse

Haben Sie’s auch schon bemerkt? Nichts ist mehr wie es war. Deutschland ist Weltmeister der Herzen. Durch die Fußball-WM im eigenen Land hat sich die Nation zu einem fröhlichen Völkchen gewandelt, das einen unbekümmerten, unbelasteten Zugang zu seinen nationalen Symbolen gefunden hat. Es gibt kein Integrationsproblem mehr, seit auch an den Döner-Buden deutsche Flaggen hängen. Die Leitkulturdiskussion ist abgeschlossen. Alle blicken freudig erregt und erwartungsfroh nach vorne.

Wir wissen zwar — um mit Xavier Naidoo zu sprechen — »dieser Weg wird kein leichter sein, dieser Weg ist steinig und schwer«, aber es ist eben — um mit Herbert Grönemeyer zu sprechen — »Zeit, dass sich was dreht«. Und am Ende stehen wir ja — auch wenn wir unser erklärtes Ziel nicht erreichen — als »Weltmeister der Herzen« da.

Ach, wie gern würden wir daran glauben und einstimmen in die dankbaren Rufe »Beckenbauer for President« und »Klinsmann — Bundeskanzler«. Aber mit einem tiefen Seufzer müssen wir gestehen: Es geht nicht. Leider haben selbst mehrere Wochen Fußballfieber doch nicht alles geändert. Es hilft nämlich immer noch gar nichts, nur zu warten, »dass sich was dreht« und den anderen dabei zuzuschauen, wie sie rackern. Die Räder müssen von uns selbst aktiv angetrieben und gedreht werden. Gute Stimmung macht das Ganze zweifellos angenehmer und leichter, aber die meisten Dinge erledigen sich letztlich leider doch nicht ganz von selbst: Ohne Antrieb herrscht eben Stillstand.

Also: Nehmen wir die gute Stimmung mit, machen wir was draus. Zur Not müssen wir halt auch ohne unseren persönlichen Klinsmann erstmal mit Gummibändern um die Beine über den Rasen watscheln — denn nun wissen wir ja: Am Ende wird es sich auszahlen.

Sie werden sehen.